Burnout-Syndrom
von englisch: (to) burn out - ausbrennen
Synonym: Ausgebranntsein
Definition
Das Burnout-Syndrom bezeichnet einen Zustand, bei dem der Patient durch andauernden beruflichen Stress derart belastet ist, dass sich ein Zustand physischer und emotionaler Erschöpfung mit deutlich reduzierter Leistungsfähigkeit einstellt.
Hintergrund
Der Begriff "Burnout-Syndrom" geht auf Herbert Freudenberger zurück, der ihn 1974 als Erstautor beschrieb.[1] Seitdem findet der Begriff erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit, obwohl, oder vieileicht gerade weil seine Definition uneinheitlich ist. Es fehlen große und langfristig angelegte Studien zur Verbesserung der Evidenzlage bei Diagnostik und Therapie. So bleibt unklar, ob das Burnout-Syndrom als eigenständige Entität, als Vorstufe einer Depression, als mit einer Depression assoziierte Komorbidität, als Neurasthenie, als chronisches Erschöpfungssyndrom oder als Anpassungsstörung eingeordnet werden sollte.
Zum Teil wird Burnout auch als "Modekrankheit" angesehen oder dient als Ausweichbegriff, um die stigmatisierte Diagnose der Depression nicht verwenden zu müssen. Damit geht jedoch eine Trivialisierung der Diagnose einher.
Klassifikation
Das Burnout-Syndrom wird im ICD-11 als ein berufsbedingtes Phänomen und nicht als medizinische Erkrankung definiert. Es wird als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz beschrieben, der nicht erfolgreich bewältigt wurde. Das Burnout-Syndrom ist unter dem Abschnitt QD8 - “Probleme in Verbindung mit Arbeit oder Arbeitslosigkeit” eingeordnet und durch drei Dimensionen gekennzeichnet:[2][3]
- Gefühl der Erschöpfung
- zunehmende mentale Distanz zur Arbeit oder Gefühle von Negativismus oder Zynismus in Bezug auf die eigene Arbeit
- verminderte berufliche Effizienz
Außerhalb des beruflichen Kontexts wird das Burnout-Syndrom im ICD-11 in der Kategorie QF27- "Schwierigkeiten oder Bedarf an Unterstützung im Haushalt und kein anderes Haushaltsmitglied, das die Pflege übernehmen kann" erwähnt. Das Burnout-Syndrom bei pflegenden Angehörigen wird dann auch als "Burnout bei Pflegepersonen" beschrieben.
Ätiologie
Als Ursache eines Burnout-Syndroms im engeren Sinne zählt die lang anhaltende berufliche Überforderung. Diesbezügliche Risikofaktoren sind:
- zunehmende Arbeitsverdichtung
- Stress
- schlechte Arbeitsorganisation
- unklar geregelte Hierarchien und Befugnisse
- Mobbing am Arbeitsplatz
Die individuelle Vulnerabilität und Stresstoleranz muss hierbei berücksichtigt werden.
Epidemiologie
Es existiert aktuell (2022) keine wissenschaftlich gesicherte, allgemeingültige Aussage über die Prävalenz des Burnout-Syndroms.
Symptome
Die Beschwerden können sehr vielfältig sein. Zu den ersten Symptomen gehören meist Schlafstörungen: Betroffene wachen morgens zu früh auf oder können abends nicht einschlafen. Die Patienten können sich nicht mehr richtig erholen, sind weniger leistungsfähig und benötigen mehr Kraft, um die normalen Aufgaben zu bewältigen. Eigene Bedürfnisse werden verleugnet und soziale Kontakte eingeschränkt.
Nach der anfänglichen Phase des typischerweise erhöhten beruflichen Engagements verändert sich die Anspruchshaltung, sodass die Betroffenen enttäuscht und frustriert werden. Sie beklagen ein Gefühl der mangelnden Wertschätzung, einen Zynismus und eine abnehmende Empathie.
Meist entstehen im Verlauf weitere depressive Symptome (Gefühl der inneren Leere, Gefühl der Ohnmacht, Antriebslosigkeit) oder aggressive Symptome. Begleitende psychosomatische Beschwerden können sich in Form von Verdauungsbeschwerden, epigastrischen Schmerzen, Rücken- und Kopfschmerzen, erhöhter Infektanfälligkeit oder sexuellen Problemen manifestieren.
Diagnostik
Es existieren kein diagnostischer Algorithmus oder eindeutige Diagnosekriterien, um ein Burnout-Syndrom festzustellen. Einige Autoren verwenden das Maslach Burnout Inventar (MBI). Mit den drei Dimensionen "Emotionale Erschöpfung", "Depersonalisation" und "persönliche Leistungsfähigkeit" wird anhand der Summe der Skalenwerte häufig ein Burnout-Syndrom "diagnostiziert". Das MBI ist jedoch klinisch nicht validiert.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) kann von einem Burnout gesprochen werden, wenn sich ungewöhnliche Anforderungen der Arbeitswelt in vegetativen Stresssymptomen äußern, mehrere Wochen bis Monate anhalten und sich nicht in kurzen Erholungsphasen zurückbilden. Somit kann Burnout als ein Risikozustand gesehen werden, aus dem sich Folgekrankheiten wie eine Depression, Angsterkrankungen oder ein Tinnitus entwickeln kann.[4]
Einige Autoren sehen Differenzierungsmöglichkeiten zur Depression hinsichtlich:
- Reversibilität vs. Irreversibilität
- Angst und Wut vs. Trauer und Melancholie
- Überschätzung vs. Unterschätzung
Ein stark ausgeprägter Verlauf eines Burnouts ist meist nicht vom Vollbild einer Depression zu unterscheiden.
