Diabetes insipidus (Hund)
Synonym: DI
Englisch: diabetes insipidus
Definition
Als Diabetes insipidus bezeichnet man eine endokrinologische Erkrankung beim Hund, bei der es entweder zu einem absoluten Mangel oder einer mangelhaften Wirkung des antidiuretischen Hormons (ADH) kommt.
Physiologie
Die Bildung und Sekretion von ADH hängt stark von der Serumosmolalität (Osmorezeptoren im ZNS) sowie vom Blutvolumen (Barorezeptoren im linken Atriums und in den Pulmonalvenen) ab. Kommt es zu einem Anstieg der Osmolalität um ≥ 1 % und einem Volumenabfall um ≥ 10 %, erfolgt beim gesunden Tier eine rasche Ausschüttung von ADH. Das sezernierte ADH entfaltet dabei seine Wirkung in den distalen Tubili und in den Sammelrohren. Der antidiuretische Effekt wird über V2-Rezeptoren vermittelt, die sich an der kontraluminalen Seite der Tubulusepithelien befinden.
Nachdem das ADH an die Rezeptoren gebunden hat, wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt. Diese wiederum veranlasst die in Vesikeln im Zellinneren gespeicherten Aquaporine (Wasserkanälchen) mit der luminalen Zellmembran zu verschmelzen, wodurch die Permeabilität für Wasser stark erhöht wird.
Ätiologie
Anhand der Ätiopathogenese unterscheidet man klinisch zwischen folgenden zwei Formen:
- zentraler Diabetes insipidus (Diabetes insipidus centralis)
- nephrogener/renaler Diabetes insipidus (Diabetes insipidus renalis)
Form | Ursachen |
---|---|
Diabetes insipidus centralis |
|
Diabetes inispidus renalis |
Vorkommen
Die Erkrankung tritt generell nur äußerst selten auf.
Der zentrale Diabetes insipidus weist keine Rasse-, Alters- oder Geschlechtsdisposition auf. Die idiopathische Form hingegen wird gehäuft bei jungen Tieren beobachtet. Die Neoplasie-assoziierte Form betrifft vermehrt mittelalte bis alte Hunde. Der sekundäre renale Diabetes insipidus kommt am häufigsten vor, da er infolge verschiedener Erkrankungen entstehen kann.
Pathogenese
Der zentrale Diabetes insipidus entsteht durch eine Läsion auf Höhe des Hypothalamus, der Neurohypophyse und/oder den dazwischen liegenden Axonabschnitten. Durch die Verletzung kann entweder nur wenig oder gar kein ADH gebildet werden, sodass es letztendlich zu einem absoluten Mangel des Hormons kommt.
Beim nephrogenen Diabetes insipidus liegt der Defekt in der Niere. Diese kann trotz der Anwesenheit von ADH keinen konzentrierten Urin produzieren. Anhand der Pathogenese unterscheidet man zwischen der äußerst seltenen kongenitalen bzw. primären und der häufigeren sekundären Form. Letztere tritt im Zusammenhang mit verschiedenen Erkrankungen (z.B. Hyperkalzämie u.ä.) auf. Über die genauen Defekte und das Krankheitsgeschehen ist beim kongenitalen Diabetes insipidus renalis jedoch wenig bekannt. Bei drei Husky-Geschwistern konnte bisher eine stark verminderte Affinität von ADH gegenüber den V2-Rezeptoren nachgewiesen werden.
Die genauen Pathomechanismen des erworbenen Diabetes insipidus renalis sind ebenfalls noch nicht vollständig bekannt. Bei dieser Form könnten die Defekte sowohl im Bereich des V2-Rezeptors, aber auch bei der intrazellulären Signalübertragung und/oder der Aquaporine liegen.
Klinik
Leitsymptome eines Diabetes insipidus sind eine ausgeprägte und oft plötzlich einsetzende Polyurie und Polydipsie (PU/PD). Bei ungenügendem Wasserangebot stellt sich rasch eine Dehydratation ein, die rasch lebensbedrohlich werden kann.
Bei ausreichendem Wasserangebot können die Symptome des Diabetes insipidus centralis jedoch auch maskiert werden, sodass die Erkrankung längere Zeit unerkannt bleibt. Beim sekundären Diabetes insipidus renalis hingegen stehen häufig nur die Symptome der Grunderkrankung im Vordergrund.
Labormedizin
Beim zentralen Diabetes insipidus und bei normalem Wasserangebot ist das Blutbild (inkl. Serologie) meist unauffällig. Bei einer ausgeprägten Dehydratation hingegen steigen der Hämatokrit, die Plasmaproteine sowie der Natriumspiegel stark an.
Das spezifische Uringewicht liegt meist bei 1,001 bis 1,007 (Hyposthenurie).
Differenzialdiagnosen
Bei den meisten Endokrinopathien kommt es zu Polyurie und Polydipsie, weshalb andere endokrinologische Erkrankungen ausgeschlossen werden müssen (z.B. Diabetes mellitus).
