Kutanes Strahlensyndrom
Synonyme: Radiodermatitis, Strahlendermatitis, Radioderm, Röntgenoderm, Röntgenkeratose, Strahlenkeratose
Englisch: cutaneous radiation syndrome, radiation burn, radiation dermatitis
Definition
Als kutanes Strahlensyndrom, kurz CRS, bezeichnet man die durch (akzidentielle) Exposition von ionisierenden Strahlen verursachten Hautschäden. Bei iatrogen-induzierten Hautveränderungen im Rahmen einer Strahlentherapie spricht man auch von einer Radio- bzw. Strahlendermatitis.
Ätiologie
Ionisierende Strahlung (z.B. Röntgen- oder Kobaltstrahlen) wird heutzutage bei gutartigen dermatologischen Erkrankungen zunehmend seltener eingesetzt. In der Vergangenheit kam sie z.B. bei Tinea capitis, Akne oder Nagelveränderungen bei Psoriasis vulgaris zum Einsatz. Weiterhin konnte die Wirkung einer Langzeitexposition mit niedrigen Dosen z.B. an den Fingern von Zahnärzten beobachtet werden, die während einer Zahnaufnahme die Röntgenfilme hielten. Früher wurde Strahlen aus kosmetischen Gründen bei der Epilationsbehandlung eingesetzt. Des Weiteren können bei therapeutischen Herzkatheterisierungen mit PTCA oder Radiofrequenzablationen Oberflächendosen an der Haut erreicht werden, die ausreichen, um ein CRS zu induzieren. Insbesondere adipöse Patienten haben ein erhöhtes Risiko, da bei ihnen höhere Dosen benötigt werden.
Die Strahlentherapie wird auch bei onkologischen Erkrankungen eingesetzt. Fortschritte in der Berechnung der Dosisapplikation führen zunehmend zu geringeren kutanen Nebenwirkungen. Jedoch können einige Chemotherapeutika zu einer Sensibilisierung der Haut gegenüber ionisierender Strahlung führen. Selten kommt es zu einer Radiation-Recall-Dermatitis, bei der es während oder nach Chemo- oder Immuntherapie an in der Vergangenheit bestrahlten Hautarealen zu einer Erkrankung kommt, die dem kutanen Strahlensyndrom ähnelt.
Eine weitere Ursache des kutanen Strahlensyndroms ist der Einsatz nuklearen Materials im Rahmen von terroristischen Verbrechen.
siehe Hauptartikel: nuklearer Terrorismus
Pathophysiologie
Ionisierende Strahlung induziert nach wenigen Tagen die Transkription von proinflammatorischen Zytokinen (z.B. IL-1, IL-3, IL-5, IL-6), TNF-α, Chemokinen (z.B. CCR3), Rezeptortyrosinkinasen (z.B. EGF-Rezeptor) und Adhäsionsmolekülen (z.B. ICAM-1, VCAM, E-Selektin) in epidermalen Keratinozyten, dermalen Fibroblasten und kutanen Endothelzellen. Die lokale Entzündung (Radiodermatitis acuta) führt weiterhin zur Rekrutierung von neutrophilen und eosinophilen Granulozyten.
Nach einigen Wochen kommt es zu einer Proliferationshemmung von epidermalen Stammzellen. Im Verlauf führt die Expression von TGF-β1 in dermalen und subkutanen Fibroblasten zu einer vermehrten Bildung von Kollagen, sodass sich im chronischen Stadium (Radiodermatitis chronica) das Bild einer lymphozytären fibrosierenden Entzündung zeigt.
Klinik
Beim kutanen Strahlensyndrom können verschiedene Phasen unterschieden werden:
- Prodromalerythem: flüchtiges Erythem wenige Stunden nach Exposition an der betreffenden Lokalisation. Verschwindet meist nach maximal 36 Stunden und kann mit Juckreiz und Parästhesien einhergehen.
- Manifestationsstadium: Nach wenigen Tagen bis zu drei Wochen zeigt sich eine intensive Rötung oder subepidermale Blasen. Im Verlauf kann sich eine nekrotisierende Entzündung ausbilden.
- subakutes Stadium: mit/ohne Latenzphase schließt sich ggf. das subakute Stadium an. Hier zeigt sich eine radiogene Vaskulitis tiefer subkutaner und muskulärer Gefäße. Weiterhin verfärbt sich das Erythem livide.
