Albinismus
von lateinisch: albus - weiß
Synonym: Noach-Syndrom (veraltet)
Englisch: albinism
Definition
Als Albinismus bezeichnet man eine Gruppe von hereditären Gendefekten, die sich klinisch durch einen auffälligen Pigmentmangel auszeichnen. Er entsteht durch eine Störung der Melaninbildung oder durch Strukturdefekte der Melanosomen.
Terminologie
Lebewesen mit ausgeprägtem Albinismus werden umgangssprachlich auch als Albino bezeichnet.
Einteilung
Die Erkrankung kann beim Menschen in drei Haupttypen unterteilt werden:[1]
Beim okulokutanen Albinismus kann man nach dem zugrundeliegenden genetischen Defekt sieben Formen unterscheiden:[2]
Typ | Gen | Locus | Pathomechanismus |
---|---|---|---|
Okulokutaner Albinismus Typ 1 | TYR | 11q14-q21 | Fehlende oder verminderte Aktivität
der Tyrosinase |
Okulokutaner Albinismus Typ 2 | OCA2 (P-Gen) | 15q11.2-q12 | Wahrscheinlich gestörte melanosomale Bioverfügbarkeit oder Funktion von Tyrosin bzw. Tyrosinase |
Okulokutaner Albinismus Typ 3 | TYRP1 | 9p23 | Genprodukt ist Kofaktor für Tyrosinase-Aktivität |
Okulokutaner Albinismus Typ 4 | SLC45A2 | 5p13.3 | Genprodukt dient wahrscheinlich als Membrantransporter in Melanosomen |
Okulokutaner Albinismus Typ 5 | nicht identifiziert | 4q24 | |
Okulokutaner Albinismus Typ 6 | SLC24A5 | 15q21.1 | Beeinträchtigte Reifung und Architektur der Melanosomen |
Okulokutaner Albinismus Typ 7 | C10orf11 | 10q22.2-q22.3 | Genprodukt trägt zur Regulation der Melanosomenreifung bei[2] |
Zum syndromalen Albinismus zählen das Hermansky-Pudlak-Syndrom und Chediak-Higashi-Syndrom. Bei diesen Erkrankungen tritt ein klinisch manifester OCA-Phänotyp gemeinsam mit Blutungsneigung und Immundefizienz auf.
Epidemiologie
Die Gesamtprävalenz von Albinismus in der westlichen Welt wird auf 1:17.000 bis 1:20.000 geschätzt, wobei es große Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen und geografischen Regionen gibt. In Afrika wird die Prävalenz auf 1:5.000 bis 1:15.000 geschätzt. Die weltweit höchste gemessene Prävalenz besteht für bestimmte indigene Bevölkerungsgruppen in Panama und Kolumbien. Grundsätzlich ist Albinismus in Südamerika eine recht häufig vorkommende Erbkrankheit. Risikofaktoren für eine regionale Häufung von Albinismus-Fällen sind eingeschränkte geografische Mobilität, elterliche Blutsverwandtschaft und kulturelle Aspekte wie z.B. traditionelle Heiratspraktiken.[3]
Okulokutaner Albinismus Typ 1 (OCA1) ist der bei Kaukasiern am häufigsten vorkommende Subtyp und macht 50 % aller Fälle weltweit aus. Der okulokutane Albinismus Typ 2 (OCA2) ist für 30 % der Fälle weltweit verantwortlich und kommt in Afrika südlich der Sahara besonders häufig vor.[3]
Ätiologie
Beim Menschen sind zurzeit (2023) rund 20 Genmutationen bekannt, die einen Albinismus auslösen können.[1] Die meisten dieser Mutationen folgen einem autosomal-rezessiven Erbgang. Die Entdeckung weiterer Gendefekte ist wahrscheinlich.
