Polycythaemia vera
Synonyme: PCV, Vaquez-Osler-Krankheit, Morbus Vaquez-Osler, Polycythaemia rubra vera
Englisch: primary myelopathic polycythemia
Definition
Bei der Polycythaemia vera, kurz PV, handelt es sich um eine seltene myeloproliferative Erkrankung, bei der es zu einer Vermehrung aller drei Blutzellreihen (inbesondere Erythrozyten, jedoch auch Thrombozyten und Leukozyten) im Blut kommt.
Dieser autonomen Proliferation aller drei Zellreihen liegt eine Mutation einer myeloischen Stammzelle (blutbildende Stammzelle im Knochenmark) zugrunde.
siehe auch: Myelopoese
Epidemiologie
Die Polycythaemia vera ist eine seltene Erkrankung. Die Inzidenz liegt bei 0,5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern pro Jahr. Es ist ein Häufigkeitsgipfel im Alter von 60 Jahren zu verzeichnen. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.
Pathogenese
Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht geklärt. Man vermutet u.a. die Beteiligung ionisierender Strahlung und chemischer Noxen (z.B. Benzol) als Auslöser der Erkrankung. Meist ist jedoch kein Auslöser eruierbar.
Es ist bekannt, dass in mehr als 90 % der Fälle eine Mutation des Janus-Kinase-2-Gens (JAK2) vorliegt, die JAK2-V617F-Punktmutation. In ca. 20 % der Fälle geht eine Polycythaemia vera in eine primäre Myelofibrose über.
Klinik
Im Vordergrund steht eine Polyglobulie mit Erythrozytose. Das Blutvolumen ist insgesamt meist stark vermehrt.
Die Vermehrung der Erythrozyten macht sich anfangs als Hautrötung (Plethora) bemerkbar, im weiteren Verlauf auch als anfallsweise auftretende Erythromelalgie. Später, bei Hämatokrit-Werten über 55 %, kann es zum Hyperviskositätssyndrom kommen, da die Zähigkeit des Blutes (Blutviskosität) deutlich ansteigt.
Eine besonders gefährliche Folge davon ist eine Mangeldurchblutung (Ischämie) des Gehirns (zerebrale Ischämie von leichtem Schwindel, TIA bis hin zum Schlaganfall), Mangeldurchblutung der Herzkranzgefäße (Angina pectoris bis Herzinfarkt), auch periphere Durchblutungsstörungen (Akrozyanose). Es kann eine Hypertonie entstehen.
Im fortschreitenden Krankheitsverlauf kann es zu Splenomegalie (ca. 75 %), Hepatomegalie (ca. 30 %) und – ab einem Hämatokrit von ca. 60 % – zu gefährlichen Thrombosen bzw. Thromboembolien (tiefe Beinvenenthrombosen, Lungenembolie, Myokardinfarkt etc.) kommen. Häufig ist aber auch eine verstärkte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) zu beobachten, die trotz Thrombozytose aufgrund der Thrombopathie auftritt. Zusätzlich quält die Patienten z.T. ein starker Pruritus, der auch nicht auf Therapie anspricht.
Diagnostik
Die Labordiagnostik zeigt folgende Befunde:
- Hämatokrit und Hämoglobingehalt erhöht
- Erythrozytose, Leukozytose (mit relativer Lymphopenie) und Thrombozytose
- Erythropoetin erniedrigt
- Basophilie
- Eosinophilie
- alkalische Leukozytenphosphatase (ALP) erhöht
- LDH sowie Harnsäure erhöht (vermehrter Zellzerfall)
- BSG erniedrigt
- Serumeisen erniedrigt
- Bilirubin im Serum erhöht
- normwertiger pO2 (zur Abgrenzung einer kompensatorischen Polyglobulie)
Die Pathohistologie der Knochenmarkpunktion zeigt hyperzelluläres Knochenmark und eine Eisenverarmung. Ggf. lässt sich eine JAK2-Mutation nachweisen.
Diagnosekriterien
Es haben sich die WHO-Diagnosekriterien etabliert.[1] Eine PV wird diagnostiziert, wenn A1 und A2 und eine der übrigen Kriterien der Kategorie A vorliegen oder wenn A1 und A2 und zwei Kriterien der Kategorie B vorliegen.
- Kategorie A
- A1: Hämatokrit > 25 % über Normwert oder Hb > 185 g/l (Männer) bzw. > 165 g/l (Frauen)
- A2: Erythrozytose nicht sekundär bedingt (Polyglobulie nicht bedingt durch Tumor, Hypoxie oder familiäre oder andere Hb-Anomalien)
- A3: Splenomegalie
- A4: Nachweis einer klonalen genetischen Anomalie aus KM
- A5: erythroide Koloniebildung in vitro
- Kategorie B
- B1: Thrombozyten > 400/nl
- B2: Leukos > 12*10^9/nl
- B3: KM-Proliferation mit überwiegend erythropoetisch und megakaryozytär
- B4: Serum-Erytrhopoetin erniedrigt
Therapie
Es gibt keine Heilung bei der PV. Sie wird in erster Linie symptomatisch therapiert mit:
Bringen auch häufige Aderlässe (alle 4-8 Wochen) keinen Erfolg, so kann eine Therapie mit Interferon-alpha (bevorzugt jüngere Patienten) oder Hydroxyharnstoff (zytoreduktive Therapie) durchgeführt werden.
Bei Resistenz oder Unverträglichkeiten bleibt die Eskalation der zytoreduktiven Therapie mit Ruxolitinib (Tyrosinkinaseinhibitor), Busulfan oder Radiophosphor (P32).
Komplikationen
Gefürchtete Komplikationen sind:
- Thrombozytendysfunktion:
- Thromboembolische Ereignisse (Myokardinfarkt, Hirninfarkt)
- Thrombosen (Budd-Chiari-Syndrom)
- Hämorrhagische Diathesen
- Übergang in eine andere myeloproliferative Erkrankung
Prognose
Die Betroffenen können eine normale Lebenserwartung haben, wenn die Erkrankung kontinuierlich beobachtet und im Bedarfsfall behandelt wird. Unbehandelt beträgt die mittlere Überlebenszeit der Polycythaemia vera aufgrund der möglichen Gefäßkomplikationen nur wenige Jahre.
Quellen
- ↑ Thiele und Kvasnicka, The 2008 WHO diagnostic criteria for polycythemia vera, essential thrombocythemia, and primary myelofibrosis, Current Hematologic Malignancy Reports, 2009
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