Herpes-simplex-Enzephalitis
Synonyme: HSV-Meningoenzephalitis, HSV-Enzephalitis, "Herpesenzephalitis, Meningoenzephalitis herpetica"
Englisch: HSV meningoencephalitis
Definition
Unter einer Herpes-simplex-Enzephalitis, kurz HsE, versteht man eine Entzündung des Gehirns (Enzephalitis), die durch Herpes-simplex-Viren hervorgerufen wird.
Nomenklatur
Sind die Hirnhäute mitbetroffen, spricht man von einer Herpes-simplex-Meningoenzephalitis. Bei isoliertem Befall der Hirnhäute (aseptische Meningitis), wird die Erkrankung als Herpes-simplex-Meningitis bezeichnet.
Epidemiologie
Ungefähr 10-20 % der akuten sporadischen Virusenzephalitiden werden durch HSV verursacht. Die jährliche Inzidenz wird auf 1/250.000 bis 1/1.000.000 geschätzt. Dabei sind v.a. Personen zwischen 5 und 30 Jahren sowie über 50-Jährige betroffen.
Ätiopathogenese
Die Herpes-simplex-Enzephalitis wird in 95 % d.F. durch das Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1), selten und v.a. bei Immunsupprimierten sowie im Rahmen eines Herpes neonatorum durch HSV-2 hervorgerufen.
Bei Kindern und jungen Erwachsenen kann eine HSV-Primärinfektion zur Enzephalitis führen. Vermutet wird, dass das neurotrope Virus über die Riechschleimhaut und den Bulbus olfactorius in das Gehirn (v.a. Temporallappen) eindringt. Die meisten Erwachsenen mit HSV-Enzephalitis zeigen vor dem Auftreten neurologischer Symptome klinische oder serologische Anzeichen einer mukokutanen HSV-Infektion. Pathogenetisch liegt eine Reaktivierung von latenten Viren im ZNS, in Ganglien des Nervus trigeminus oder in den Ganglien autonomer Nerven vor.
Bei Familien mit gehäuft vorkommender HSV-Enzephalitis konnten weiterhin genetische Polymorphismen identifiziert werden. Die peripheren mononukleären Zellen dieser Patienten sezernieren bei der HSV-Immunantwort weniger Interferone. Vereinzelt bedingen auch genetische Veränderungen (z.B. TLR3-Genmutationen) sporadische Fälle einer HSV-Enzephalitis.
Bei einem kleinen Teil der Patienten kommt es einige Wochen nach Ausheilung der Infektion zur parainfektiösen Bildung von Autoantikörpern, die in der Regel gegen den NMDA-Rezeptor gerichtet sind. Die Folge ist eine Autoimmunenzephalitis.
Symptome
Die Erkrankung beginnt mit unspezifischen grippeähnlichen Symptomen, die für 1-4 Tage persistieren. Dieser Prodromalphase folgt nach kurzzeitiger Besserung ein plötzlicher Fieberanstieg mit Kopfschmerzen und Erbrechen. Die betroffenen Patienten machen einen schwerkranken Eindruck und zeigen schließlich eine psychomotorische Verlangsamung, sowie die Symptome eines hirnorganischen Psychosyndroms. Häufig entwickelt sich eine Aphasie, eine leichte Hemiparese, ein Meningismus und fokale oder generalisierte epileptische Anfälle. Unbehandelt steigt der Hirndruck und es entwickelt sich eine Bewusstseinsminderung bis hin zum Koma.
Diagnostik
Serologie
Die Antikörpertiter im Blutserum steigen i.d.R. erst ab dem 7.-10. Tag nach Erkrankungsbeginn an, sodass sie erst retrospektiv zur Diagnose beitragen.
Liquordiagostik
Material
Für die Untersuchung werden 1 ml Liquor und 1 ml Serum benötigt.
Liquorbefund
Für die Diagnose einer HSV-Enzephalitis ist eine Liquoruntersuchung sinnvoll. Typischerweise sind im Liquor entzündliche Veränderungen zu erwarten:
- Lymphozytäre Pleozytose, initial können auch Granulozyten nachweisbar sein
- Zellzahl meist zwischen 10 – 500/µl
- evtl. Nachweis von Erythrozyten (hämorrhagische Enzephalitis)
- mäßige Erhöhung des Gesamteiweiß (bis 1,5 g/l)
- Laktat nur leicht erhöht (bis 4 mmol/l)
- Glukose normal oder leicht erniedrigt
Direkter Erregernachweis
Methode der Wahl in der Frühdiagnostik bei Verdacht auf eine Herpes-simplex-Enzephalitis ist der Nachweis von HSV-DNA im Liquor mittels PCR. Bei bestehendem klinischem Verdacht und initial negativem PCR sollte der Test im Verlauf nach etwa 3 bis 4 Tagen wiederholt werden.
