Akute posteriore multifokale plakoide Pigmentepitheliopathie
Englisch: acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy
Definition
Die akute posteriore multifokale plakoide Pigmentepitheliopathie, kurz APMPPE, ist eine Chorioretinitis, die typischerweise zu einer akuten Visusminderung führt. Nach Abheilung der Läsionen können Atrophien des retinalen Pigmentepithels (RPE) und der Photorezeptoren verbleiben. Die Erkrankung verläuft in der Regel selbstlimitierend und gehört zu den White-Dot-Syndromen.
- ICD-10: H30.1
Epidemiologie
Es handelt sich um eine seltene Erkrankung. Die Inzidenz wird auf etwa 0,15 pro 100.000 Personen geschätzt. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen. Die Erkrankung tritt überwiegend in der zweiten bis vierten Lebensdekade auf.[1]
Ätiopathogenese
Die genaue Ätiopathogenese ist bislang (2025) nicht abschließend geklärt. Vermutet wird eine autoimmune oder entzündliche Genese, die primär die choriokapilläre Perfusion und sekundär das retinale Pigmentepithel und die äußeren Netzhautschichten betrifft. Folge der Hypoperfusion ist eine Atrophie der Lamina choroidocapillaris, des RPE und der Photorezeptoren.[2][3]
Es sind zahlreiche Assoziationen mit anderen Erkrankungen beschrieben, wie z.B.:
- Thyreoiditis
- Erythema nodosum
- Granulomatose mit Polyangiitis
- Polyarteriitis nodosa
- Nephritis
- Sarkoidose
- Skleritis
- Colitis ulcerosa
Darüber hinaus sind assoziierte ZNS-Vaskulitiden dokumentiert. In diesem Zusammenhang können optische Neuritis, periphere vestibuläre Störungen, Meningoenzephalitis, Krampfanfälle, Sinusvenenthrombosen, intrazerebrale Blutungen sowie zerebrovaskuläre Ereignisse (z.B. TIA) auftreten.
Auch infektiöse Assoziationen werden berichtet, insbesondere nach Infektionen mit:
- Gruppe-A-Streptokokken
- Adenovirus-5
- Influenzaviren
- Coxsackie-B-Virus
- Hepatitis-B-Virus
- Borrelia burgdorferi (Lyme-Krankheit)
- Mumpsvirus
- Mycobacterium tuberculosis.
Eine Assoziation zu genetischen Faktoren wurde in Einzelfällen mit den HLA-B7- und HLA-DR2-Haplotypen beschrieben. Vereinzelt finden sich zudem Fallberichte über APMPPE-ähnliche Befunde nach Verabreichung von mRNA-Impfstoffen.
Okuläre Begleitmanifestationen können eine retinale Vaskulitis, venöse Gefäßverschlüsse, subhyaloidale Blutungen, retinale Neovaskularisationen, exsudative Netzhautabhebungen sowie die Bildung einer choroidalen neovaskulären Membran umfassen.
Symptome
Zu den typischen Symptomen der APMPPE zählen eine rasch einsetzende Visusminderung, sowie zentrale oder parazentrale Skotome. Teilweise ist der Visus so stark eingeschränkt, dass nur noch Fingerzählen möglich ist. Häufig treten zusätzlich Photophobie und Metamorphopsien auf.
In etwa einem Drittel der Fälle kommt es zu Prodromi, die einem viralen Infekt ähneln. Die Erkrankung ist meist bilateral und verläuft in der Regel selbstlimitierend innerhalb von 4 Wochen bis 6 Monaten.
Der vordere Augenabschnitt ist in der Regel nicht betroffen, gelegentlich kann jedoch eine milde anteriore Uveitis auftreten. In bis zu 50 % der Fälle findet sich zudem eine Vitritis. Selten können auch Papillitiden auftreten.
Diagnostik
Die Diagnose der APMPPE erfolgt primär klinisch auf Grundlage der funduskopischen Untersuchung. Typischerweise zeigen sich cremig-gelblich bis weiß-grau erscheinende, plakoide Läsionen im Bereich des RPEs. Makulaödeme sind kein klassischer Befund, können jedoch ebenfalls vorhanden sein. Im Verlauf zeigen ältere Läsionen häufig Zeichen einer RPE-Atrophie oder Hyperpigmentierung. Bei Persistenz über mehr als sechs Monate kann eine Residualveränderung des Pigmentepithels verbleiben.
Eine Blutuntersuchung ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik, um autoimmune, infektiöse oder entzündliche Prozesse zu erkennen oder auszuschließen.
Zur weiterführenden Diagnostik können verschiedene bildgebende Verfahren eingesetzt werden, insbesondere:
- Optische Kohärenztomographie (OCT)
- Optische Kohärenztomographie-Angiographie (OCT-A)
- Fundusautofluoreszenz (FAF)
- Fluoreszenzangiographie (FA) bzw. Fluoreszenzleakage-Angiographie (FLA)
- Indocyaningrün-Angiographie (ICG)
In der Fluoreszenzangiographie zeigen sich typischerweise hypofluoreszente Herde in der Frühphase, gefolgt von einer diffus hyperfluoreszenten Spätphase.
APMPPE-Patienten sollten einer neurologischen und systemischen Abklärung unterzogen werden, um eine zerebrale Vaskulitis oder andere systemische Komorbiditäten auszuschließen. Bei Verdacht auf eine ZNS-Beteiligung ist eine kranielle Magnetresonanztomographie obligat, um entzündliche oder vaskulitische Veränderungen nachzuweisen oder auszuschließen.
