Intraossärer Zugang
von lateinisch: intra - innerhalb, os - Knochen
Synonym: i.o.-Zugang
1. Definition
Als intraossären Zugang bezeichnet man die Punktion des Knochenmarks mit einer Spezialkanüle, um Medikamente und/oder Infusionslösungen einzubringen.
2. Indikationen
Der intraossäre Zugang ist eine etablierte Alternative zum intravenösen Zugang bei kleinen Kindern, Säuglingen und Neugeborenen sowie bei Erwachsenen. Er wird vor allem präklinisch in Notfallsituationen verwendet, wenn ein intravenöser Zugang zu viel Zeit benötigen und eine notwendige Therapie unnötig verzögern würde.
Gerade bei kleinen Kindern, Säuglingen und Neugeborenen kann sich eine Punktion von Venen oft als sehr schwierig erweisen. Das ERC (European Resuscitation Council) empfiehlt einen intraossären Zugang im Rahmen einer Reanimation von Kindern bis 8 Jahren immer dann, wenn kein venöser Zugang liegt oder nicht sofort gelegt werden kann.
3. Punktionsorte
Bei Säuglingen und Kindern gilt die mediale Seite der proximalen Tibia (Schienbein) als Punktionsort der 1. Wahl, die distale Tibia als Punktionsort der 2. Wahl.
Bei Erwachsenen wird der proximale Humerus (Oberarmknochen) gewählt. Er bietet eine hohe Durchflussrate und liegt herznah, was bei kurzwirksamen Medikamenten wie Adrenalin von Vorteil ist.
4. Anatomie
Bei der intraossären Punktion wird mittels einer Stahlkanüle die Kortikalis des Knochens durchbohrt, sodass die Kanüle in der Markhöhle zu liegen kommt. Die in den Markraum eingebrachten Arzneistoffe gelangen über die venösen Marksinusoide in die Zentralvenen des Knochenmarks und von dort in die ableitenden Knochenvenen (Vena nutriciae) und in den Systemkreislauf. Bei einer Punktion an der proximalen Tibia ist die erste größere Abflussvene die Vena poplitea, bei Punktion an der distalen Tibia die Vena saphena.
5. Vorgehen
Beim intraossären Zugang können nahezu alle Medikamente und Infusionslösungen wie bei intravenöser Gabe appliziert werden. Nach einer intraossären Medikamentengabe kann man mit einem Flüssigkeitsbolus von 5 - 10 ml physiologischer Kochsalzlösung für eine schnellere systemische Einschwemmung sorgen. Um bei Volumengabe eine ausreichende Durchflussrate zu erzielen, sollten Druckinfusionsbeutel verwendet werden.
Vorsicht ist bei hypertonen oder alkalischen Infusionslösungen (Natriumbikarbonat) geboten, da sie zu einer erhöhten Infektionsrate und Weichteilnekrosen am Injektionsort führen können.
6. Lidocaingabe
Nach Anlage eines intraossären Zugangs kann es bei der ersten Injektion über die intraossäre Kanüle zu einem starken Schmerzreiz kommen. Deshalb wurde die intraossäre Applikation eines Lokalanästhetikums (z.B. Lidocain 1 % ohne Konservierungsstoff und ohne Adrenalin: 20 bis 40 mg bei Patienten > 40 kgKG) zur Reduktion intraossärer Schmerzen durch den intramedullären Druck empfohlen.[1] Aufgrund von Zwischenfällen wird in einer Stellungnahme mehrerer Fachgesellschaften die Anwendung von Lidocain bei Anlage eines intraossären Zugangs in der Kindernotfallmedizin nicht mehr empfohlen.[2][3]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
7. Komplikationen
Durch einen intraossären Zugang kann es selten zu Verletzungen der Epiphysenfugen, Infektionen des Knochenmarks (Osteomyelitis) und anderen Komplikationen kommen.
8. Quellen
- ↑ S1-Leitlinie Die intraossäre Infusion in der Notfallmedizin. AWMF Registernummer 001 - 042, abgerufen am 18.09.2024
- ↑ AkdÄ. Intraossäre Gabe von Lidocain zur Schmerztherapie bei pädiatrischen Patienten – eine nicht sachgerechte, potenziell gefährliche Off-Label-Empfehlung, Dtsch Arztebl 2022
- ↑ Hoffmann F et al. Stellungnahme zum Einsatz von Lidocain zur Reduktion des Injektionsschmerzes beim Legen eines intraossären Zugangs in der Kindernotfallmedizin. Dtsch Ärzteblatt 2024, abgerufen am 18.09.2024