Anti-Ma2-Enzephalitis
Englisch: anti-Ma2-associated encephalitis
Definition
Die Anti-Ma2-Enzephalitis ist eine seltene Form der Autoimmunenzephalitis. Sie tritt typischerweise im Zusammenhang mit einem paraneoplastischen Syndrom auf und wird durch Autoantikörper gegen das intrazelluläre paraneoplastische Antigen Ma2 (PNMA2) ausgelöst.
Ätiologie
Die Erkrankung zählt zu den paraneoplastischen neurologischen Syndromen und wird insbesondere bei Patienten mit Keimzelltumoren der Hoden beobachtet, seltener auch bei anderen Tumorentitäten wie Lungen- oder Mammakarzinomen. Die Autoantikörper sind gegen das neuronale Antigen PNMA2 gerichtet, das vor allem in limbischen und diencephalen Hirnarealen exprimiert wird.
Einzelne Fälle wurden nach Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren beobachtet.[1]
Pathophysiologie
Die Peptidfragmente von PNMA2 werden auf MHC-Klasse-I-Molekülen präsentiert und von zytotoxischen CD8⁺-T-Zellen erkannt. Eine ektope Expression des Antigens in Tumorzellen (v.a. in testikulären Keimzelltumoren) kann diese T-Zell-Aktivierung auslösen und zur Schädigung von Ma2-exprimierenden Neuronen führen. Die daraus resultierenden entzündlich-degenerativen Veränderungen betreffen vor allem das limbische System, das Zwischenhirn und den Hirnstamm.
Die nachweisbaren Ma2-Antikörper gelten nicht als primär pathogen, sondern entstehen als Begleitphänomen der T-Zell-vermittelten Immunreaktion. Experimentelle Befunde zeigen jedoch, dass sie von Neuronen aufgenommen werden und dort unter bestimmten Bedingungen Funktionsstörungen oder Zellschäden auslösen können.[2]
Einteilung
Klinisch lassen sich anhand des Antikörperprofils und des zugrunde liegenden Tumors unterschiedliche Subgruppen mit teils charakteristischem Verlauf und Prognose unterscheiden:
| Typ | Risikogruppe | Klinik | Assoziierte Tumoren |
|---|---|---|---|
| Isolierte Anti-Ma2-Antikörper | jüngere Männer | Limbisch-diencephal-hirnstammbetontes Bild | testikuläre Keimzelltumoren[3] |
| Anti-Ma1/Ma2-Doppelpositivität | ältere Personen | Multifokaler ZNS-Befall mit zerebellärer Symptomatik (Ataxie, Dysmetrie, Nystagmus);[4][5][6]meist aggressiver Verlauf mit schlechterer neurologischer Erholung | Lungen- oder Mammakarzinome, andere solide Tumoren |
Symptome
Die Erkrankung beginnt meist subakut (über Tage bis wenige Wochen) und zeigt typischerweise eine Kombination aus limbischen, diencephalen und hirnstammbezogenen Symptomen. Reine limbische Verläufe sind selten.
Limbische Symptome
- Gedächtnisstörungen, Desorientierung, Aufmerksamkeitsdefizite
- Verhaltensänderungen, depressive Verstimmung, psychotische Episoden
- Fokale oder generalisierte epileptische Anfälle
- Anfangs häufig: kognitive Störungen und Wesensveränderungen
Diencephale Symptome
- Ausgeprägte Tagesschläfrigkeit
- Narkolepsieähnliche Episoden mit Kataplexie
- Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
- Hyperphagie
- Endokrine Dysregulation
Symptome bei Beteiligung des Hirnstamms
- Augenbewegungsstörungen
- Vertikale Blickparese bis Ophthalmoplegie
- Zentraler Nystagmus
- Dysarthrie, Dysphagie
- Rumpf- und Gangataxie
- Parkinsonoide Merkmale: Rigor, Hypokinese, reduzierte Mimik
- In schweren Fällen: Sprach- und Bewegungsverlust
In etwa 10 % der Fälle besteht zusätzlich eine motoneuronale Beteiligung, die klinisch an eine amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erinnern kann.[7]
Diagnostik
Die Diagnostik der Anti-Ma2-Enzephalitis erfolgt anhand klinischer Befunde, bildgebender Verfahren, Liquordiagnostik und der gezielten Tumorsuche.
