Tollwut (Hund)
Synonym: Lyssa, Rage
Englisch: rabies
Definition
Tollwut ist eine meist tödlich verlaufende und anzeigepflichtige Tierseuche, die sowohl beim Hund als auch bei anderen Säugetieren vorkommt.
Geschichte
Seit der Einführung der Hundeimpfungen sind wildlebende Raubtiere (v.a. der Fuchs) zum Hauptreservoir des Erregers geworden (silvatische Wut). Seit dem Jahr 1978 wurden in mit Tollwut verseuchten europäischen Ländern eine orale Vakzine verimpft, worauf es zu einem deutlichen Rückgang der silvatischen Tollwut gekommen ist.
Deutschland, Österreich und die Schweiz gelten seit Jahren als tollwutfrei.
Epidemiologie
Bei der Tollwut handelt es sich um eine der am längsten bekannten und durch Tiere (v.a. Hunde und Wildtiere) verbreiteten Anthropozoonosen. Weltweit sind mehrere antigene Varianten des Rabiesvirus (Tollwutvirus) verbreitet. Mit Ausnahme von Neuseeland, der Antarktis, Großbritannien, Irland, Skandinavien, Australien, Japan und einigen kleinen Inseln, ist das Virus überall verbreitet.
Die Empfindlichkeit gegenüber dem Erreger ist tierartlich unterschiedlich und z.B. bei Füchsen, Dachsen und Kaninchen größer als beim Hund oder Menschen.
Ätiologie
Das Rabiesvirus ist ein behülltes und einzelsträngiges RNA-Virus der Gattung Lyssavirus innerhalb der Familie der Rhabdoviridae.
Außerhalb des Organismus ist das Rabiesvirus relativ unstabil. Es kann durch Wärme, UV-Strahlung und andere physikalische sowie chemische Einwirkungen (z.B. Seife oder Desinfektionsmittel) inaktiviert werden. In Kadavern kann das Virus hingegen bei kalter Umgebung mehrere Monate lebensfähig bleiben.
Pathogenese
Das Rabiesvirus wird hauptsächlich mit dem Speichel ausgeschieden und kann bereits einige Tage vor dem Auftreten klinischer Symptome nachgewiesen werden.
Die Infektion erfolgt entweder durch Bisswunden oder durch den Eintritt über Schleimhäute, von wo das Virus dann in die Muskulatur gelangt. Dort findet dann die erste lokale Vermehrung statt. Anschließend bindet der Erreger an die Muskelendplatten bzw. an die nikotinergen Acetylcholinrezeptoren der postsynaptischen Membran. Das Virus wandert dann zentripetal entlang der peripheren Nerven in Richtung Rückenmark und Gehirn. In Ausnahmefällen gelangt der Erreger auch hämatogen in das ZNS. Im Gehirn kommt es zu einer raschen Virusvermehrung und Ausbreitung von Zelle zu Zelle, gefolgt von einer generellen zentrifugalen Ausbreitung über die Nervenbahnen. Das Virus siedelt sich letztendlich in allen Organen an - einschließlich der Speicheldrüsen und der Augen.
Die Inkubationszeit beträgt zwischen 2 und 24 Wochen, kann in Einzelfällen aber auch bis zu 12 Monaten dauern. Die Virusausscheidung findet primär über den Speichel statt, jedoch auch in kleinen Mengen über den Harn, den Kot und die Ausatemluft. Tröpfcheninfektionen sind selten. Die Erregerausscheidung beginnt im Mittel 1 bis 5 Tage vor dem Auftreten neurologischer Symptome und dauert bis zum Tod an, der meistens wenige Tage bis Wochen nach Krankheitsbeginn eintritt.
Klinik
Aufgrund von neuralen Schädigungen der peripheren motorischen Neuronen und des zentralen limbischen Systems kommt es vorwiegend zu Lähmung und Verhaltensstörungen. Die Krankheit weist häufig einen 3-phasigen und progressiven Verlauf auf, jedoch sind auch atypische Verlaufsformen bekannt. Der klassische 3-Phasen-Verlauf ist durch folgende Stadien gekennzeichnet:
- Prodromalstadium (dauert Stunden bis einige Tage)
- Exzitationsstadium ("rasende Wut", dauert 1 bis 7 Tage)
- Paralyse- oder Depressionsstadium (dauert 3 bis 4 Tage bis zum Tod)
Atypische Krankheitsverläufe sind beschrieben, dazu zählen die sogenannte "stille Wut" sowie die chronische bzw. milde Verlaufsform ("atypische Wut").
