Medikamentöse Tuberkulosetherapie
Definition
Unter medikamentöser Tuberkulosetherapie versteht man die kurative Behandlung einer nachgewiesenen Tuberkulose mit Antituberkulotika.
Besonderheiten
Grundsätzlich sind bei den Erregern der Tuberkulose folgende Besonderheiten zu berücksichtigen:
- Mycobacterium tuberculosis weist eine besonders hydrophobe Zellwand auf.
- Der Erreger hat lange Generationszeiten (langsames Wachstum).
- Es besteht eine lange intrazelluläre Persistenz in Makrophagen.
- Die hohe Mutationsrate begünstigt eine Resistenzentwicklung.
Diesen Besonderheiten wird mit der Auswahl der verwendeten Mittel und dem Therapieschema Rechnung getragen.
Arzneistoffe
Standardtherapeutika
Bei der Standardtherapie werden folgende Dosierungen empfohlen:[1]
Wirkstoff | Dosis (mg/kgKG) |
Dosisbereich (mg/kgKG) |
Minimale / Maximale Dosis (mg) |
Dosis (mg) bei 70 kgKG |
---|---|---|---|---|
Isoniazid | 5 | 4 bis 6 | 200 / 300 | 300 |
Rifampicin | 10 | 8 bis12 | 450 / 600 | 600 |
Pyrazinamid | 25 | 20 bis 30 | 1.500 / 2.500 | 1.750 |
Ethambutol | 15 | 15 bis 20 | 800 / 1.600 | 1.200 |
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Reservetherapeutika
Reservemittel sollten nur bei Resistenzen oder absoluten Kontraindikationen gegen Mittel der Standardtherapie zum Einsatz kommen. Mögliche Reservemittel sind:[1]
- Amikacin (Am)
- Aminoglykoside (AG)
- Amoxicillin/Clavulansäure (Amx/Clv)
- Bedaquilin (Bdq)
- Carbapeneme: Imipenem/Cilastin (Ipm-Cln) ); Meropenem (Mpm)
- Clofazimin (Cfz)
- Cycloserin (Cs)
- Delamanid (Dlm)
- Ethionamid (Eto)
- Fluorchinolone (FQ): Levofloxacin (Lfx) ; Moxifloxacin (Mfx)
- Linezolid (Lzd)
- Para-Aminosalicylsäure (PAS)
- Pretomanid
- Protionamid (Pto)
- Rifabutin (Rfb)
- Rifapentin (RPT, P)
- Streptomycin (SM, S)
- Terizidon (Trd)
Alternative Therapieschemata
Zu ersetzendes Arzneimittel | Alternatives Therapieschema |
---|---|
Rifampicin | Bedaquilin + Levofloxacin + Linezolid + Isoniazid für 18 Monate (ggf. kürzer) |
Isoniazid | Rifampicin + Levofloxacin + Pyrazinamid + Ethambutol für 6 Monate alternativ: Rifampicin + Levofloxacin + Ethambutol für 9 Monate |
Pyrazinamid | Rifampicin + Isoniazid + Ethambutol für 3 Monate, dann 6 Monate Rifampicin + Isoniazid |
Wirkstoffe in klinischer Testung
Zurzeit (2024) in Entwicklung befindliche Wirkstoffe sind u.a.:[2]
- Ganfeborol ist ein Inhibitor der Leucyl-tRNA-Synthetase. In einer Phase-IIa-Studie wurde eine sichere und effektive Behandlung der Lungentuberkulose gezeigt.
- Oxadiazol-Derivate werden entwickelt, um durch eine Hemmung des EXS-1-Systems von Mycobacterium tuberculosis[3] die Virulenz des Erregers zu schwächen und die Wirksamkeit der Antibiotika zu steigern.
- Benzothiazinon-Antiobiotika (BTZ-043) sind in Entwicklung befindliche Hemmstoffe der Zellwandsynthese der Tuberkulosebakterien. Bisher (2024) wurde in Phase-I/II-Studien ihre Sicherheit und Wirksamkeit geprüft.
- Im internationalen UNITE4TB-Programm werden in Phase-IIb/c-Studien 14 Wirkstoffkombinationen von neun etablierten und zwei neuen Wirkstoffkandidaten (darunter BTZ-043) geprüft, um verbesserte Therapieschemata zu entwickeln.
Resistenzen
Die Entwicklung von Resistenzen oder die Erkrankung durch Infektion mit resistenten Keimen ist eine gefürchtete Komplikation der Tuberkulose und erschwert die Therapie immens. In Wildstämmen liegen bereits sporadisch Resistenzen gegen Antituberkulotika vor. Diese sind bei einer Mehrfachtherapie jedoch kein Problem. Eine Einfachtherapie hingegen fördert die Ausbildung neuer Resistenzen und sollte unterlassen werden.
Unter den resistenten Erregern unterscheidet man:
- Einfachresistenz: In Deutschland sind etwa 10 bis 15 % der Tuberkulose-Erreger resistent gegenüber einem Antituberkulotikum.
- Mehrfachresistenz: Etwa 2 % der Stämme in Deutschland sind multiresistent (MDR-Tb), das heißt, sie sind auf jeden Fall resistent gegenüber Isoniazid und Rifampicin.
