Waardenburg-Syndrom
nach dem niederländischen Ophthalmologen Petrus Johannes Waardenburg (1886-1979)
Synonyme: Waardenburg-Klein-Syndrom, Van der Hoeve-Halbertsma-Waardenburg-Syndrom, Ptosis-Epicanthus-Syndrom, Waardenburg-Shah-Syndrom
Englisch: Waardenburg syndrome
Definition
Das Waardenburg-Syndrom bezeichnet eine Gruppe von vorrangig autosomal-dominant vererbten Erkrankungen, die mit Innenohrschwerhörigkeit und Pigmentstörungen, insbesondere der Iris einhergehen.
- ICD-10 Code: Q87.08
Epidemiologie
Die Prävalenz der Erkrankung wird weltweit auf etwa 1:42.000 beziffert. Typ 1 und Typ 2 kommen am häufigsten vor. Das Waardenburg-Syndrom ist für etwa 1 bis 3 % der Fälle von Taubstummheit verantwortlich.
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des Waardenburg-Syndroms beruht vermutlich auf einer mutationsbedingten embryonalen Differenzierungsstörung der Neuralleistenstammzellen mit mangelnder bzw. fehlender Auswanderung der Zellen, insbesondere der Melanozyten. Dadurch entstehen depigmentierte Hautareale und Pigmentanomalien der Iris, sowie Gewebedefekte, insbesondere der Stria vascularis des Innenohrs.
Die Vererbung erfolgt autosomal-dominant, lediglich bei Typ 4 liegt teilweise ein autosomal-rezessiver Erbgang vor.
Einteilung
Es gibt verschiedene Genmutationen, die ein Waardenburg-Syndrom auslösen können. Es werden basierend auf dem klinischen Bild vier Typen des Syndroms unterschieden, die durch unterschiedliche Mutationen entstehen. Bei den Typen II und IV existieren zusätzliche Subtypen, basierend auf den zugrundeliegenden Mutationen.
Typ | Gen | Genprodukt | Phänotyp |
---|---|---|---|
I | PAX3 (Paired Box gene 3), 2q35 | Transkriptionsfaktor (Regulation der Zellproliferation, Migration und Apoptose; an der Neuro- und Myogenese beteiligt) |
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IIA | MITF, 3p14.1-p13 | Mikrophthalmie-assoziierter Transkriptionsfaktor: Innenohrentwicklung, Regulation der Melanozytendifferenzierung |
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IIB | Genlokus 1p21-p13.3 | ||
IIC | Genlokus 8p23 | ||
IIE | SOX10-Gen, 22q13 | Transkriptionsfaktor, mit SRY assoziiertes Gen, wichtig in der Entwicklung der Neuralleiste und Oligodendrozyten | |
IIF | KITLG-Gen, 12q21.32 | Wachstumsfaktor, Rolle in der Hämatopoiese, Melanogenese und Gametogenese | |
III | PAX3, 2q35 | s.o. |
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IVA | EDNRB (Endothelinrezeptor Typ B), 13q22.3 | Regulation der Melanozytendifferenzierung, Differenzierung enterischer Neurone |
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IVB | EDN3 (Endothelin-3), 20q13.32 | Möglicherweise ähnlich wie Endothelin-1, vermutlich Rolle in der Entwicklung von Pigmentzellen | |
IVC | SOX10, 22q13.1 | s.o. |
Diagnostik
Die klinische Symptomatik ist wegweisend. Die Symptome werden in Major- und Minorkriterien eingeteilt.
Zu den Major-Kriterien gehören:
- Heterochromie (unterschiedlich pigmentierte Iris)
- Innenohrschwerhörigkeit oder Taubheit
- Dystopia canthorum
- positive Familienanamnese (Verwandtschaft 1. Grades)
Zu den Minor-Kriterien gehören:
- Breite Nasenwurzel
- Depigmentierungsflecken der Haut
- Synophrys (zusammengewachsene Augenbrauen)
- Vorzeitiges Ergrauen des Kopfhaars
- Hypoplasie der Nasenflügel
Um eine klinische Diagnose eines Waardenburg-Syndroms Typ I zu stellen, müssen zwei Major- und ein Minor-Kriterium zutreffen.
Neben der Familienanamnese besteht zusätzlich die Möglichkeit der molekulargenetischen Untersuchung zum Nachweis der oben genannten Mutationen mittels PCR-Amplifikation und Gensequenzierung.
Differenzialdiagnosen
Folgende Krankheitsbilder müssen vom Waardenburg-Syndrom abgegrenzt werden:
Therapie
Eine kausale Therapie existiert aktuell (2023) nicht. Bei stark ausgeprägter Innenohrschwerhörigkeit wird eine Versorgung mit Cochlea-Implantaten angestrebt. Ein eventuell vorliegender Morbus Hirschsprung wird operativ behandelt.
Ein effektiver Sonnenschutz der minderpigmentierten Areale ist wichtig.
Literatur
- Gemeinschaftspraxis für Humangenetik & Genetische Labore – Waardenburg-Syndrom – Paneldiagnostik, abgerufen am 22.09.2023
- omim.org – WAARDENBURG SYNDROME, TYPE 1; WS1, abgerufen am 22.09.2023
- omim.org – WAARDENBURG SYNDROME, TYPE 2A; WS2A, abgerufen am 22.09.2023
- omim.org – WAARDENBURG SYNDROME, TYPE3; WS3, abgerufen am 22.09.2023
- omim.org – WAARDENBURG SYNDROME, TYPE 4A; WS4A, abgerufen am 22.09.2023