Diagnose
Nach einer gründlichen Anamnese und klinischen Untersuchung sollte das Vorliegen einer PU/PD verifiziert werden. Hierbei ist der Tierhalter angehalten, die genaue Trinkmenge festzustellen und mehrfach das spezifische Uringewicht zu messen. Auf diese Weise kann sicher gestellt werden, dass es sich nicht um eine Dysurie oder Inkontinenz handelt.
Oftmals ist eine CT bzw. ein MRT erforderlich, um eine genaue Diagnose stellen zu können. Parallel dazu sind verschiedene Testverfahren durchzuführen:
- ADH-Supplementation
- Wasserentzugs-Test
- ADH-Messung
ADH-Supplementation
Mittels diagnostischer Therapie kann mit einem synthetischen ADH-Analogon die Erkrankung gesichert werden:
- 2x tägliche Applikation eines flüssigen Desmorpessin-Präparats in den Konjunktivalsack (1 bis 4 Tropfen)
- alternativ kann 2 bis 3x tägliche 0,05 bis 0,2 mg Desmopressin peroral verabreicht werden
- Messung der Trinkmenge und tägliche Bestimmung des spezifischen Uringewichts
Liegt ein Diabetes insipidus centralis vor, kommt es innerhalb von 2 Tagen zu einer drastischen Abnahme der Trinkmenge und Normalisierung bzw. Anstieg des spezifischen Uringewichts. Bei einem Diabetes insipidus renalis und primärer Polydipsie hingegen können keine oder nur minimale Veränderungen von Trinkmenge und spezifischem Uringewicht beobachtet werden. Da es auch bei anderen Erkrankungen (z.B. Hyperadrenokortizismus) zu einer kurzzeitigen Besserung der Symptome kommen kann, ist der Test nach einer 4 tägigen Pause zu wiederholen. Kann das Ergebnis reproduziert werden, darf die Diagnose Diabetes insipidus centralis gestellt werden.
Wasserentzugs-Test
Mittels Durstversuch (Wasserentzugs-Test) kann in unklaren Fällen eine Unterscheidung zwischen Diabetes insipidus centralis, primärem Diabetes insipidus renalis und psychogener Polydipsie (psychogenem Trinker) erfolgen. Aufgrund einer Dehydratationsgefahr muss der Patient jedoch während des gesamten Versuchs über streng überwacht werden.
- schrittweise Reduzierung der täglichen Wassermenge auf 100 ml/kgKG/24 Stunden binnen 3 Tage (um den Konzentrationsgradienten im Nierenmark zu erhöhen)
- Patient wiegen, Messung von Harnstoff und spezifischem Uringewicht, komplette Entleerung der Harnblase, Entfernen von Futter und Wasser, Beginn der Durstphase
- stündliche Kontrolle, stündliches Wiegen, stündliche Entleerung der Harnblase und Messung des spezifischen Uringewichts inkl. Harnstoffspiegel im Blut
- Beenden der Durstphase wenn das spezifische Uringewicht > 1,025 steigt (Ausschluss eines Diabetes insipidus) oder der Gewichtsverlust ≥ 5 % beträgt bzw. lebensbedrohliche Dehydratation und/oder Anstieg der Harnstoffkonzentration
Sowohl beim zentralen als auch beim nephrogenen Diabetes insipidus kommt es während der Durstperiode zu keinem oder nur zu einem sehr geringen Anstieg des spezifischen Uringewichts auf 1,015 (bis 1,020). Ein Anstieg hingegen auf > 1,025 ist typisch für eine primäre bzw. psychogene Polydipsie. Beim Vorliegen eines zentralen Diabetes insipidus steigt das spezifische Uringewicht nach einer Desmopressin-Applikation deutlich an (> 1,015), während es bei einem nephrogenen Diabetes insipidus unverändert tief bleibt.
ADH-Messung
Beim modifizierten Carter-Robins-Test wird die ADH-Konzentration während einer Infusionstherapie gemessen. Die erste Messung erfolgt hierbei unmittelbar vor dem Test und dann alle 20 Minuten im Verlauf einer 2-stündigen Infusion mit hypertoner (20%iger) NaCl-Lösung.
Da die ADH-Sekretion rhythmisch erfolgt, kann es jedoch oftmals zu Interpretationsschwierigkeiten kommen.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Art des Diabetes insipidus:
- Diabetes insipidus centralis: Applikation von Desmopresin in Form eines Nasensprays (2x täglich, 1 bis 4 Tropfen in den Konjunktivalsack). Alternativ können auch Desmopressin-haltige Tabletten verwendet werden (2 bis 3x täglich 0,05 bis 0,2 mg/Hund).
- Primärer Diabetes insipidus renalis: Da die Erkrankung äußerst selten vorkommt, sind die Therapiemöglichkeiten beschränkt. Eine Behandlung kann mit Hydrochlorothiazid (2x täglich 2 mg/kgKG) in Kombination mit einer salzarmen Diät versucht werden.
- Sekundärer Diabetes insipidus renalis: Es muss unbedingt eine Behandlung der Grunderkrankung erfolgen.
Literatur
- Niemand HG (Begr.). Suter PF, Kohn B, Schwarz G (Hrsg.). 2012. Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke-Verlag in MVS Medizinverlag Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1125-3
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