Mobbing am Arbeitsplatz
Definition
Hintergrund
Mobbing am Arbeitsplatz ist ein komplexes psychosoziales Phänomen, das in der Forschung seit den 1980er-Jahren intensiv untersucht wird. Das Konzept geht wesentlich auf die Arbeiten von Heinz Leymann und Ståle Einarsen zurück. Demnach wird Mobbing in der Arbeitswelt als ein prozesshaftes Geschehen verstanden, bei dem eine Person wiederholt und über längere Zeit negativen, feindseligen oder schädigenden Verhaltensweisen ausgesetzt ist. Diese Verhaltensweisen – z. B. Ausgrenzung, Bloßstellung, Schikane oder systematischer Informationsentzug – werden von der betroffenen Person als unerwünscht erlebt und lösen häufig ein Gefühl von Wehrlosigkeit oder Hilflosigkeit aus. Entscheidend ist dabei nicht nur die Art der Handlung, sondern auch deren Persistenz und Häufung über Wochen oder Monate.
Ein zentrales Merkmal von Mobbing ist zudem das ungleiche Machtverhältnis – real oder subjektiv wahrgenommen –, das es der betroffenen Person erschwert, sich wirksam zur Wehr zu setzen. Mobbing kann dabei hierarchisch von oben nach unten (top-down), auf gleicher Ebene (horizontal) oder seltener auch von unten nach oben (bottom-up) erfolgen.
Im beruflichen Kontext geht Mobbing häufig mit erheblichen arbeitsbezogenen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen einher, darunter reduzierte Leistungsfähigkeit, innere Kündigung, psychische Erkrankungen und langfristige Arbeitsunfähigkeit.
Epidemiologie
Ungefähr 6,5 % der Arbeitnehmer in Deutschland sollen von Mobbing am Arbeitsplatz betroffen sein, bei jüngeren Beschäftigten (18–29 Jahre) wird die Prävalenz mit 11,4 % angegeben.[1] Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Etwa 2/3 der Mobbingopfer sind Frauen. Die höchsten Mobbingraten bestehen in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheits- und Sozialbereich. In ca. 50 % der Fälle beteiligen sich Vorgesetzte am Mobbing.
Auslöser
Die Entstehung von Mobbing am Arbeitsplatz ist multikausal und beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von organisatorischen Rahmenbedingungen, sozialen Dynamiken und individuellen Dispositionen der beteiligten Personen.
Zu den arbeitsorganisatorischen Risikofaktoren zählen eine unklare Aufgabenverteilung, mangelhafte Führungskompetenz, ineffektive Kommunikationsstrukturen sowie ein negatives Betriebsklima. Auch hoher Konkurrenzdruck, geringe Arbeitsplatzsicherheit und eine fehlende Fehlerkultur können Mobbing begünstigen.
Auf individueller Ebene können Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen (z.B. vermeidend, introvertiert, nonkonform) ebenso eine Rolle spielen wie Eigenschaften der Täter, etwa narzisstische oder impulsive Verhaltensmuster. Auch bestehende interpersonelle Konflikte können als Auslöser wirken.
