Penicillinallergie
Englisch: penicillin allergy
Definition
Die Penicillinallergie ist eine Immunreaktion, die nach Gabe von Penicillin oder chemisch verwandten Antibiotika auftritt.
Abgrenzung
Eine Penicillinallergie darf nicht mit anderen Nebenwirkungen, die nach Gabe von Penicillin auftreten, oder pseudoallergischen Reaktionen verwechselt werden. Kennzeichen einer "echten" Penicillinallergie ist eine Antikörper-basierte Immunreaktion nach vorheriger Sensibilisierung.
Pseudoallergien sind hingegen Akutreaktionen, die durch eine nicht-IgE-vermittelte Freisetzung von Mediatoren aus Mastzellen und basophilen Granulozyten getriggert werden. Die Freisetzung dieser Mediatoren bedarf keiner vorhergehenden Sensibilisierung und kann daher bereits bei erstmaliger Applikation auftreten.
Epidemiologie
Das Risiko einer Soforttypallergie gegen Penicillin ist relativ hoch. Die Angaben zur Prävalenz der Penicillinallergie schwanken. In einigen Studien wird die Prävalenz mit 8-12 % der ambulant und stationär behandelter Patienten angegeben.[1] Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass es sich um Eigenangaben der Patienten handelt, nicht um eine diagnostisch gesicherte Penicillinallergie. Untersuchungen gehen davon aus, dass 75 bis 85 % der selbstdeklarierten Fälle keine echte Pencillinallergie sind.[2]
Pathophysiologie
Bei der Penicillinallergie lassen sich zwei Phasen unterscheiden:
- Sensibilisierungsphase: Nach dem Kontakt mit dem Arzneistoff bildet das Immunsystem spezifische Antikörper bzw. spezifische reaktionsfähige T-Lymphozyten gegen Penicillin. Penicillin nimmt dabei die Rolle eines Haptens ein, d.h. es ist für sich genommen ein unvollständiges Antigen, das erst durch Bindung an körpereigene Proteine zum reaktiven Antigen wird. In dieser Phase kommt es meist zu keinen klinischen Symptomen.
- Effektorphase: Bei erneutem Kontakt mit dem Arzneistoff wird das vom Immunsystem ausgebildete "Gedächtnis" reaktiviert. Es kommt zu den klinischen Symptomen einer Allergie.
Risikofaktoren
Grundsätzlich kann eine Penicillinallergie jeden Patienten treffen. Bestimmte Faktoren erhöhen jedoch das individuelle Risiko. Dazu zählen:
- Arzneimittelallergien in der Familienanamnese
- Andere bekannte Arzneimittelallergien oder andere Allergien in der Anamnese, z.B. Nahrungsmittelallergien oder Rhinitis allergica (Heuschnupfen)
- Vorangegangene Penicillintherapien mit hoher Dosis oder langer, wiederholter Einnahme
Darüber hinaus können bestimmte Virusinfektionen, z.B. mit dem Epstein-Barr-Virus oder HIV, die Wahrscheinlichkeit einer Penicillinallergie steigern.
Symptome
Akute Penicillinallergie
Die Symptome einer akut verlaufenden Penicillinallergie treten in der Regel innerhalb von 1-2 Stunden nach der Applikation auf. In einigen Fällen kann es auch zu verzögerten Reaktionen kommen, die Stunden, Tage oder Wochen später auftreten.[3]
- Exanthem (Hautausschlag)
- Urtikaria (Nesselsucht)
- Juckreiz
- Zungenschwellung
- Rhinokonjunktivitis (laufende Nase, tränende Augen)
- Ödeme
- Fieber
- Dyspnoe (Atemnot)
- Stridor
Die schwerste akute Verlaufsform der Form der Penicillinallergie ist die Anaphylaxie. Eine Anaphylaxie tritt nach Penicillingabe selten auf, ist aber potentiell lebensbedrohlich, da sie in einen anaphylaktischen Schock münden kann. Mögliche Symptome sind:
- Atemwegsobstruktion mit verstärkter Dyspnoe
- Nausea, Erbrechen, Diarrhö
- Abdominalkrämpfe
- Tachykardie
- Blutdruckabfall
- Krampfanfälle
- Bewusstseinsstörungen bis hin zum Bewusstseinsverlust
Andere Verlaufsformen
Neben dem akuten Verlauf kann es durch Penicillin zu allergischen Reaktionen vom Typ III (Serumkrankheit) mit Fieber, Exanthem, Nephritis und Arthritiden oder zu einem DRESS-Syndrom kommen.[3]
Diagnostik
Da eine Fehldiagnose zur Einschränkung des therapeutischen Spektrums und zu teuren Antibiotikasubstitutionen führen kann, sollte die Penicillinallergie diagnostisch bestätigt werden. Dafür kommen folgende Verfahren in Frage:[2][3]
- IgE-Bestimmung: Das spezifische IgE gegen bestimmte Betalaktamantibiotika kann mithilfe validierter Immunassays erfolgen. Dabei binden die IgE-Antikörper im Patientenserum an ImmunoCAP-gekoppelte Betalaktame. Die Sensitivität des Verfahrens ist allerdings relativ gering und wird mit 50-60% angegeben.
