Hypertrophe Osteoarthropathie
nach dem französischen Neurologen Pierre Marie (1853-1940) und dem deutschen Arzt Eugen von Bamberger (1858-1921)
Synonyme: Marie-Bamberger-Syndrom, Pierre-Marie-Syndrom, Bamberger-Syndrom, Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom, Osteoarthropathia hypertrophica, Mankowsky-Syndrom, Hagner-Syndrom
Englisch: hypertrophic osteoarthropathy, Marie-Bamberger syndrome, Mankowsky syndrome
Definition
Die hypertrophe Osteoarthropathie, kurz HOA, ist ein seltenes Syndrom mit Periostitis v.a. im diaphysären Bereich langer Röhrenknochen, Trommelschlägelfingern und arthritischen Beschwerden.
Geschichte
Die Erstbeschreibung des Syndroms erfolgte durch den deutschen Neurologen Nikolaus Friedreich (1825-1882) an zwei Brüdern mit dem Nachnamen "Hagner".
Ätiologie
Je nach Ursache unterscheidet man zwischen primären und deutlich häufigeren sekundären Formen:
Primäre hypertrophe Osteoarthropathie
Eine primäre hypertrophe Osteoarthropathie ist durch eine angeborene genetische Störung verursacht:
- Pachydermoperiostose (PDP, Touranie-Solente-Golé-Syndrom)
- Kranio-Osteoarthropathie (Reginato-Schiapachasse-Syndrom)
Bei den primären Formen spielen die Mutation des HPGD-Gens (Genlokus 4q34.1) und folglich Störungen des PGE2-Stoffwechsels eine entscheidende Rolle.
Sekundäre hypertrophe Osteoarthropathie
Eine sekundäre hypertrophe Osteoarthropathie kann durch eine Vielzahl an Grunderkrankungen entstehen. 90 % d.F. sind im Sinne eines paraneoplastischen Syndroms mit einem Malignom assoziiert, insbesondere mit einem Nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). In diesem Fall spricht man auch von einer hypertrophen pulmonalen Osteoarthropathie. 4-17 % aller Patienten mit Lungenkarzinom entwickeln eine sekundäre HOA.
Weitere Ursachen sind:
- chronische Lungenerkrankungen: Mukoviszidose, Bronchiektase, Lungenfibrose
- Pleuraerkrankungen: Pleuramesotheliom, Pleurafibrom
- Herzerkrankungen: zyanotische angeborene Herzfehler, persistierender Ductus arteriosus, bakterielle Endokarditis
- Darmerkrankungen: Malignom, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
- Leberzirrhose
- Lymphome
- POEMS-Syndrom
- HIV-Infektion
- infizierte Aortenprothese oder axilloaxillärer Bypass (unilaterales HOA)
Die genaue Pathogenese der sekundären HOA ist derzeit (2021) nicht vollständig geklärt. Vermutlich spielt die PDGF-Ausschüttung aus Megakaryozyten und Ablagerung im peripheren Gewebe eine entscheidende Rolle. Auch eine Tumor-assoziierte GHRH-Ausschüttung kann zu einer sekundären HOA beitragen.
Epidemiologie
Die primäre HOA tritt siebenmal häufiger bei Männern auf und manifestiert sich im Kindes- oder Jugendalter. Die sekundäre HOA weist keine Geschlechterpräferenz auf, das Manifestationsalter ist abhängig von der Grunderkrankung.
Klinik
Die sekundäre hypertrophe Osteoarthropathie führt in 30-40 % d.F. zu arthritischen Beschwerden:
- (nächtliche) Schmerzen, verstärkt bei Bewegung
- Schwellung
- verminderte Beweglichkeit
Weiterhin treten Trommelschlägelfinger und Uhrglasnägel auf.
Bei der primären HOA finden sich noch weitere Symptome:
- flächenhafte Verdickung der Haut (Pachydermie) an Unterarmen, Unterschenkeln und Gesicht (Cutis verticis gyrata)
- Hyperhidrose, Seborrhö
- endokrine Störungen (z.B. Akromegalie)
- ggf. Entwicklung einer Myelofibrose
Bildgebung
Die hypertrophe Osteoarthropathie ist gekennzeichnet durch eine Periostreaktion bzw. Periostitis ohne zugrundeliegende ossäre Läsion oder Trauma. Hauptsächlich sind Tibia, Fibula, Radius und Ulna betroffen, seltener die Phalangen.
Röntgen
- Periostreaktion
- meist symmetrisch
- variable Morphologie: dick, linear, dicht, geschichtet, flauschig oder wuchernd
- Ausmaß der Knochenproduktion und Ausbreitung ist abhängig von der Erkrankungsdauer: Anfangs Diaphysen, später auch Metaphysen und Epiphysen betroffen.
- keine Knochenmark- oder Weichteil-Pathologie
- Trommelschlegelfinger
- ggf. Akroosteolysen: häufiger bei primärer HOA und zyanotischem Herzfehler
- ggf. Hypertrophie der Fingerendglieder: häufiger bei Malignomen
- Gelenke:
- Weichteilschwellung
- keine Gelenkspaltverschmälerung, Erosionen oder andere arthritische Veränderungen
Computertomographie
Die Computertomographie (CT) zeigt die gleichen Befunde wie das Röntgenbild. Wichtig ist die ätiologische Abklärung (CT-Thorax, ggf. CT-Abdomen), insbesondere weil die HOA schon vor einem auslösenden Malignom zu Symptomen führen kann und somit eine Frühdiagnose möglich ist.
Magnetresonanztomographie
In der Magnetresonanztomographie (MRT) findet sich folgendes Signalverhalten:
- T1w: hypointense Periostreaktion, normales Knochenmark
- Flüssigkeitssensitive Sequenzen (T2-FS, PD-FS, STIR): Lineares hohes Signal kann auf beiden Seiten der hypointensen Periostreaktion vorkommen.
Knochenszintigraphie
Bei der Knochenszintigraphie zeigt sich eine dichte, relativ lineare und meist symmetrische Radionuklidaufnahme entlang der langen Röhrenknochen.
Differenzialdiagnosen
- Multifokale Osteomyelitis: Infektion, Knochenmarkveränderungen
- Stressreaktion (v.a. der Tibia): kann bilateral, symmetrisch und nicht von einer HOA zu unterscheiden sein
- venöse Stase (der unteren Extremitäten): kann auch zu einer Periostreaktion führen. Varikosis.
- Thyreoidale Akropachie: sehr seltene Manifestation einer Hyperthyreose mit Trommelschlägelfingern, "fluffiger" Periostitis der Finger, Exophthalmus und prätibialem Myxödem
- Multifokale Periostreaktionen bei Kindern:
- Infantile kortikale Hyperostose (Morbus Caffey)
- Hypervitaminose A
- Camurati-Engelmann-Syndrom: endostale und periostale Verdickung
- Leukämie: Osteoporose, Knochenmarkinfiltration