Hemispasmus facialis
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Synonym: Spasmus facialis
Englisch: hemifacial spasm, facial hemispasm
Definition
Als Hemispasmus facialis, kurz HF, bezeichnet man ein Reizsyndrom des Nervus facialis, das mit unwillkürlichen, meist einseitigen, klonischen oder tonischen Kontraktionen der mimischen Muskulatur einhergeht. Meist liegt ein abnormer Gefäß-Nerven-Kontakt zugrunde.
Epidemiologie
Nach der Trigeminusneuralgie stellt der HF das zweithäufigste Reizsyndrom der hinteren Schädelgrube dar.[1] Die Prävalenz der Erkrankung wird in epidemiologischen Erhebungen auf 9,8 bis 11 pro 100.000 Einwohner beziffert, wobei eine mögliche Dunkelziffer eingeräumt wird.[2][3] Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Erkrankung beginnt meist in der sechsten Lebensdekade, ein Beginn vor dem 30. Lebensjahr ist sehr selten. Die Prävalenz mit höherem Lebensalter deutlich an.[2]
Ätiologie und Pathogenese
In der überwiegenden Zahl der Fälle liegt dem HF ein Gefäß-Nerven-Kontakt zugrunde. Meist ist davon die Hirnstamm-Austrittszone des Nervus facialis betroffen, die u.a. aufgrund fehlenden Epineuriums besonders anfällig gegenüber Druckläsionen ist. Die auslösenden Gefäße sind entweder ektatisch oder weisen einen atypischen Verlauf vor.[4][5]
Betroffen sind zumeist die beiden inferioren Zerebellararterien, also die A. cerebelli inferior posterior (PICA) oder anterior (AICA). Seltener sind Kontakte zur A. vertebralis, zu venösen oder mehreren Gefäße auslösend.[4]
Als wesentlicher prädisponierender Faktor für einen vaskulär bedingten HF gilt ein langjähriger arteriellen Hypertonus,[2][4][5][6] der eine degenerative Ektasie der Gefäße herbeiführen soll. Auch eine Hypercholesterinämie oder Rauchen werden als Risikofaktoren hierfür diskutiert.[6] Begünstigend wirken außerdem anatomische Varianten mit einer gedrängten Anordnung der Strukturen der hinteren Schädelgrube, was sich häufiger bei Frauen findet.[6]
Seltene Ursachen des HF sind:[4][5]
- Tumoren des Kleinhirnbrückenwinkel
- Nervenschädigung im Verlauf innerhalb des Hirnstamms
- Gliome
- demyelinisierende Erkrankungen, z.B. Multiple Sklerose
- Hirnstamminfarkte
- Nervenschäden im peripheren Verlauf
In einigen Fällen lässt sich keine Ursache ermitteln (idiopathischer HF). Hier findet sich teilweise eine familiäre Häufung mit autosomal-dominantem Erbmuster.[6]
Die Pathogenese ist unvollständig geklärt. Wahrscheinlich kommt es im Bereich der auslösenden (Druck-)Läsion zur lokalen Demyelinisierung, die dann zur ephaptischen oder ektopen Erregung von Facialisfasern führt.[4][5] Auch eine Übererregbarkeit des Ncl. nervi facialis wird postuliert,[4][5] insbesondere bei den seltenen bilateral-synchronen Verlaufsformen.[7]
Klinik
Der HF ist gekennzeichnet durch unwillkürliche, klonische oder tonische Kontraktionen der mimischen Muskulatur. Diese beginnen meist im Bereich des M. orbicularis oculi und breiten sich dann im Verlauf von Monaten bis Jahren sukzessive auf die weitere Gesichtsmuskulatur, z.T. auch auf das Platysma, aus. Die Spasmen können durch Sprechen, Müdigkeit und psychische Erregung ausgelöst werden. Sie finden sich jedoch auch im Schlaf, wenngleich auch in geringerem Ausmaß.[4][5][6]
In den allermeisten Fällen beschränken sich diese Spasmen auf eine Gesichtshälfte. In sehr seltenen Fällen wurde jedoch auch ein beidseitiger HF beschrieben, wobei die Kontraktionen der beiden Gesichtshälften hierbei häufiger asynchron als synchron auftreten.[7][8]
Selten kommt es während der Spasmen zu einem klickenden, "schreibmaschinenartigen" Tinnitus,[6] wahrscheinlich ausgelöst durch Kontraktion des M. stapedius.[5]
Bei langjähriger Druckschädigung kann sich im Verlauf eine leichtgradige Fazialisparese einstellen.[4]
Wenngleich die Erkrankung per se einen benignen Verlauf aufweist, geht sie doch mit einer wesentlichen sozialen Stigmatisierung und einer hohen psychischen Belastung einher. Nächtliche Spasmen können zu Schlafstörungen führen. Auch bei sehkritischen Tätigkeiten (z.B. Autofahren) kann die Erkrankung beeinträchtigend wirken.