- Liquordiagnostik: Zellzahlerhöhung (pleozytäre Liquorveränderungen), intrathekale IgG-Synthese, Nachweis von Anti-Ma2-Antikörpern
- MRT: Signalveränderungen im limbischen System, insbesondere im Hippocampus und Hypothalamus
- Tumorsuche: CT-Thorax/Abdomen, Hodensonographie, ggf. PET-CT zur Suche nach einem Primärtumor
Therapie
Die Behandlung der Anti-Ma2-Enzephalitis umfasst die möglichst vollständige Therapie des zugrundeliegenden Tumors sowie eine frühzeitige Immuntherapie. Üblicherweise wird eine intravenöse Methylprednisolon-Pulstherapie mit anschließendem Ausschleichschema eingesetzt, oft in Kombination mit intravenösen Immunglobulinen oder Plasmapherese. Bei unzureichendem Ansprechen können Rituximab oder Cyclophosphamid folgen.
Bei Immuncheckpoint-Inhibitor-assoziierter Anti-Ma2-Enzephalitis wird die Therapie beendet und ebenfalls intensiv immunsuppressiv behandelt.
Ergänzend kommen Anfallssuppressiva, die Behandlung von Schlaf- und endokrinen Störungen sowie physio-, ergo- und logopädische Maßnahmen zum Einsatz.
Prognose
Die Prognose der Anti-Ma2-Enzephalitis ist insgesamt ungünstiger als bei Autoimmunenzephalitiden mit Antikörpern gegen neuronale Oberflächenantigene. Der Verlauf wird wesentlich durch den Tumorstatus, die Antikörperkonstellation und das Alter der Patienten beeinflusst.
Bei isolierter Anti-Ma2-Positivität erreichen etwa die Hälfte bis zwei Drittel der meist jüngeren Patienten nach Tumortherapie und Immunbehandlung eine partielle Besserung oder längerfristige Stabilisierung. Eine vollständige Rückbildung der Symptome ist selten. Häufig persistieren kognitive Defizite, Blickparesen oder leichte Störungen der Motorik und Vigilanz.
Ungünstiger ist der Verlauf bei älteren Patienten mit Anti-Ma1/Ma2-Doppelpositivität und multifokalem ZNS-Befall, insbesondere wenn der Tumor nicht vollständig kontrolliert werden kann. In diesen Fällen kommt es häufiger zu progredienter Behinderung oder letalem Ausgang.
Bei motoneuronaler Mitbeteiligung kann ein chronisch progredientes, ALS-ähnliches Krankheitsbild entstehen, das meist nur begrenzt auf eine Immuntherapie anspricht. Auch Immuncheckpoint-Inhibitor-assoziierte Verläufe sind überwiegend schwer und führen trotz Therapieabbruchs nur bei einem Teil der Patienten zu einer funktionellen Erholung.
Quellen
- ↑ Vogrig et al., Increased frequency of anti-Ma2 encephalitis associated with immune checkpoint inhibitors, Neurology Neuroimmunology Neuroinflammation, 2019
- ↑ Galli et al., Neuronal uptake, antibody binding, and injury by anti-Ma2 antibodies in organotypic cultures of rat brain: a possible role for anti-Ma2 antibody in production of neurological disease, Neurology, 2020
- ↑ Dalmau et al., Clinical analysis of anti-Ma2-associated encephalitis, Brain, 2004
- ↑ Rosenfeld et al., Molecular and clinical diversity in paraneoplastic immunity to Ma proteins, Neurology, 2001
- ↑ Ortega Suero et al., Anti-Ma and anti-Ma2-associated paraneoplastic neurological syndromes, Neurology, 2018
- ↑ Hoffmann et al., Anti-Ma and anti-Ta associated paraneoplastic neurological syndromes: 22 newly diagnosed patients and review of previous cases, Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry, 2008
- ↑ Vogrig et al., Motor neuron involvement in anti-Ma2-associated paraneoplastic neurological syndrome, Journal of Neurology, 2019