Die Mutationen betreffen Gene, die Proteine kodieren, die an der Melaninbiosynthese beteiligt sind. Dazu zählen bestimmte Enzyme wie die Tyrosinase (TYR) oder das Tyrosinase-verwandte Protein 1 (TYRP1), aber auch Transportproteine, die in Melanosomen vorkommen.[4]
Der rein okuläre Albinismus (OA) wird vorwiegend X-chromosomal-rezessiv (OA1) und selten autosomal-rezessiv (OA3) vererbt. Dabei liegt eine Mutation im GPR143-Gen zugrunde.[5]
Pathophysiologie
Die Melaninbiosynthese läuft in den Melanosomen ab. Von der Basalschicht der Haut aus werden reife, mit Pigmenten gefüllte Melanosomen durch einen noch nicht vollständig verstandenen interzellulären Prozess von Melanozyten auf Keratinozyten übertragen und verleihen der Haut ihre Farbe. Man unterscheidet vier Reifestadien der Melanosomen. Prämelanosomen in den Stadien I und II enthalten noch kein Melanin, während die Stadien III und IV melanisiert sind.[6] Die Tyrosinase beispielsweise katalysiert den ersten Schritt der Melaninbiosynthese durch Oxidation von L-Tyrosin zu DOPA (Dihydroxy-L-phenylalanin). Ist dieser Syntheseweg gestört, kommt es zu einer reduzierten Pigmentierung von Haut, Haaren und Augen. Dies betrifft vor allem das braune oder schwarze Eumelanin, während das gelbe Phäomelanin im Haar in normaler Menge vorliegen kann.[7]
Bei syndromalen Formen des Albinismus mit extrakutanen und extraokulären Merkmalen ist häufig die Biogenese von Melanosomen und melanosomenverwandten Organellen in anderen Geweben beeinträchtigt. Betroffen sind z.B. die Lysosomen beim Chediak-Higashi-Syndrom.
Neben der Farbe der Iris kann beim Albinismus auch die Sehfähigkeit beeinträchtigt sein. Während der Embryogenese steuern mehrere Faktoren, darunter Melanin, die Entwicklung der Netzhaut- und Gefäßstrukturen. Liegt ein Melaninmangel im Auge vor, kommt es zu einer Fehlleitung der Nervenfasern und einer gestörten Entwicklung der Morphologie und Zapfenspezialisierung der Fovea centralis.[8]
Symptome
Der Pigmentmangel und damit die sichtbaren Symptome des Albinismus können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, da bei fast allen Defekten eine Restaktivität der vom Gendefekt betroffenen Komponente besteht.
Die typischen Symptome des Albinismus sind eine mattweiße, sehr lichtempfindliche Haut und feine weiße bis hellgelbe Kopfhaare. Ansonsten ist die Struktur bzw. Morphologie der Haut nicht verändert.
Auffällig ist die durch den Pigmentmangel rosafarbene Iris. Diese Farbe entsteht durch das Durchscheinen der versorgenden Blutgefäße. Durch die mangelnde Pigmentierung der Iris besteht auch eine allgemeine Lichtempfindlichkeit. Weitere, mit dem Albinismus assoziierte okuläre Symptome umfassen u.a. eine verminderte Sehkraft, eine fehlerhafte Ausrichtung der Augen (Strabismus) sowie unwillkürliche Augenbewegungen (Nystagmus).
Zudem gibt es einige typische Charakteristika für die verschiedenen OCA-Typen. Beim OCA Typ 1 sind Haut und Haare milchig weiß und die Augen blaugrau. Die Sehschärfe ist bei dieser Form des okulokutanen Albinismus am stärksten eingeschränkt. Der OCA Typ 2 weist nur eine leichte bis mäßige Pigmentveränderung auf und die Augenfarbe variiert stark. Beim OCA Typ 3 ist die Haut typischerweise braun, das Haar rötlich-braun und die Augenfarbe Blau oder braun. Die Veränderungen des OCA Typ 4 ähneln denen des Typ 2.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Die klinische Diagnostik der OCA basiert auf dem Vorhandensein charakteristischer Befunde bei der körperlichen Untersuchung und der umfassenden augenärztlichen Untersuchung:[9]
- Hypopigmentierung von Haut und Haaren, einschließlich Augenbrauen und Wimpern, im Vergleich zu Familienmitgliedern und Angehörigen der gleichen ethnischen Gruppe
- Verminderte Pigmentierung der Iris, wobei die Augenfarbe von rosa bis blau, grün, grau oder hellbraun reicht
Ophthalmologische Untersuchung
Zu den typischen Veränderungen gehören:[9][10][11]
- Photophobie
- Transparenz der Iris
- eine für das Alter reduzierte Sehkraft trotz reduzierter Beleuchtung und optimaler refraktärer Korrektur
- Nystagmus (horizontaler Pendel-/Ruck- und/oder Dreh-/Torsions- oder periodischer Wechselnystagmus) mit oder ohne kompensatorische Kopfhaltung
- hohe Brechungsfehler (Hyperopie, Myopie, Astigmatismus)
- Strabismus (Fehlstellung der Augen), einschließlich Exotropie (divergente Ausrichtung), Esotropie (Überkreuzung der Augen) und/oder vertikale Fehlstellung der Augen
- fehlende oder eingeschränkte Stereoakuität (feine Tiefenwahrnehmung)
- Foveahypoplasie
Falls durchgeführt, zeigt das visuell evozierte Potenzial (VEP) eine Fehlleitung von retinostriatischen Fasern.