Therapie
In der Praxis werden unterschiedliche Ansätze zur Behandlung eines Burnout-Syndroms eingesetzt. Grundsätzlich sollte ein multimodale Therapie angestrebt werden.
Umfeldänderung
Bei einem berufsbedingten Burnout ist als kausaler Ansatz in erster Linie ein Wechsel der Position bzw. des Arbeitgebers zu erwägen.
Psychopharmaka
Symptomatisch können vorübergehend verschiedene Psychopharmaka zur adjuvanten Therapie eingesetzt werden. Dabei sind jedoch eine unzuverlässige Vorhersage des individuellen Therapieerfolgs sowie mögliche schwere Nebenwirkungen zu beachten.
- Erschöpfung, Müdigkeit: Stimulanzien wie Methylphenidat, Modafinil
- Schlafstörungen: GABA-Agonisten (Zolpidem, Zopiclon), sedierende Antidepressiva (Amitriptylin, Trazodon, Mirtazapin, Trimipramin)
- Muskuloskelettale Schmerzen: NSAR (Ibuprofen, Diclofenac), Paracetamol, Tramadol, Antidepressiva (Amitriptylin, Venlafaxin, Duloxetin)
- Stressregulation: Doxepin, atypische Neuroleptika (Quetiapin, Olanzapin), Benzodiazepine (Alprazolam, Diazepam, Lorazepam)
Phytopharmaka
Zur Phytotherapie beim Burnout gibt es nur wenige Berichte. Bei leichten Erschöpfungszeichen kann Baldrian oder Johanniskraut eingesetzt werden. Weiterhin empfehlen einige Autoren Adaptogene wie Panax Ginseng (koreanischer Ginseng), Eleutherococcus senticosus (Taigawurzel), Withania somnifera (Schlafbeere), Glycyrrhiza (Süßholz) und Rhodiola rosea (Rosenwurz). Während bei den meisten Phytopharmaka keine oder nur tiermedizinische Versuche existieren, besteht bei der Rhodiola rosea eine geringe humanmedizinische Evidenz bei fast auszuschließenden schweren Neben- und Wechselwirkungen. Es soll sich auf den biogenen Monoamin-Spiegel (Serotonin, Dopamin, Noradrenalin) im Gehirn und auf die Katecholamin-Ausschüttung auswirken und somit belastungsbedingte Schlafstörungen, Gereiztheit, Angespanntheit, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Leistungsmängel lindern. [5][6]
Verhaltenstherapie
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) wird beim Burnout häufig angewendet. Problematische Persönlichkeitsfaktoren werden identifiziert, soziale Kompetenzen, Emotionsregulation und Stressmanagement trainiert sowie Tagebücher geführt. Das Standardmodell nach Beck versucht die negative Weltsicht des Patienten und das negative Selbstbild zu relativieren, damit der Patient bestimmte Verhaltensmuster neu erlernt.[7] Meist werden dafür 15 bis 20 Sitzungen über 3 bis 4 Monate eingeplant. Young und Bamber erweiterten diese Therapieform um das Schemamodell, in dem frühkindliche Erfahrungen und die Ausbildung maladaptiver Schemata eine wichtige Rolle spielen.[8][9] Weiterhin existiert die Rational-Emotive-Therapie (RET) nach Ellis.[10] Sie versucht emotionale und Verhaltensreaktionen aufgrund von exogenen und endogenen Faktoren über eine zwischengeschaltete Bewertungsinstanz zu erklären. Die Stressimpfung nach Meichenbaum dient dem Erwerb von Kompetenzen, um Angst, Ärger und Schmerzen in belastenden Situationen zu bewältigen.[11] Ein fünfter KVT-Ansatz ist der Ressourcen- oder Salutogenese-Ansatz nach Hansch, bei dem vor allem das Positive und Gesunde gestärkt werden soll.[12]
Körperpsychotherapie
Nach Hillert und Marwirtz, Brühlmann und Jaggi existieren 4 E's als Basis der Burnout-Therapie:[13][14][15]
- Erkennen: Akzeptanz der Behandlungsbedürftigkeit
- Entlastung: Reduktion der Stressoren
- Erholung: Entspannen, Sport
- Ernüchterung: Durchsetzen von Eigenbedürfnissen je nach Situation, Reduktion des eigenen Perfektionismus, Abgrenzung gegenüber überzogenen Forderungen
Dabei reicht das Spektrum einer Körperpsychotherapie von kurzen Atemübungen über progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson und Lachyoga (Mandan Kataria) bis hin zum autogenen Training und Qigong.