Differentialdiagnose
Mögliche Differentialdiagnosen sind z.B.:
- Serpiginöse Choroiditis
- Multiple Evanescent White Dot Syndrome
- Multifokale Choroiditis mit Panuveitis
- Punctate Inner Choroidopathy
- Birdshot Chorioretinopathie
- Vogt-Koyanagi-Harada
- Weitere infektiöse Uveitiden (z.B. bei Syphilis, Toxoplasmose, Herpesviren, Tuberkulose)
- Choroidale Metastasen
- Intraokulare Lymphome
- Acute Zonal Occult Outer Retinopathy
- Acute Retinal Pigment Epitheliitis (Krill-Like Disease)
- Akute makuläre Neuroretinopathie
- Chorioiditis fokaler oder multifokaler Genese durch systemische Erkrankungen (z.B. Sarkoidose, Morbus Behçet)
- Retinale Gefäßverschlüsse oder ischämische Retinopathien
- Paraneoplastische retinale Erkrankungen
- Subretinale Hämatome oder andere pigmentierte Läsionen
Therapie
Eine einheitlich etablierte Therapie der APMPPE besteht bisher (2025) nicht. In den meisten Fällen verläuft die Erkrankung selbstlimitierend.
Der Einsatz systemischer Kortikosteroide kann den Verlauf beschleunigen und die visuelle Erholung fördern, insbesondere bei Makulabeteiligung oder bei neurologischen Symptomen mit Verdacht auf eine begleitende zerebrale Vaskulitis. In therapieresistenten oder schweren Verläufen kann zusätzlich eine immunsuppressive Therapie erwogen werden, v.a. bei ZNS-Beteiligung oder systemischer Vaskulitisassoziation.
Die interdisziplinäre Betreuung in Zusammenarbeit mit Neurologie, Rheumatologie und Innerer Medizin ist bei systemischen Manifestationen oder ZNS-Beteiligung entscheidend, um das Risiko neurologischer Komplikationen zu minimieren und eine adäquate Verlaufskontrolle sicherzustellen.
Eine Prophylaxe steht nach aktuellem Kenntnisstand (2025) nicht zur Verfügung.
Prognose
Die Mitbeteiligung der Fovea ist ein entscheidender Faktor für die prognostische Einschätzung des Visus. Eine schlechtere Prognose wird beobachtet bei:
- Patienten über 60 Jahre
- Unilateraler Manifestation (insbesondere wenn die zweite Seite erst nach längerer Zeit betroffen wird)
- Persistenz der Unilateralität über 6 Monate bis zur Bilateralität
- Leckagen der choroidalen Venen
Rezidive treten in etwa 50 % der Fälle auf.
Quellen
- ↑ Thau et al.: Acute Posterior Multifocal Placoid Pigment Epitheliopathy. EyeWiki, American Academy of Ophthalmology, zuletzt abgerufen am 09.10.2025
- ↑ Van Buskirk et al.: Pigmentary epitheliopathy and erythema nodosum. Archives of Ophthalmology, 1971
- ↑ Gass et al.: Acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy. Archives of Ophthalmology, 1968.
Literatur
- Abu-Yaghi et al., White dot syndromes: A 20-year study of incidence, clinical features, and outcomes, Ocular Immunology and Inflammation, 2011
- Testi, Vermeirsch und Pavesio, Acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy (APMPPE), Journal of Ophthalmic Inflammation and Infection, 2021
- Standardization of Uveitis Nomenclature SUN Working Group, Classification criteria for acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy, American Journal of Ophthalmology, 2021
- Holt, Regan und Trempe, Acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy, American Journal of Ophthalmology, 1976
- APMPPE overview, abgerufen am 09.10.2025
- Oliveira, Simao, Martins und Farinha, Management of acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy (APMPPE): Insights from multimodal imaging with OCTA, Case Reports in Ophthalmological Medicine, 2020
- Carreño et al., Evidence and consensus-based imaging guidelines in acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy, 2025
- Samalia et al., Acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy, djo.harvard.edu, abgerufen am 09.10.2025
- Yokoi et al., Fundus autofluorescence imaging in acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy, 2022
- Mendrinos und Baglivo, Acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy following influenza vaccination, Nature, 2009
- Kaplan et al., Novel optical coherence tomography description of acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy, Canadian Journal of Ophthalmology, 2013
- Fouad, El-Harazi und Mansour, Revisiting acute retinal pigment epitheliitis (Krill disease), Eye, 2024
- McElhinney, McGrath, Ahern und O’Connell, Bilateral acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy (APMPPE) following SARS-CoV-2 mRNA vaccine, BMJ Case Reports, 2022
- Ogino et al., A case of APMPPE-like panuveitis presenting after COVID-19 vaccination, BMC Ophthalmology, 2023
- Nagaoka und Makino, Acute multifocal placoid pigment epitheliopathy following administration of the first dose of the BNT162B2 COVID-19 vaccine, Quarterly Journal of Medicine, 2023
- Fischer et al., Acute posterior multifocal placoid pigment epitheliopathy after SARS-CoV-2 mRNA vaccination: Case report and literature review, American Journal of Ophthalmology Case Reports, 2022
- Abu Serhan et al., The characteristics of white dot syndromes following COVID-19 vaccines: A systematic review, International Ophthalmology, 2024
- Lin, Russell, Al-Khersan und Goldhardt, A systematic review of acute zonal occult outer retinopathy, Current Ophthalmology Reports, 2022