Praktisches Vorgehen
Es besteht Konsens über folgendes Vorgehen:[1]
- Initiale Behandlung mit einer Vierfachkombination aus Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) für 8 Wochen.
- Danach folgt eine Therapie für weitere vier Monate mit einer Zweifachkombination aus Rifampicin und Isoniazid.
- Eine Dreifachtherapie (INH, RMP, PZA) soll in der Initialphase nicht eingesetzt werden.
- Die Standardtherapie erfolgt nur mit den Medikamenten INH, RMP, PZA und EMB. Bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation gegen eine Substanz der Standardtherapie ist wie bei einer Monoresistenz gegenüber der unverträglichen Substanz zu verfahren.
- Die Standardtherapie wird beim Eintreffen der Ergebnisse der Resistenztestung überprüft.
- Nach einer Therapieunterbrechung, die länger als 2 Monate gedauert hat, wird die Standardtherapie neu begonnen. Nach Unterbrechung aufgrund mangelnder Adhärenz soll eine direkt überwachte Therapie durchgeführt werden.
- Die Behandlung während der Schwangerschaft erfolgt durch eine Standardtherapie in Kombination mit Pyridoxin (Vitamin B6). Die Wirksamkeit einer oralen Kontrazeption ist unter der Therapie nicht sicher, da Rifampicin ein potenter CYP3A4-Induktor ist.
Sollte sich bei bereits begonnener Therapie im eingehenden Befund des Antibiogramms eine Resistenz zeigen, kann kurzfristig umgestellt werden.
Bei multiresistenter Tuberkulose werden drei Wirkstoffgruppen unterschieden:
- Gruppe A: Bedaquilin, Moxifloxacin, Levofloxacin, Linezolid
- Gruppe B: Clofazimin, Cycloserin/Terizidon
- Gruppe C: Ethambutol, Delamanid, Pyrazinamid, Imipenem-Cilastin, Meropenem, Amikacin, Streptomycin, Ethionamid, Protionamid, p-Aminosalicylsäure
Es wird eine Vierfachkombination aus Wirkstoffen der Gruppe A und B abhängig vom Resistogramm des Erregers empfohlen. Wirkstoffe der Gruppe C kommen zum Einsatz, wenn die Wirkstoffe aus A und B aufgrund der Resistenzbestimmung nicht ausreichend sind. Dann sollten bevorzugt Carbapeneme eingesetzt werden.
Insgesamt wird unter Berücksichtigung von Resistenzen 6 bis 9 Monate behandelt, bei Immundefizienz u.ä. länger. Eine sechsmonatige Behandlung genügt in der Regel bei einer unkomplizierten Primärtuberkulose mit Affektion der Hiluslymphknoten, eine neunmonatige Therapie ist bei komplizierteren kavernösen Lungentuberkulosen indiziert.
Durch die lange Therapie werden auch temporär ruhende Keime erfasst, die zeitweise stoffwechselaktiv werden. Tritt unter der Therapie ein Verdacht auf Resistenzbildung ein, sollten alle Antituberkulotika für 3 Tage abgesetzt und neues Untersuchungsmaterial für ein Antibiogramm gewonnen werden.
Bestehen Mehrfachresistenzen oder Kontraindikationen, die ein Ausweichen auf Reservemittel notwendig machen, ist der Behandlungszeitraum länger anzusetzen.
Ergänzende Therapieformen
Sind das Zentralnervensystem, die Knochen oder die Gelenke betroffen oder handelt es sich um eine Miliartuberkulose, sollte die Therapiedauer auf bis zu zwölf Monate verlängert und gegebenenfalls durch eine systemische Glukokortikoid-Therapie erweitert werden.
Der initiale Einsatz von Glukokortikoiden kann bei einer tuberkulösen Meningitis und Nebennierenrindeninsuffizienz angebracht sein.
Bei frustraner medikamentöser Therapie können chirurgische Maßnahmen (z.B. Lungenteilresektion) erwogen werden.
Nebenwirkungen
Die Antituberkulotika weisen zahlreiche Nebenwirkungen auf, die potentiell gefährliche Folgen haben können. Daher sollten unter der Therapie, je nach verwendetem Präparat, regelmäßig Kontrollen stattfinden, beispielsweise:
- Kontrollen der Transaminasen (Isoniazid)
- Kontrollen der Harnsäure (Pyrazinamid)
- Augenärztliche Kontrollen bei Ethambutol (selten Retrobulbärneuritis)
- Ohrenärztliche Kontrollen (Tonschwellenaudiogramm) und Retentionswerte bei Streptomycin (Ototoxizität, Nephrotoxizität)
Weblink
- Youtube – Probleme der Tuberkulosetherapie
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 S2k-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter. AWMF Registernummer 020 - 019, abgerufen am 25.03.2024
- ↑ Martensen J, Kandulla J. Fortschritte in der Therapie der Tuberkulose. Ein Update. Arzneimitteltherapie 2023
- ↑ Wong KW. The Role of ESX-1 in Mycobacterium tuberculosis Pathogenesis. Microbiol Spectr. 2017