Diagnostik
Der HF ist in der Regel eine Blickdiagnose. Als Hinweis bei der neurologischen Untersuchung dient das Babinski-2-Zeichen, das sich während der Spasmen zeigt. Es bezeichnet ein gleichzeitiges Heben der Augenbraue beim Zukneifen des Auges, was beim Gesunden so nicht reproduziert werden kann.[1][5][9]
Eine Diagnosesicherung ist per EMG des M. orbicularis oculi und oris einer Seite möglich.[4] Befunde sind hier:[10]
- synchrone, irreguläre, hochfrequente AP-Salven beider Muskeln ("bursts") über 20 bis 100 ms und einer AP-Frequenz von 150 bis 400 Hz im Nadel-EMG
- Synkinesien des M. orbicularis oris bei Lidschlägen oder bei Auslösung des Lidschlussreflexes
- bei Stimulation eines Facialisastes zusätzliche Kontraktion von Muskeln anderer Facialisäste ("lateral spread response")
Zum Nachweis des ursächlichen Prozesses erfolgt eine Hirnstamm-MRT.[4][6]
Differentialdiagnosen
Der Hemispasmus facialis kann klinisch anderen Dyskinesien ähneln, beispielsweise:
- Dystonien, z.B. Blepharospasmus, Meige-Syndrom
- Hemispasmus masticatorius
- Synkinesien nach Facialisläsionen
- Tic-Störung
Auch fokal-motorische epileptische Anfälle und psychogene faziale Spasmen sind zu bedenken.
Therapie
Symptomatisch werden primär 3-monatliche Injektionen von Botulinumtoxin in die betroffene Muskulatur eingesetzt.[4][6] Auch eine Behandlung mit Antikonvulsiva (z.B. Carbamazepin, Gabapentin, Clonazepam) oder mit zentralen Muskelrelaxantien (z.B. Baclofen) ist möglich, jedoch ist die Effektivität eher gering.[1][4] Zur Effektivität von Physiotherapie liegt derzeit (2024) keine überzeugende Evidenz vor.[11]
Die einzige kausale Therapieoption für vaskulär bedingte Formen ist die mikrovaskuläre Dekompression. Hierbei wird der Gefäß-Nerven-Kontakt gelöst und Teflonwatte zwischen beide Strukturen eingebracht. Postoperativ kommt es in 80–90 % der Fälle zur Spasmusfreiheit.[1][4] Hauptkomplikationen sind eine Schädigung des benachbarten N. vestibulocochlearis mit einseitiger Hörminderung sowie eine (meist transiente) Fazialisparese.[1]
Prognose
Der HF verläuft meist chronisch-progredient. Spontanremissionen sind mit weniger als 10 % der Fälle eher selten.[12]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Baldauf, Rosenstengel, Schroeder, Nervenkompressionssyndrome der hinteren Schädelgrube - Diagnostik und Therapie. Deutsches Ärzteblatt International, 2019.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Nilsen et al., Prevalence of hemifacial spasm in Oslo, Norway. Neurology, 2004.
- ↑ Auger, Whisnant, Hemifacial Spasm in Rochester and Olmsted County, Minnesota, 1960 to 1984. Archives of Neurology, 1990.
- ↑ 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 4,11 4,12 Rosenstengel et al., Hemispasmus facialis - Konservative und operative Therapieoptionen. Deutsches Ärzteblatt International, 2012.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 5,6 5,7 Chopade, Lui, Bollu, Hemifacial Spasm. StatPearls, 2024.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 6,6 6,7 Xiang et al., The progress in epidemiological, diagnosis and treatment of primary hemifacial spasm. Heliyon, 2024.
- ↑ 7,0 7,1 Huang et al., Synchronous bilateral hemifacial spasm: case-report and literature review. Acta Neurochirurgica, 2019.
- ↑ Felício et al., Bilateral hemifacial spasm: A series of 10 patients with literature review. Parkinsonism & Related Disorders, 2008.
- ↑ Babinski-2-Zeichen. Lexikon der Ars Neurochirurgica, 2023.
- ↑ Schulze-Bonhage, Ferbert, Spasmus facialis: Aktuelle Aspekte der operativen und medikamentösen Therapie. Deutsches Ärzteblatt, 2000.
- ↑ Nakano et al., Physical therapy for peripheral facial palsy: A systematic review and meta-analysis. Auris Nasus Larynx, 2024.
- ↑ Chaudhry et al., Hemifacial spasm: The past, present and future. Journal of the Neurological Sciences, 2015.
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