Physiotherapie
Physiotherapeutisch kommen Massagen, Shiatsu, Aromatherapie, Wannenbäder, heiße Fangopackungen sowie moderates Ausdauertraining zum Einsatz.
Kunsttherapie
Zur Stressbehandlung können weiterhin musiktherapeutische Ansätze verwendet werden, meist jedoch nur in Kombination mit anderen Therapieformen.
Prävention
Es existiert eine Vielzahl an - insbesondere populärwissenschaftlicher - Literatur mit Strategien, um einen Burnout zu verhindern. Empfohlen wird zum Beispiel:
- Wahrnehmen und Berücksichtigen eigener Bedürfnisse
- Stressmanagement und Entspannung
- Stresstagebuch
- Pflegen von sozialen Kontakten
- Stärkung der Selbstakzeptanz und des Selbstbewusstsein
- Gesunde Lebensweise: Ausgewogene Ernährung, regelmäßiger Sport
- Frühzeitiges Suchen professioneller Hilfe
- Verbesserung des Arbeitsklima: Zeitmanagement, Karriereplanung, flexibles Arbeitszeitmodell, Abbau unrealistischer Erwartungen
Juristische Aspekte
Arbeitsplatzbezogene Interventionen zur Reduktion des Burnout-Risikos gehören zum Arbeitsschutz und zur Fürsorgepflicht von Arbeitgebern. Zielvorgaben müssen realistisch erreichbar sein und im Fall von Ausfällen eines Mitarbeiters müssen die Vorgaben zeitnah angepasst werden.
Bei Langzeiterkrankungen haben Arbeitgeber das Recht, das Arbeitsverhältnis zu beenden, wenn in den folgenden 24 Monaten keine Gesundheitsverbesserung zu erwarten ist und dem Arbeitgeber durch weitere Fehlzeiten unzumutbare Belastungen drohen. Dabei werden individuell die ökonomischen Interessen des Arbeitgebers gegen die Bestandschutzinteressen des Arbeitnehmers abgewogen.
Literatur
- Korczak D, Wastian M, Schneider M. Therapie des Burnout-Syndroms, Deutsche Agentur für HTA des Deutschen Instituts für medizinische Dokumentation und Information, Schriftenreihe Health Technology Assessment, Bd. 120, 1. Auflage, Köln 2012
- Hochstrasser B. et al. Burnout-Behandlung Teil 1: Grundlagen, Therapieempfehlungen des Schweizer Expertennetzwerks Burnout (SEB), Schweizerisches Medizin-Forum 2016; 15(25):538-541
- DGPPN, BÄK, KBV, AWMF: S3-Leitlinie Unipolare Depression, 2. Auflage, 2015
Quellen
- ↑ Freudenberger HJ. Staff Burn-out. Journal of Social Issues. 1974;30:159-65
- ↑ WHO - Burn-out an "occupational phenomenon": International Classification of Diseases, abgerufen am 30.05.2022
- ↑ BfArM - ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung, abgerufen am 30.05.2022
- ↑ Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde: Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout, 07.03.2012, abgerufen am 05.08.2019
- ↑ Darbinyan V et al. Rhodiola rosea in stress induced fatigue--a double blind cross-over study of a standardized extract SHR-5 with a repeated low-dose regimen on the mental performance of healthy physicians during night duty, Phytomedicine. 2000 Oct;7(5):365-71, abgerufen am 05.08.2019
- ↑ Spasov AA et al. A double-blind, placebo-controlled pilot study of the stimulating and adaptogenic effect of Rhodiola rosea SHR-5 extract on the fatigue of students caused by stress during an examination period with a repeated low-dose regimen, Phytomedicine. 2000 Apr;7(2):85-9., abgerufen am 05.08.2019
- ↑ Beck AT. Cognitive Therapy and the Emotional Disorders, 1976, New York, International Universities Press
- ↑ Young JE et. al. Schema therapy: A practitioner's guide, New York, NY, US: Guilford Press 2003, abgerufen am 05.08.2019
- ↑ Bamber MR CBT for occupational stress in health professionals: Introducing a schema-focused approach, Routledge/Taylor & Francis Group, New York, 2006, abgerufen am 05.08.2019
- ↑ Ellis A. Grundlagen und Methoedn der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie, 1997, Stuttgart, Pfeiffer
- ↑ Meichenbaum D. Cognitive Behavior Modification: An Integrative Approach. Springer, 1997
- ↑ Hansch D, Erfolgreich gegen Depression und Angst. 2001. Berlin, Heidelberg, Springer
- ↑ Hillert A, Marwitz M. Die Burnout-Epidemie oder brennt die Leistungsgesellschaft aus? 2006. München, C.H. Beck
- ↑ Brühlmann T. Was ist Burnout? Praxis 2007; 96(22): 901-905
- ↑ Jaggi F. Burnout-Praxisnah. 2008. Stuttgart, Thieme
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