- chronisches Stadium: Drei Monate bis zwei Jahre nach Exposition kommt es zu einer progredienten Verhärtung der Haut. Die dermale und subkutane Fibrose geht mit einer Pseudoatrophie des subkutanen Fettgewebes einher. Die Fibrose führt zu Durchblutungsstörungen mit trophischen Ulzera. Weiterhin finden sich eine epidermale Atrophie, fokale Keratosen und Teleangiektasien der oberen dermalen Gefäße. Aufgrund der Degeneration von Talg- und Schweißdrüsen wird die Haut trocken.
- Spätstadium: Jahre und Jahrzehnte nach Exposition können neue Teleangiektasien und Ulzerationen auftreten.
Die Kombination aus kutaner Atrophie, Hypo- und Hyperpigmentierungen und Teleangiektasien wird als Poikilodermie bezeichnet.
Die Fibrose ist beim CRS im Gegensatz zu Verbrennungen chronisch progredient. Sekundäre Tumoren sind in Hautbereichen mit hoher Dosisexposition sehr selten, kommen jedoch in den Übergangsregion zur nicht betroffenen Haut mit einer Frequenz von bis zu 10 % und Latenzen von bis zu 30 Jahren vor. Dabei entwickeln sich v.a. Basalzellkarzinome und seltener Plattenepithelkarzinome. Sarkome der Dermis sowie Angiosarkome sind Raritäten, maligne Melanome treten nicht auf.
Bei Bestrahlung der Brust bei Patientinnen mit Mammakarzinom kann es zu einer Strahlenfibrose kommen, die sich oberflächlich im Sinne einer zirkumskripten Sklerodermie manifestiert oder auch das tiefere Brustgewebe betrifft. Jahrzehnte nach Bestrahlung können sich in diesen Arealen sklerodermiforme Basalzellkarzinome oder Fibrosarkome entwickeln.
Diagnostik
Entscheidend für die Diagnose eines CRS ist die ausführliche Anamnese und Befundbeschreibung des klinischen Bildes. Die Ausdehnung des Prodromalerythems ist hinweisend auf die zu erwartende betroffene Körperoberfläche, korreliert aber nicht mit der Intensität der späteren Stadien.
Im Manifestationsstadium sind apparative Untersuchungen indiziert, z.B.:
Therapie
Bei einer Kontamination der Haut mit radioaktiven Nukleotiden muss vor Therapiebeginn eine Dekontamination erfolgen. Diese beinhaltet:
- Entfernen der Kleidung
- Applikation von lauwarmem Wasser und pH-neutralem Syndet
- Einsatz von topischen Ionenaustauscherharzen und Chelatbildnern je nach Zusammensetzung der Nuklide
Hyperämisierende Maßnahmen und lipophile Externa verstärken die Resorption radioaktiver Partikel und sind daher kontraindiziert.
Im Prodromalstadium werden topische Glukokortikoide und Antihistaminika eingesetzt. Wenn erwartbar mehr als 10 % der Körperoberfläche betroffen ist, sollten in der Latenzphase hochdosiert topische und systemische Glukokortikoide (z.B. 1-10 mg Methylprednisolon/kgKG/d) verwendet werden.
Im Manifestationsstadium ähnelt die Therapie der bei Verbrennungen (Flüssigkeitssubstitution, Analgesie, Infektionsprophylaxe). Nekrosen können chirurgisch abgetragen werden. Bei Hautdefekten kommen feuchte Wundbehandlungen zum Einsatz.
Im chronischen Stadium lässt sich die Fibrose durch Vitamin E (Tocopherol 500 mg/d) und Pentoxifyllin (3 x 400 mg/d) für 6-18 Monate oder durch subkutane Injektion von Interferon-γ (3-6 Mio. IE s.c. 3/Woche) für 3-12 Monate behandeln. Bei Keratosen werden topische Retinoide eingesetzt. Der transepidermale Wasserverlust wird mit rückfettenden, linolsäure- und harnstoffhaltigen Externa vermindert. Bei symptomatischen Teleangiektasien kann eine Lasertherapie indiziert sein.
Literatur
- Plewig, Ruzicka, Kaufmann, Hertl. in Braun-Falco's Dermatologie, Venerologie und Allergologie, 7. Auflage. 2018