Formen
Die Täter entwickeln Strategien, wie sie ihren Opfern gezielt schaden können, wie z.B.:
- Kompetenzentzug
- Zuweisung von sinnlosen Tätigkeiten
- Soziale Isolation des Opfers
- Angriffe auf die Person und die Privatsphäre des Opfers
- Sexuelle Belästigungen
- Verbale Angriffe (z.B. Drohungen oder Verbreiten von Gerüchten)
Klinik
Aufgrund der enormen psychischen Belastungen für das Opfer kann es zu zahlreichen Symptomen oder Erkrankungen kommen, wie z.B.:
Diagnostik
Bei unspezifischen Beschwerden sollte im Rahmen einer strukturierten Anamnese exploriert werden, ob Mobbing vorliegt. Ist dies der Fall, sollten Dauer, Frequenz und Kontext und Art des Machtgefälles erfasst werden. Ein Screening auf Depressivität, Angststörungen, PTBS-Symptome und Suizidalität ist empfehlenswert.[2][3]
Neben der klinischen Beurteilung haben sich zwei Messansätze etabliert:
- "Behavioral Experience"-Vorgehen: Iteminventare zu möglichem Mobbingverhalten mit Erfassung von Frequenz und Dauer, ohne Verhaltensweisen vorab als "Mobbing" zu klassifizieren[4]
- "Self-Labeling"-Vorgehen: Selbsteinschätzung, ob eine Person selbst Opfer von Mobbing geworden ist[4][5]
Es stehen strukturierte Assessmentinstrumente zur Verfügung:
- Negative Acts Questionnaire (NAQ/NAQ-R): validiertes Instrument zur Erfassung arbeitsplatzbezogenen Mobbings; hohe Reliabilität und Validität in verschiedenen Sprachen und Berufsgruppen[6][7][8]
- Leymann Inventory of Psychological Terror (LIPT): 45 Verhaltensindikatoren; wird insbesondere in arbeitsmedizinischen Studien und Prävalenzerhebungen eingesetzt[9]
- Self-Labeling-Einzelitems (z.B. Olweus/BVQ-Ansatz): Monitoring der Prävalenz; in Verbindung mit NAQ oder LIPT empfohlen[4]
Maßnahmen und Prävention
Die Unterbrechung eines Mobbingprozesses erfordert ein strukturiertes, mehrstufiges Vorgehen, das sowohl individuelle als auch organisatorische Ebenen berücksichtigt.
Auf individueller Ebene kann ein klärendes Gespräch zwischen betroffener und mobbender Person hilfreich sein, idealerweise im Beisein einer neutralen Vermittlungsperson (z. B. Mediator). Die Dokumentation des Mobbinggeschehens in Form eines Mobbing-Tagebuchs dient der rechtlichen und therapeutischen Aufarbeitung.
Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung kommen insbesondere kognitive Verhaltenstherapie, Verhaltensanalyse und die Entwicklung eines individuellen Coping-Konzepts zum Einsatz. Ziel ist es, die psychische Stabilität wiederherzustellen, Selbstschutzstrategien zu stärken und eine tragfähige Arbeits- und Lebensperspektive zu entwickeln. Bei anhaltender Belastung kann ein Arbeitsplatzwechsel für den Betroffenen notwendig sein.
Präventiv wirksam sind vor allem multimodale Konzepte auf betrieblicher Ebene. Dazu zählen:
- ein standardisiertes Meldewesen für psychosoziale Vorfälle
- die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen gemäß Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
- strukturelle Anpassungen von Arbeitsabläufen und Führungsprozessen
- Teamentwicklungsmaßnahmen und Supervision
Reine Schulungen oder Informationsveranstaltungen zeigen hingegen geringe Effektstärken in der nachhaltigen Prävention.[10][11]
Quellen
- ↑ DGUV Forum – Mobbing am Arbeitsplatz – Ergebnisse einer repräsentativen Studie für Deutschland, abgerufen am 15.09.2025
- ↑ Andrews et al., Bullying and the Abuse of Power, Int J Bullying Prev, 2023
- ↑ Moore et al., Consequences of bullying victimization in childhood and adolescence, World Journal of Psychiatry, 2017
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Green et al., Identifying Bully Victims: Definitional versus Behavioral Approaches, Psychol Assess, 2012
- ↑ Nielsen et al., Assessing Workplace Bullying and Its Outcomes: The Paradoxical Role of Perceived Power Imbalance, Frontiers in Psychology, 2022
- ↑ Nielsen et al., Assessment of workplace bullying: reliability and validity of five measurement instruments, BMJ Open, 2018
- ↑ Contreras et al., Psychometric Analysis of the Negative Acts Questionnaire in Spanish-speaking Workers, 2024
- ↑ Dalmolin et al., Bullying among nursing professionals in Brazil: validity and reliability of the NAQ-R, 2024
- ↑ Zachariadou et al., Prevalence and Forms of Workplace Bullying Among Health-care Professionals in Cyprus: Greek Version of the LIPT Questionnaire, Safety and Health at Work, 2018
- ↑ Roberts et al., A Systematic Review: Effectiveness of Interventions to De-escalate Lateral Violence and Workplace Bullying, 2021
- ↑ World Health Organization (WHO): Guidelines on Workplace Violence in the Health Sector, 2003