Enterisches Nervensystem
Synonyme: intramurales System, enterales Nervensystem, Darmnervensystem, Eingeweidenervensystem, "Bauchgehirn"
Englisch: enteric nervous system
Definition
Das Enterische Nervensystem, kurz ENS, das im Englischen auch als "second brain" oder "abdominal brain" bezeichnet wird, ist ein komplexes, in Ganglien organisiertes Geflecht aus Nervenzellen. Es durchzieht nahezu den gesamten Gastrointestinaltrakt. Die Zahl der Neuronen entspricht etwa der des Rückenmarks. Die Komplexität und die Neurotransmitter ähneln dem zentralen Nervensystem (ZNS).
Physiologie
Das ENS hat einen starken Einfluss auf den Verdauungsprozess. Es reguliert unter anderem:
- die Darmmotilität
- den mit Sekretion und Absorption verbundenen Ionentransport
- den gastrointestinalen Blutfluss
Die Hauptkomponenten des ENS sind zwei Nervengeflechte, die in die Darmwand eingebettet sind. In der Wand des Dünndarms bilden die Neuronenverbände mikroskopisch sichtbare, untereinander vernetzte Ganglien.
Folgende Geflechte werden unterschieden:
- der Plexus myentericus ("Auerbach-Plexus") zwischen Ring- und Längsmuskelschicht
- der Plexus submucosus in der Submukosa, unterteilt in:
- Plexus submucosus externus ("Schabadasch-Plexus")
- Plexus submucosus internus ("Meissner-Plexus")
Daneben gibt es noch weitere kleinere Plexus des ENS direkt unterhalb der Serosa, innerhalb der Ringmuskulatur und in der Mukosa selbst. Die Nervenfasern kooperieren in der glatten Muskulatur mit funktionellen Synzytien (SIP-Synzytien), welche die Muskelaktivität durch Umgebungsinformationen modifizieren – eine wichtige Voraussetzung für die Darmperistaltik.
Das enterische Nervensystem wird durch das vegetative Nervensystem, also den Parasympathikus (steigert Motilität und Sekretion) und den Sympathikus (senkt Motilität und Sekretion), beeinflusst. Umgekehrt sendet das ENS aber auch neuronale und endokrine Signale an das ZNS.
Acetylcholin und Substanz P vermitteln eine Zunahme der Motilität, indem sie die glatten Muskelzellen aktivieren.
Eine Hemmung der Motilität wird über sogenannte NANC-Transmitter (nicht cholinerg, nicht adrenerg) vermittelt. Dazu gehören u.a. Stickstoffmonoxid (NO) oder das vasoaktive intestinale Peptid (VIP).
Klinik
Aus klinischer Sicht ist das ENS aus mehreren Gründen relevant:
- Beim Morbus Parkinson führt eine Degeneration von Zellen des enterischen Nervensystems zur Obstipation.
- Bei Morbus Hirschsprung (Aganglionose) sind Teile des ENS nicht angelegt.
- Im Rahmen eines Schocks kann eine Vasokonstriktion im Darm zu einer unzureichenden Sauerstoffversorgung der Darmmukosa und so zu einer Paralyse mit geschädigter Epithelbarriere führen.
- Postoperativ kann es im Darm durch Manipulation zu einer reflektorischen Darmatonie kommen.
- Medikamente (z.B. Opiate) haben eine hemmende Wirkung auf die Darmmotilität.
Das ENS soll darüber hinaus an der Pathophysiologie verschiedener Erkrankungen beteiligt sein, z.B. des Morbus Parkinson. Gemäß der Aszensionshypothese von Braak gelangen dabei Pathogene über die Mund- oder Nasenhöhle in den Gastrointestinaltrakt und können dort zur Fehlfaltung von Proteinen und Aggregation von z.B. Alpha-Synuclein führen. Diese können sich anschließend hämatogen oder über den Nervus vagus in das ZNS ausbreiten und Prionen-ähnlich zur Fehlfaltung von Proteinen in Gehirn führen.
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