Hypoglossusparese
Definition
Als Hypoglossusparese wird eine Lähmung des Nervus hypoglossus bezeichnet.
Hintergrund
Der Nervus hypoglossus (zwölfter Hirnnerv) innerviert motorisch die Zungenmuskulatur. Sein Kerngebiet, der Nucleus nervi hypoglossi, liegt unter dem Boden des vierter Ventrikel|vierten Ventrikels und reicht bis zum unteren Abschnitt der Medulla oblongata. Die Nervenfasern treten aus dem Hirnstamm zwischen Pyramide und unteren Olive aus und verlassen den Schädel durch den Canalis nervi hypoglossi, um zu den Zungenmuskeln zu ziehen.
Einteilung
Je nach Höhe der Schädigung unterscheidet man zwischen zentraler und nukleärer bzw. peripherer Parese.
Zentrale Hypoglossusparese
Eine zentrale Hypoglossusparese entsteht durch eine Läsion des Tractus corticonuclearis, z.B. durch einen Mediainfarkt. Aufgrund der bilateralen kortikalen Innervation können zentrale Lähmungen bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden. Atrophien oder Faszikulationen kommen nicht vor.
Bei einer Pseudobulbärparalyse kann eine beidseitige Zungenparese entstehen. Sie ist meist durch eine bilaterale vaskuläre Schädigung der kortikobulbären Bahnen bedingt. Aufgrund der vollständigen Unbeweglichkeit der Zunge entstehen schwere Sprech- und Schluckstörungen. Weiterhin zeigt sich eine Steigerung der perioralen Reflexe.
Periphere Hypoglossusparese
Bei einer Läsion des Nucleus nervi hypoglossi bzw. im peripheren Verlauf des Nervus hypoglossus entsteht eine ipsilaterale Zungenparese mit Atrophie und Faszikulationen. Durch Überwiegen des Musculus genioglossus der gesunden Seite kommt es beim Herausstrecken zu einer Abweichung zur gelähmten Seite. Wenn der Patient mit der Zunge gegen die Wange drückt, lässt sich die Schwäche von außen palpieren. Ein schnelles Hin- und Herbewegen der Zunge ist nicht möglich. Das Sprechen ist mühsam, insbesondere für linguale (l, r) und dentale (d, t, n, s) Laute.
Begleitsymptome sind differenzialdiagnostisch wegweisend. Eine einseitige Hypoglossusparese bei kontralateraler Hemiparese und Hinterstranghypästhesie ist beispielsweise typisch für das Jackson-Syndrom.
Ursachen
Zentrale Hypoglossusparese
Eine einseitige zentrale Hypoglossusparese kann durch kontralaterale Blutungen oder Ischämien im Bereich der kortikonukleären Bahn entstehen. Bei einer Pseudobulbärparalyse oder einem Foix-Chavany-Marie-Syndrom kann eine beidseitige zentrale Hypoglossusparese auftreten.
Periphere Hypoglossusparese
Nukleäre Läsion
Typische Ursachen für eine nukleäre Läsion sind:
- medialer Hirnstamminfarkt (Jackson-Syndrom)
- Motoneuronerkrankung (z.B. amyotrophe Lateralsklerose)
- Poliomyelitis
- Syringobulbie
- multiple Sklerose
- Neoplasien: Metastasen oder Gliom
Läsion im Nervenverlauf
Eine Läsion im Verlauf des Nervus hypoglossus entsteht z.B. durch:
- extramedulläre intrakranielle Prozesse:
- Anomalien des kraniozervikalen Übergangs (Platybasie, Arnold-Chiari-Malformation)
- Neoplasien: Chordom, Neurinom
- Morbus Paget
- Osteomyelitis des Klivus
- atlantoaxiale Instabilität (z.B. bei rheumatoider Arthritis)
- Prozesse am Canalis nervi hypoglossi:
- Metastasen, HNO-Tumore, Glomustumore, Lymphome
- Granulome (z.B. bei Granulomatose mit Polyangiitis oder Sarkoidose)
- periphere Läsion:
Unklare Lokalisation
Des Weiteren existieren periphere Paresen, bei denen eine genaue Zuordnung des Läsionsortes nicht ohne weiteres möglich ist, z.B.:
- Guillain-Barré-Syndrom
- Zoster
- Bickerstaff-Enzephalitis
- Mononukleose
- Botulismus
- Intoxikationen: Blei-, Arsen-, Kohlendioxidintoxikation
- Möbius-Syndrom: seltene Anlagestörung der Fazialis- und Abduzenskerne sowie seltener des Hypoglossuskern
- Nacken-Zungen-Syndrom: bewegungsabhängige Nackenschmerzen und Gefühlsstörungen der ispilateralen Zungenhälfte durch Läsion afferenter lingualer Fasern, die mit dem Nervus hypoglossus zu den spinalen Nervenwurzeln in Höhe C2 ziehen. Vermutet werden degenerative oder traumatische Veränderungen der Halswirbelsäule oder atlantoaxiale Entzündungen (z.B. bei rheumatoider Arthritis).