- Hauttests: Prick-Tests und Intrakutantests ermöglichen wie bei anderen Allergien die kurzfristige Diagnose IgE-vermittelter Sofortreaktionen gegen Penicillin. Mit Epikutantests oder Spätablesungen des Intrakutantests können nach 2-4 Tagen auch Spätreaktionen erfasst werden.
- Expositionstest: Die kontrollierte Gabe von Betalaktamen ist die aussagekräftigste, aber auch riskanteste Form der Testung einer Penicillinallergie. Hier werden dem Patienten testweise die Wirkstoffe in aufsteigenden Dosen verabreicht. Voraussetzung sind negative Hauttests und nicht nachweisbares Penicillin-spezifisches IgE.
Vor der Diagnostik ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung notwendig. Theoretisch ist es möglich, das therapienaive Patienten durch die allergologische Diagnostik erst sensibilisiert werden.
Differentialdiagnose
- Pseudoallergie
- Virusexanthem
- parainfektiöse Urtikaria
Kreuzallergie
Liegt eine Allergie gegen ein bestimmtes Penicillin vor, kann es zu Kreuzallergien mit anderen Pencillinen, aber auch mit Cephalosporinen kommen. Innerhalb der Pencillingruppe treten Kreuzallergien zwischen folgenden Arzneistoffen auf:[3]
Zusätzlich können Kreuzallergien mit folgenden Cephalosporinen vorkommen:
Therapie
Die wichtigste Therapiemaßnahme ist wie bei anderen Arzneimittelallergien das sofortige Absetzen des Wirkstoffs, wenn dies therapeutisch möglich ist. Um das Ausmaß der allergischen Reaktion zu reduzieren, können zusätzlich Antihistaminika und Glukokortikoide zum Einsatz kommen.
Bei Auftreten einer Anaphylaxie ist die Akuttherapie mit Adrenalin notwendig. Adrenalin antagonisiert über die Aktivierung der α- und β-Adrenorezeptoren die wichtigsten Pathomechanismen der Anaphylaxie. Anschließend ist eine stationäre Notfallbehandlung unter kontinuierlicher Überwachung der Kreislaufparameter indiziert.[3]
Desensibilisierung
Ist die Anwendung von Penicillin trotz bekannter Allergie unumgänglich, sollte bei Patienten mit Soforttypreaktionen eine Toleranzinduktion erfolgen. Dabei wird unter klinischer Überwachung zunächst eine Penicillin-Dosis im Zehntausendstel-Bereich verabreicht und anschließend in 12 bis 16 Stufen eine langsame Dosissteigerung über fünf bis sechs Stunden vorgenommen. Die Toleranz bleibt nur bei fortgesetzter täglicher Penicillin-Applikation erhalten. Desensibilisierungen bei Spättypreaktionen wurde in Einzelfällen beschrieben, sollten aber bei schwerer Symptomatik unterlassen werden.[3]
Prophylaxe
Wenn eine nachgewiesene Penicillinallergie besteht, sollte der Patient vor jeder ärztlichen Behandlung darauf hinweisen. Die Penicillinallergie sollte auch deutlich im Notfallausweis dokumentiert sein.
Quellen
- ↑ Albin S. Prevalence and characteristics of reported penicillin allergy in an urban outpatient adult population. Allergy Asthma Proc. 2014
- ↑ 2,0 2,1 Trcka J et al. Penicillintherapie trotz Penicillinallergie? Plädoyer für eine allergologische Diagnostik bei Verdacht auf Penicillinallergie. Dtsch Arztebl 2004
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Morales I et al. Praktisches Vorgehen bei Penicillinallergien. Swiss Med Forum. 2023
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