Indirekter Erregernachweis
Die spezifische intrathekale Antikörperproduktion beginnt etwa ab der zweiten Krankheitswoche. In der Frühphase zeigt sich eine intrathekale IgM-Synthese, im Verlauf meist eine IgG-Synthese mit Nachweis von oligoklonalen IgG-Banden im Liquor.
Erregerspezifischer Antikörper-Index
Ab dem 10. Krankheitstag kann auch ein erregerspezifischer Antikörper-Index (AI) berechnet werden. Hierzu werden die Konzentrationen von IgG-Antikörpern im Liquor und Serum gegenübergestellt. Der AI berechnet sich wie folgt:
- AI = Liquor-HSV-IgG / Serum-HSV-IgG
Als Cut-off für einen positiven AI wird ein Wert ab 1,5 empfohlen.
Bildgebung
Das radiologische Bild der hämorrhagisch-nekrotisierenden Enzephalitis der temporo- und frontobasalen Hirnanteile ist frühstens ab dem 4. Erkrankungstag in der Computertomographie (CT) nachweisbar: Typisch sind hypodense Areale, die sich erst in einem (v.a. im linken), dann im anderen Temporallappen und im paramedianen, basalen Frontallappen ausdehnen. Weiterhin finden sich Zeichen der Zisternenverquellung.
In der Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels treten pathologische Veränderungen 2-3 Tage früher auf: Es zeigen sich Hyperintensitäten in der FLAIR-Wichtung mit Kontrastmittel-Enhancement sowie eine Diffusionsrestriktion in den betroffenen Arealen als Ausdruck eines zytotoxischen Ödems.
Elektroenzephalogramm
Im Elektroenzephalogramm (EEG) zeigen sich bereits mit Auftreten der ersten Symptome zunächst einseitige, temporal betonte Herdbefunde in Form von langsamen Wellen. Dann treten häufig rhythmische, triphasische Wellen sowie fokale, epileptische Aktivität und allgemeine Veränderungen hinzu. Etwa 6-8 Tage nach Beginn der Symptome treten periodische Komplexe hinzu, die dann bilateral über den Temporalregionen nachweisbar sind.
Hirnbiopsie
Eine Hirnbiopsie mit Nachweis von HSV-Antigen ist zwar sehr sensitiv, aber risikobehaftet und deshalb nur selten durchführbar.
Differenzialdiagnosen
Die klinische Unterscheidung zu anderen viralen Enzephalitiden (z.B. VZV, FSME-Virus, Adenoviren, Masern-Virus, CMV) ist schwierig. Weiterhin muss eine (septische) Sinusthrombose, ein Hirninfarkt sowie eine intrazerebrale Blutung mit Begleitinfektion erwogen werden.
Therapie
Virostatika
Bei Verdacht auf eine Herpes-simplex-Enzephalitis sollte unverzüglich Aciclovir verabreicht werden. Die Liquorspiegel von Aciclovir betragen 30-50 % des Plasmaspiegels, sodass bei ZNS-Infektionen höhere Dosen verabreicht werden: 10 mg/kgKG alle 8 Stunden bzw. 30 mg/kgKG/d für mindestens 10-14 Tage). Die Behandlung kann beendet werden, wenn in zwei Liquoruntersuchungen keine HSV-DNA nachweisbar ist.
Die wichtigste Nebenwirkung von Aciclovir ist eine transiente Nierenfunktionsstörung, meist durch Kristallisation von Aciclovir im Nierenparenchym. Diese kann durch langsame Infusion über eine Stunde und ausreichende Hydratation vermieden werden. Vor und während der Therapie sollte das Serumkreatinin bestimmt werden und ggf. eine Dosisanpassung erfolgen.
Weitere Virustatika, die zur Behandlung der HsE zugelassen sind, sind:
Im Falle einer Aciclovir-Resistenz kommt Foscarnet zum Einsatz. Hierbei ist eine verlängerte Einnahme von 21 Tagen zu beachten.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Weitere Therapien
Bis eine bakterielle Ursache ausgeschlossen ist, wird zusätzlich ein Breitsprektrumpenicillin wie z.B. Amoxicillin verabreicht.
Weitere Therapiemaßnahmen hängen von entsprechenden Symptomen und Befunden sowie dem Zustand des Patienten ab (z.B. Intubation oder Therapie eines epileptischen Anfalls mittels Antikonvulsiva). Diskutiert wird die Gabe von Glukokortikoiden, um sekundäre neuroimmunologische Effekte sowie die Entstehung einer Autoimmunenzephalitis zu unterdrücken.
Prognose
Ohne Behandlung versterben 70 % der Patienten. Unter frühzeitiger adäquater Therapie beträgt die Mortalität 20 %. Bei einem von drei Patienten zeigen sich nach der Behandlung neurologische Defizite (z.B. Paresen).
Literatur
- AWMF Leitlinie Virale Meningoenzephalitis, Stand 2018, abgerufen am 25.01.2023
- Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin. 2020 ABW Wissenschaftsverlag
- Laborlexikon.de; abgerufen am 18.03.2021