Die ophtamologischen Befunde sind bei Personen mit sehr milden Formen des Albinismus möglicherweise nicht vorhanden.
Molekulargenetische Diagnostik
Bei Betroffenen mit pigmentierendem Albinismus (alle Typen außer OCA Typ 1A) überschneiden sich die klinischen Phänotypen erheblich, wodurch die rein klinische Diagnose des Albinismus-Typs erschwert ist. Eine molekulargenetische Diagnose, sofern verfügbar, ist nicht nur für eine präzise Diagnose wichtig, sondern auch für eine adäquate humangenetische Beratung. Es werden vorwiegend Multigen-Panels oder eine umfassende Genomsequenzierung verwendet. Wie bei allen autosomal-rezessiven Erkrankungen müssen zwei mutierte Kopien des betroffenen Gens identifiziert werden. Bei compound-heterozygoten Personen können somit auch uneindeutige Ergebnisse entstehen, wenn nur eine Mutation nachgewiesen werden kann.[9]
Differentialdiagnosen
Komplikationen
Aufgrund der reduzierten Pigmentierung der Haut besteht eine ausgeprägte Vulnerabilität für UV-Strahlungs-assoziierte Schädigungen. Betroffene haben dadurch ein erhöhtes Risiko für maligne Hauttumoren, auch schon im Teenageralter. Das Plattenepithelkarzinom ist die häufigste Krebsart, die bei OCA auftritt. Auch Basalzellkarzinome kommen vor. Das Melanom gilt als selten, ist jedoch in der Diagnostik herausfordernd: Aufgrund der verminderten Pigmentierung präsentieren sich Melanome oft als rosafarbene oder rote Läsionen (amelanotisches malignes Melanom). Zum Zeitpunkt der Diagnose sind sie daher oftmals schon fortgeschritten. Die meisten Melanome bei OCA treten auf dem Rücken oder an den Beinen auf.[12]
Therapie
Eine kausale Therapie des Gendefekts ist zurzeit (2023) nicht möglich. Zwar gibt es erste Ansätze, diese wurden bisher aber nur in Tiermodellen getestet.[13] Die Therapie beschränkt sich daher auf die Vermeidung von Sekundärschäden. Da die unpigmentierte Haut gegenüber UV-Strahlung quasi ungeschützt ist, muss auf besonderen UV-Schutz der Haut geachtet und eine direkte Sonnenexposition vermieden werden. Zur Hautkrebsvorsorge sind regelmäßige hautärztliche Kontrollen indiziert.
Des Weiteren ist eine gute augenärztliche Anbindung mit regelmäßigen Kontrollen wichtig.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Pennamen et al., Dopachrome tautomerase variants in patients with oculocutaneous albinism. Genet Med, 2021
- ↑ 2,0 2,1 Beyers et al., OCA7 is a melanosome membrane protein that defines pigmentation by regulating early stages of melanosome biogenesis, Journal of Biological Chemistry, 2022
- ↑ 3,0 3,1 Marçon CR et al., Albinism: epidemiology, genetics, cutaneous characterization, psychosocial factors, An Bras Dermatol, 2019
- ↑ Montoliu et al., Increasing the complexity: new genes and new types of albinism, Pigment Cell Melanoma Res, 2014
- ↑ Kubasch et al., Okulokutaner und okulärer Albinismus, Hautarzt, 2017
- ↑ Hirobe, How are proliferation and differentiation of melanocytes regulated?, Pigment Cell Melanoma Res, 2011
- ↑ Kono et al., Genotype analysis in a patient with oculocutaneous albinism 1 minimal pigment type, Br J Dermatol, 2012
- ↑ Höger, Kinderdermatologie, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart: Thieme, 2021
- ↑ 9,0 9,1 9,2 Federico et al., Albinism, In: StatPearls. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing, 2022
- ↑ McCafferty et al., Clinical Insights Into Foveal Morphology in Albinism, J Pediatr Ophthalmol Strabismus, 2015
- ↑ Winsor et al., A cross-sectional examination of visual acuity by specific type of albinism, J AAPOS, 2016
- ↑ Ruiz-Sanchez et al., Amelanotic melanoma in a patient with oculocutaneous albinism, Dermatol Online J, 2020
- ↑ Liu et al., Current and emerging treatments for albinism, Surv Ophthalmol, 2021
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