Hereditäre ATTR-Amyloidose
Definition
Bei der hereditären ATTR-Amyloidose, kurz hATTR oder ATTRm, handelt es sich um eine seltene, autosomal-dominant vererbte Amyloidose, bei der durch verschiedene Mutationen im TTR-Gen abnorm gefaltete Transthyretin-Varianten gebildet werden.
Genetik
Es sind mehr als 150 verschiedene amyloidogene Mutationen bekannt, die sich unterschiedllich manifestieren. Die häufigste Mutation ist Val30Met (V30M). Weitere relevante Mutationen sind Thr60Ala (T60A) und Val122Ile (V122I). Letztere kommt bei bis zu 4 % der afroamerikanischen Bevölkerung vor und ist mit einer spät auftretenden kardialen Amyloidose assoziiert.
Symptome
Die klinische Symptomatik wird durch die fortschreitende Ablagerung des abnormen Transthyretins in Nervensystem, Herz, Nieren, Augen, Sehnen und/oder Bändern geprägt. Bei primärem Befall des Nervensystems wird diese Erkrankung auch als familiäre Amyloidpolyneuropathie (FAP) gelabelt, bei hauptsächlichem Befall des Herzens als familiäre Amyloidkardiomyopathie (FAC). Diese ältere symptomatische Einteilung ignoriert jedoch die Tatsache, das sich die meisten TTR-Mutationen sowohl im Nervengewebe als auch in der Herzmuskulatur ablagern.
Zu den möglichen Symptomen zählen:
- Allgemeinsymptome (Gewichtsverlust, Nausea, Fatigue, Schlafstörungen)
- periphere sensomotorische Neuropathie: initial der unteren Extremität, später auch der oberen Extremität
- autonome Neuropathie: Störung der Darmmotorik (Diarrhö, Gewichtsverlust), orthostatische Hypotonie, Impotenz, Störung der Blasenmotorik
- Herzinsuffizienz (Restriktive Kardiomyopathie)
- Sehstörungen: Glaskörpertrübungen
- Nierenfunktionsstörungen
- Schilddrüsenfunktionsstörungen
Der Onset der Symptome ist bei nicht verwandten Merkmalsträgern interindividuell sehr unterschiedlich. Die Erkrankung kann sich bereits in einem Alter von 20 Jahren manifestieren, in einigen Fällen aber erst im Senium. Die Korrelation zwischen Mutation und Symptomatik ist generell gering. Innerhalb einer Familie ist der Verlauf und die klinische Symptomatik jedoch relativ konsistent.
Diagnostik
Die TTR-Mutationen können molekulargenetisch durch einen Gentest nachgewiesen werden. Aufgrund der relativ spät einsetzenden und uncharakteristischen Symptomatik wird dieser Diagnosepfad jedoch selten direkt beschritten. Maßnahmen, die zur Diagnose führen können sind:
- Familienanamnese
- Neurologische Untersuchung
- Labor (Troponin, BNP, NT-proBNP)
- EKG (Niedervoltage trotz linksventrikulärer Wandverdickung)
- Bildgebung:
- MRT
- CT
- Tc-99m-DPD-Szintigraphie: Darstellung der Amyloidverteilung
- Biopsie und Immunhistochemie
Die durchschnittliche Zeit bis zur Diagnosestellung beträgt 4 Jahre.
Therapie
Medikamentöse Therapie
Medikamentöse Therapieansätze sind:
- TTR-Stabilisatoren (z.B. Diflunisal, Tafamidis, Tafamidis-Meglumin): Thyroxinmimetische Moleküle, die Transthyretin-Tetramere stabilisieren, sodass die Dissoziation in ein Monomer mit anschließender Fehlfaltung und Fibrillenaggregation verhindert wird.
- Patisiran, Vutrisiran (siRNAs) und Inotersen (Antisense-Oligonukleotid): Suppression der TTR-Produktion
Darüber hinaus werden verschiedene Arzneistoffe supportiv zur Linderung der Symptomatik eingesetzt.
Chirurgische Therapie
Eine orthotope Lebertransplantation entfernt den Hauptproduktionsort des veränderten Transthyretins, kann die Krankheitsprogression verlangsamen und das Überleben verbessern.
Eine bereits vorhandene sensorimotorische Neuropathie ist irreversibel. Bei älteren Patienten mit familiärer Amyloidkardiomyopathie oder fortgeschrittener Polyneuropathie kommt es oft trotz erfolgreicher Lebertransplantation zur einer Progression der Erkrankung. Diese entsteht meist durch Akkumulation von Wildtyp-Transthyretin in den Ablagerungen, die v.a. aus mutiertem TTR bestehen. Bei Kardiomyopathie kann auch eine Herztransplantation erwogen werden.
Prognose
Die Überlebenszeit nach Diagnose einer ATTR-Amyloidose beträgt unbehandelt 5-15 Jahre.