Prodromalstadium
Das Prodromalstadium dauert wenige Stunden bis einige Tage und ist vorwiegend durch Wesensänderungen gekennzeichnet:
- Verhaltensänderungen
- überfreundliches bis abweisend-ängstliches Verhalten
- Zurückziehen an dunkle Plätze
- Bellen oder unmotiviertes Herumbeißen
- Automutilationen
- Fieber möglich
Exzitationsstadium
Auf das Prodromalstadium folgt das sogenannte Exzitationsstadium, das durch ein gesteigertes und abnormes Verhalten geprägt ist. Dieses Stadium dauert zwischen 1 und 7 Tage und ist durch folgende Symptome geprägt:
- leichte Erregbarkeit
- Aggressivität und Launenhaftigkeit
- Drangwandern
- Desorientiertheit und Herumirren
- Anorexie
- Zerbeißen von Gegenständen
- langgezogenes Bellen
- Angreifen anderer Hunde
- Muskeltremor
- Dysphagie
- starkes Speicheln
- spastische bis schlaffe Lähmung
Paralyse- oder Depressionsstadium
Die Krankheit endet im sogenannten Paralyse- bzw. Depressionsstadium, bei dem das gesteigerte Verhalten zunehmend ausschleicht. Die Tiere wirken abgeschlagen, bewegen sich immer weniger und versterben letztendlich:
- zunehmende Erschöpfung
- Lähmungszustände
- Koma
- Tod
Stille Wut
Die Erkrankung kann auch in Form einer "stillen Wut" verlaufen. Hier kommt es ohne vorangehendes Exzitationsstadium zu Lähmungen. Die Krankheit dauert dann zwischen 2 und 4 Tagen und tritt regional gehäuft auf (dominierender Krankheitsverlauf in bestimmten Endemiegebieten). Typische Symptome sind:
- ausdrucksloser und stupider Blick
- Teilnahmslosigkeit
- Speicheln
- Unterkieferlähmung und heisere Stimme
- Anorexie aufgrund Unfähigkeit der Futteraufnahme
Es folgen Nickhautvorfall, Anisokorie, Strabismus, Rumpf- und Gliedmaßenlähmungen, die dann letztendlich zum Tod führen.
Differenzialdiagnosen
Die Differenzialdiagnosen richtet sich nach den vorliegenden Symptomen des jeweiligen Krankheitsstadiums. Folgende Krankheiten müssen unter anderem ausgeschlossen werden:
- Dysphagien infolge mechanischer Obstruktionen im Pharynx- oder Ösophagusbereich
- Hirnnervenausfälle (z.B. Nervus glossopharyngeus)
- Granulomatöse Meningoenzephalitis
- Enzephalitiden anderer Genese (z.B. Staupe, Toxoplasmose oder Neosporose)
- Vergiftungen (z.B. Organophosphate, Blei)
- Neoplasien
- Hepatoenzephalopathie
Diagnose
Die Diagnosesicherung erfolgt post mortem. Hierzu dienen unterschiedliche Techniken, u.a. Immunfluoreszenz- und/oder PCR-Nachweis des Erregers in Gehirnschnitten.
Therapie
Da die canine Tollwut eine anzeigepflichtige Tierseuche ist, sind jegliche Therapieversuche verboten. Bei berechtigtem Tollwutverdacht muss der Amtstierarzt verständigt und das Tier euthanasiert sowie pathohistologisch untersucht werden.
Prophylaxe
Die Tollwut kann durch eine Impfung verhindert werden. Innerhalb der EU müssen alle Hunde, die das Heimatland verlassen, einen aktiven Impfschutz aufweisen.
Zoonotische Bedeutung
Aufgrund der hohen Infektiosität sind alle tiernahen Berufe (z.B. Tierarzt) mit einer Tollwutimpfung zu schützen. Bei Kontakt mit einem potenziell tollwütigen Tier ist sofort eine Postexpositionsprophylaxe durchzuführen (aktive und gegebenenfalls passive Immunisierung).
Quellen
- Niemand HG (Begr.). Suter PF, Kohn B, Schwarz G (Hrsg.). 2012. Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke-Verlag in MVS Medizinverlag Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1125-3.
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