Botulismus
von lateinisch: botulus - Wurst (als auslösendes Nahrungsmittel)
Englisch: botulism
Definition
Als Botulismus wird der nach einer Intoxikation mit Botulinumtoxin auftretende Symptomkomplex bezeichnet.
Pathogenese
Der Botulismus tritt im Allgemeinen nach Verzehr Botulinumtoxin-haltiger Nahrungsmittel auf und ist nicht auf eine Infektion des Organismus mit Clostridium botulinum zurückzuführen. Ein Botulismus kann jedoch auch als Wundbotulismus nach Wundinfektion oder als Säuglingsbotulismus nach Besiedlung des Gastrointestinaltraktes durch Clostridium botulinum auftreten.
Toxikologie
Botulinumtoxin ist ein extrem giftiges Neurotoxin, von dem bisher 7 Subtypen identifiziert wurden. Nach Endozytose des Toxins in die Nervenendigung kommt es zur Spaltung von
- SNAP-25 (synaptosome-associated protein of 25kDa) durch Botulinumtoxin A und E
- Synaptobrevin durch die Botulinumtoxine B, D, F und G
- oder Syntaxinen durch Botulinumtoxin C.
Jeder dieser Prozesse hat zur Folge, dass synaptische Vesikel, die Acetylcholin enthalten, nicht mehr mit der Membran verschmelzen können und der Neurotransmitter den synaptischen Spalt nicht erreicht. Die neuro-muskuläre Übertragung wird somit unterbrochen. Die Letaldosis von Botulinumtoxin A für einen 70 kg schweren Menschen beträgt bei:[1]
- parenteraler Zufuhr: 90 bis 150 ng
- inhalativer Aufnahme: 700 ng
- bei oraler Gabe: 70 µg
Epidemiologie
Der Botulismus tritt in Form kleiner Epidemien oder als Einzelerkrankung auf. Dabei spielt als Ursache vor allem der Verzehr fehlerhaft haltbar gemachter Konserven und Fleischprodukte eine Rolle. Unter Luftabschluss (anaerob) und Nahrungsangebot in Form der kontaminierten Nahrungsmittel wächst Clostridium botulinum außerordentlich gut und produziert hohe Mengen des Toxins.
Der Botulismus ist meldepflichtig. Im Sinne der Prävention sollte die Quelle des Botulinumtoxins ausfindig gemacht werden. Dadurch können möglicherweise fehlerhaft hergestellte und kontaminierte Lebensmittel rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen werden.
Der Säuglingsbotulismus, der bei Neugeborenen und Säuglingen zwischen dem 1. und 12. Lebensmonat auftritt, ist selten.
Klinik
Die Intoxikation mit Botulinumtoxin beginnt in der Regel unspezifisch mit Nausea, Erbrechen, Diarrhoe und Schwindel. Nach einer Latenz von 12-36 Stunden werden diese Frühsymptome durch spezifische Spätsymptome abgelöst:
- Muskulatur
- Proximal betonte Schwäche der Skelettmuskulatur
- Dysphagie
- Dysarthrie (Sprechstörung)
- Ptosis
- Herabgesetzte Sehnenreflexe
- Autonomes Nervensystem
Die neurologischen Symptome beginnen meistens mit Lähmungen der Augenmuskeln (Doppelbilder, Akkomodationsstörungen). Durch Lähmung weiterer Hirnnerven und Übergreifen kommt es zu weiteren Symptomen. Lebensgefahr besteht vor allem bei der Affektion peripherer Nerven mit Atemlähmung.
Merkhilfe
Eine Merkhilfe für den Symptomkomplex, der bei einer Intoxikation mit Botulinumtoxin entsteht, sind die sogenannten "4 D's'":[3]
- Dysarthrie
- Diplopie
- Dysphagie
- Dyspnoe
Diagnostik
Die Toxine kann man in Serum, Stuhl, Erbrochenem, Wundabstrich oder asservierten Lebensmitteln nachweisen, zum Beispiel mittels Bioassays, durch Massenspektrometrie oder immunologisch (ELISA). Der Erregernachweis erfolgt durch molekulargenetische Verfahren, wie die quantitative Multiplex-PCR.
Der Erreger kann unter strikt anaeroben Bedingungen kultiviert werden (z.B. auf Blutagar), was jedoch eine untergeordnete Rolle spielt. Die Kultivierung nimmt viel Zeit in Anspruch und kann nur bei Säuglings- und Wundbotulismus angewendet werden. Beim lebensmittelbedingten Botulismus ist eine Anzucht nicht zielführend, da nur das Toxin mit der Nahrung aufgenommen wird.[4]
Therapie
Als Sofortmaßnahme steht die symptomatische Therapie der Lähmungserscheinungen mit intensivmedizinischer Überwachung und Stützung der Vitalfunktionen (Herzschrittmacher, Harnableitung etc.) sowie maschineller Beatmung im Vordergrund. Supportiv kann auch die Gabe von Cholinesterasehemmern sinnvoll sein, die Indikation ist jedoch auf Grund des Nebenwirkungsprofils kritisch zu stellen.[4]
Zirkulierende Toxine können durch Verabreichung eines Antitoxins neutralisiert werden. Die Antitoxingabe kann die weitere Aufnahme des Toxins in die Körperzellen verhindern und ist deshalb nur in den ersten 48 Stunden nach Ingestion eines toxinhaltigen Nahrungsmittels sowie bei Wundbotulismus mit rasch fortschreitender neurologischer Symptomatik indiziert. Bereits in die Axone der Nervenzellen aufgenommenes und neuronal gebundenes Botulinumtoxin wird nicht inaktiviert. Insbesondere bei Erkrankungen mit fortgesetzter Toxinbildung kann eine Therapie mit Antitoxin indiziert sein. Eine Allergie-Testung (Intrakutantestung) ist vor der Anwendung erforderlich. Die Applikation erfolgt als langsame intravenöse Infusion in einer 1:10 Verdünnung mit physiologischer NaCl-Lösung in altersabhängiger Dosierung.[5]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Besteht Verdacht auf einen Wundbotulismus oder eine systemische Infektion mit Nachweis von Toxin-produzierenden Clostridien sollte mit der hochdosierten Gabe eines wirksamen Antibiotikums (z.B. Penicillin G, Metronidazol) die Elimination der Bakterien und damit ein Sistieren der Toxinproduktion angestrebt werden. Die gleichzeitige Gabe von Antitoxin ist hierbei sinnvoll, da durch Antibiotika-assoziierte Lyse von Clostridium botulinum die Toxinmenge im Blut erheblich und schlagartig erhöht werden kann.
Literatur
- Laborlexikon.de; abgerufen am 25.02.2021
Quellen
- ↑ Arnon SS et al.: Botulinum toxin as a biological weapon: medical and public health management. JAMA. 285 (8): 1059–70. doi:10.1001/jama.285.8.1059. PMID 11209178
- ↑ Lamanna C, el-Hage AN, Vick JA. Cardiac effects of botulinal toxin. Arch Int Pharmacodyn Ther. 1988 May-Jun;293:69-83. PMID: 3421785.
- ↑ RKI - Botulismus, abgerufen am 16.11.2022
- ↑ 4,0 4,1 Pfausler B. et al. S1-Leitlinie Botulismus. 2017, abgerufen am 25.03.2023
- ↑ BAT® (Botulism Antitoxin Heptavalent (A, B, C, D, E, F, G) - (Equine), abgerufen am 16.03.2023
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