Gemeiner Stechapfel
Synonyme: Asthmakraut, Dornkraut, Tollkraut, Donnerkugel, Weißer Stechapfel
Englisch: thorn apple, devil's apple
Definition
Der Gemeine Stechapfel (botanisch Datura stramonium) ist eine Pflanzenart aus der Gattung Stechapfel (Datura) innerhalb der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Die Pflanze hat Bedeutung als Gift-, Arznei- und Zierpflanze.
Merkmale
Der Gemeine Stechapfel wächst als einjährige Pflanze mit Wuchshöhen von 0,3 bis 1,2 m. Die Stängel sind gegabelt und kahl, die Laubblätter eiförmig sowie unregelmäßig spitz gelappt oder doppelt gezahnt. Zwischen Juni und Oktober erscheinen Blüten mit 6 bis 10 cm langer, trompetenförmig verwachsener Blütenkrone. Aus der Blüte geht eine Kapselfrucht hervor.
Es werden verschiedene Varietäten unterschieden:
- Datura stramonium var. stramonium: weiße Krone und stachelige Kapseln
- Datura stramonium var. tatula: blauviolette Blütenkrone und Stängel, stachelige Kapsel
- Datura stramonium var. inermis: blauviolette Krone, Kapsel nicht stachelig
- Datura stramonium var. godronii: Krone weiß, Kapsel nicht stachelig
Inhaltsstoffe
Alle Pflanzenteile enthalten Tropan-Alkaloide. Die Hauptalkaloide sind S-Hyoscyamin (vor allem ältere Pflanzen), Atropin (razemisches Hyoscyamin) und unterschiedliche Anteile S-Scopolamin (Hauptalkaloid zumeist bei jüngeren Pflanzen). Weiterhin sind unter anderem Apoatropin, Tropin, Belladonnin und Hyoscyamin-N-oxid nachweisbar. Datura stramonium dient als Stammpflanze zur Gewinnung von Stramoniumblätter (Stramonii folium, getrocknete Blätter, teilweise mit Blüten- und Fruchtfragmenten) als pharmazeutischer Droge. Nach Ph. Eur. muss die getrocknete Droge einen Mindestgehalt von 0,25 % Gesamtalkaloide aufweisen. Eine weitere Arzneidroge sind Stramoniumsamen (Stramonii semen, Samen der reifen Kapselfrüchte) mit 0,4 bis 0,6 % Alkaloidgehalt.
Nutzung
Datura stramonium kann zur Gewinnung von Alkaloiden genutzt werden, häufig wird jedoch auf andere Pflanzen (z.B. Duboisia-Arten zur Scopolamingewinnung) zurückgegriffen. Medizinisch angewandt werden die Reinsubstanzen und deren Derivate. Präparate auf direkter Basis der Pflanze, etwa zur Anwendung bei Asthma, sind obsolet. Alternativmedizinische Präparate, besonders zur Anwendung im Rahmen der Homöopathie, werden weiterhin eingesetzt. Als Naturheilmittel und rituelle Rauschpflanze wird Datura stramonium ebenso wie weitere Datura-Arten in vielen Erdteilen genutzt.
Pharmakologie
S-Hyoscyamin, Atropin und S-Scopolamin wirken als kompetitive Acetylcholin-Antagonisten an zentralen und pheripheren Muskarinrezeptoren (Parasympatholytika). Besonders Scopolamin wirkt zentral dämpfend. S-Hyoscyamin und Atropin wirken in höherer Dosierung zentral erregend. Toxische Dosen können generell halluzinogen wirksam sein. Die Drüsensekretion wird stark gehemmt.
Toxikologie
Der Konsum von Pflanzenmaterial ist toxisch und führt zu starken, lang anhaltenden Halluzinationen (Horrortrips). Alkaloidgehalt und Konzentration können je nach Pflanze und Standort stark schwanken, die genaue Dosierung ist deswegen nur schwer abschätzbar. Bereits bei niedriger Dosierung treten aufgrund der hohen Toxizität schwere Vergiftungserscheinungen auf, die bis zum Tod durch Atemlähmung führen können.
Die letale Dosis liegt für Scopalamin bei circa 50 mg. Am giftigsten sind Samen und Blüten (0,6% Alkaloidgehalt), darauf folgen Blätter (0,4%) und Wurzeln (0,2%). Vor allem bei Jugendlichen gilt der Stechapfel als beliebtes Halluzinogen, mit dem gerne experimentiert wird. Dabei werden Pflanzenteile entweder direkt eingenommen oder als Tee oder Rauchware zubereitet.
Toxikokinetik
Die Resorption der Alkaloide über die Schleimhäute des Gastrointestinaltrakts erfolgt rasch, ein maximaler Plasmaspiegel der wichtigsten Toxine ist nach circa einer Stunde erreicht. Die Distribution erfolgt in alle Körperteile. Die Alkaloide überwinden die Blut-Hirn-Schranke sowie die Plazentaschranke und gehen in die Muttermilch über. Circa 50 % der aufgenommen Alkaloide werden metabolisiert, während der Rest unverändert renal ausgeschieden wird. Die Plasmahalbwertzeit der Hauptalkaloide (und entsprechender Metabolite) liegt bei 13 bis 38 Stunden.
Symptome
Die ersten Symptome treten meist innerhalb von 0,5-4 Stunden auf und halten mehrere Stunden an. Einige Effekte, etwa Mydriasis und zentralnervöse Wirkungen, können mehrere Tage anhalten. Zu den Symptomen einer Intoxikation zählen:
- Mundtrockenheit, Schleimhauttrockenheit, Heiserkeit
- Schluckstörungen
- Miktionsstörungen, Harnretention, Obstipation, Darmatonie
- Übelkeit, Erbrechen
- Hyperthermie, Flush, Exantheme
- starke Agitation
- Müdigkeit
- starke Halluzinationen (zum Teil mit Selbstverletzung)
- Verwirrtheit, Delir, Desorientierung, Amnesie
- Mydriasis, Akkommodationsstörungen
- Herzrhythmusstörungen, Hypotonie, Tachykardie
- Hyperventilation
- Ataxie
- Krampfanfall
- Koma
- Rhabdomyolyse
- fulminante Hepatitis
- Atemlähmung
Therapie
Als Erste-Hilfe-Maßnahme bei nicht bewusstlosen Patienten gilt die Verabreichung von Aktivkohle (als Suspension oder Pulver) bis zu 1-2 Stunden nach Ingestion. Die Therapie erfolgt weiters symptomatisch mit Überwachung der Vitalparameter, physikalischer Kühlung bei Hyperthermie, Anwendung von Benzodiazepinen bei starker Agitation. Die Möglichkeit der künstlichen Beatmung ist sicherzustellen. Als Antidot bei schweren Vergiftungen kann Physostigmin eingesetzt werden.
Literatur
- Wolf (Hrsg.): Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis - Bd. 4, Drogen A-D, 1992, Springer Verlag.
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