Thrombotische Mikroangiopathie
Englisch: thrombotic microangiopathy, TMA
1. Definition
Unter einer thrombotischen Mikroangiopathie, kurz TMA, versteht man eine Gruppe von Erkrankungen, die durch Endothelschäden sowie die Bildung von Thromben in den terminalen Arteriolen und Kapillaren gekennzeichnet sind. Die Folgen sind hämolytische Anämien, Thrombozytopenie und Endorganschäden, die akut lebensbedrohlich sein können.
2. Pathophysiologie
Die TMA entsteht durch eine Schädigung des Endothels, die zu mikrothrombotischen Ablagerungen in den kleinen Gefäßen führt. Dadurch kommt es zu:
- mikroangiopathischer hämolytischer Anämie (MAHA) mit Fragmentierung der Erythrozyten durch mechanische Scherkräfte an den Thromben (Fragmentozyten),
- Thrombozytopenie durch gesteigerte Thrombenbildung mit verstärkten Thrombozytenverbrauch,
Die Folge sind Organschäden, da die thrombotischen Verschlüsse eine Minderperfusion des betroffenen Gewebes nach sich zieht. Klinisch kommt es zur Niereninsuffizienz sowie befallsabhängig zu neurologischen, kardiovaskulären und gastrointestinalen Komplikationen.
Die TMA wird durch verschiedene pathophysiologische Mechanismen ausgelöst:
- Komplementvermittelte TMA: Dysregulation des Komplementsystems, z.B. beim atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom (aHUS).
- Thrombozytenvermittelte TMA: Eine verminderte ADAMTS13-Aktivität führt zur Akkumulation von von-Willebrand-Faktor, z.B. bei thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (TTP).
- Gerinnungsaktivierte TMA: Prokoagulatorische Mechanismen wie bei malignen Erkrankungen oder Schwangerschaftskomplikationen.
3. Klassifikation
Die TMA wird in primäre und sekundäre Formen unterteilt:
3.1. Primäre TMA
- Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP): Eine schwere ADAMTS13-Defizienz (< 10 % Aktivität) führt insbesondere zu neurologischen Symptomen, Fieber und Nierenbeteiligung.
- Atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom (aHUS): ausgelöst durch eine Komplementdysregulation. Führt primär zu einer Niereninsuffizienz.
3.2. Sekundäre TMA
- Infektiös bedingtes HUS (STEC-HUS): Shigatoxin-produzierende Escherichia coli (STEC, v.a. Serotyp O157:H7) führen zu Gastroenteritis und akutem Nierenversagen.
- Medikamenteninduzierte TMA: Ursächlich sind z.B. Zytostatika (Mitomycin C, Gemcitabin), Immunsuppressiva oder Ticlopidin.
- Maligne TMA: bei soliden Tumoren oder hämatologischen Malignomen.
- Schwangerschaftsassoziierte TMA: bei HELLP-Syndrom oder Präeklampsie.
4. Symptome
Neben Allgemeinsymptomen (Krankheitsgefühl, Fieber und Kopfschmerzen) wird das Symptombild im Wesentlichen von Organschäden (Niere, ZNS) bestimmt, die durch die TMA ausgelöst werden, z.B.:
- Hypertonie, periphere Ödeme, Oligurie bzw. Anurie als Zeichen einer Nierenfunktionsstörung
- neurologische Symptome in Abhängigkeit von der Lokalisation der Thrombosen im ZNS
Die hämolytische Anämie führt u.a. zu Ikterus und Müdigkeit. Die Thrombozytopenie löst Petechien und Schleimhautblutungen aus.
5. Diagnostik
5.1. Labordiagnostik
- Blutbild: Anämie, Hämolyseparameter (Thrombozytopenie, vermindertes Haptoglobin, erhöhtes LDH, Polychromasie)
- Blutausstrich: Fragmentozyten (> 2 %)
- Nierenwerte: Kreatinin, Kreatinin-Clearance, Harnstoff, Cystatin C
- Urinstatus: Hämaturie, Proteinurie
Hilfreich für die differenzialdiagnostische Einordnung sind:
- ADAMTS-13-Aktivität: < 10 % spricht für TTP
- ADAMTS-13-Autoantikörper
- Komplement C3/C4: Erniedrigung als Hinweis auf ein aHUS
- Shigatoxin-Nachweis in der Stuhlanreicherungskultur via ELISA oder PCR: positiv bei STEC-HUS
5.2. Radiologie
Je nach Symptomen kommen zur zur Detektion von Endorganschäden verschiedene bildgebende Verfahren zum Einsatz. Beispielsweise wird bei neurologischen Symptomen eine kraniale MRT eingesetzt.
6. Therapie
Akutmaßnahmen sind:
- Plasmapherese: Erste Wahl, da sie fehlendes ADAMTS13 ersetzt
- Supportive Therapie: Flüssigkeitssubstitution, Dialyse bei Nierenversagen
- Thromboseprophylaxe: Niedermolekulares Heparin bei stabiler Thrombozytenzahl
Die spezifische Therapie ist abhängig vom auslösenden Pathomechanismus.
- TTP: Plasmapherese, Rituximab, Caplacizumab
- aHUS: Eculizumab (C5-Inhibitor)
- STEC-HUS: Supportive Therapie, keine Antibiotika
- Medikamenteninduzierte TMA: Absetzen des Medikaments
- Schwangerschaftsassoziierte TMA: Geburtseinleitung, ggf. Plasmapherese
7. Rezidivprophylaxe
- aHUS: dauerhafte Gabe von Eculizumab
- TTP: langfristige Immunsuppression mit Rituximab
- regelmäßige Laborkontrollen
8. Quellen
9. Literatur
- Thompson GL, Kavanagh D. Diagnosis and treatment of thrombotic microangiopathy. Int J Lab Hematol. 2022
- Leisring J, Brodsky SV, Parikh SV. Clinical Evaluation and Management of Thrombotic Microangiopathy. Arthritis Rheumatol. 2024
- Shatzel JJ, Taylor JA. Syndromes of Thrombotic Microangiopathy. Med Clin North Am. 2017