Juvenile idiopathische Oligoarthritis
Synonyme: oligoartikuläre Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis, oligo-JIA, oJIA, chronische pauciartikuläre Arthritis, frühkindliche Oligoarthritis (veraltet)
Englisch: oligoarticular juvenile idiopathic arthritis
Definition
Als juvenile idiopathische Oligoarthritis, kurz oligo-JIA, bezeichnet man eine in der ILAR-Klassifikation definierte Verlaufsform der juvenilen idiopathischen Arthritis. Es handelt sich um eine pädiatrische Autoimmunerkrankung, bei der es innerhalb der ersten 6 Krankheitsmonate zur Arthritis von bis zu 4 großen Gelenken kommt.
- ICD-10-Code: M08.4
- persistierende Oligoarthritis: M08.4-
- erweiterte (extended) Oligoarthritis: M08.3-
Abgrenzung
Die oligo-JIA, insbesondere die erweiterte Form, hat starke Ähnlichkeiten mit der frühkindlichen rheumafaktornegativen Polyarthritis (RF--PA). Das von der Pediatric Rheumatology International Trials Organization (PRINTO) vorgeschlagene Klassifikationssystem fasst daher beide Erkrankungen unter dem Begriff frühe ANA-positive JIA zusammen.[1] Beide JIA-Formen haben kein adultes Pendant.
Einteilung
Die juvenile idiopathische Oligoarthritis wird in zwei Kategorien eingeteilt:[2]
- persistierende Oligoarthritis: insgesamt sind auch im Verlauf nicht mehr als 4 Gelenke betroffen
- erweiterte (extended) Oligoarthritis: im Verlauf (nach den ersten 6 Monaten) sind mehr als 4 Gelenke betroffen, ca. 30 % der Fälle
Epidemiologie
Es handelt sich mit etwa 50 % der Fälle um die häufigste Form der JIA in Europa und Nordamerika. In afrikanischen oder asiatischen Populationen ist die Erkrankung deutlich seltener. Die jährliche Inzidenz wird auf etwa 5/100.000 Kinder unter 16 Jahre geschätzt. Mädchen sind im Verhältnis 3:1 häufiger betroffen. Der Altersgipfel liegt im Kleinkindalter bei 2 bis 4 Jahren.[3]
Ätiologie
Die Ätiologie ist derzeit (2024) weitgehend unklar. Es handelt sich am ehesten um eine multifaktorielle Erkrankung mit genetischer Komponente. Es finden sich familiäre Häufungen und eine 25 bis 40%ige Konkordanzrate monozygoter Zwillinge.
Den stärksten prädisponierenden Effekt haben bestimmte HLA-Allele, insbesondere solche, die für MHC-II-Moleküle codieren (HLA-DRB1*08, *11, *13, *01, DPB1*0201, DQA1*04).
Es finden sich jedoch auch Assoziationen mit Varianten anderer Gene (z.B. IL-2Rα, PTPN22, MIF, SLC11A1, TNF, WISP3).
Darüber hinaus wird ein Einfluss zahlreicher Umweltfaktoren diskutiert (z.B. Stillen, Ernährung, Mikrobiom, Antibiotikaexposition, Sectio caesarea), klare Assoziationsnachweise existieren hierfür jedoch nicht.[3]
Pathogenese
Pathogenetisch scheint eine übermäßige Aktivierung von proinflammatorischen T-Zellen (TH1 und TH17) bei fehlender Kontrolle durch regulatorische T-Zellen zugrunde zu liegen. Als Autoantigene gelten dabei u.a. Peptide von synovialen Matrixproteinen wie Aggrecan oder Fibrillin sowie von MMP. Die aktivierten T-Zellen setzen dabei IFNγ und IL-17 frei, was zur Aktivierung von Neutrophilen, Makrophagen und Synovialzellen mit Freisetzung weiterer proinflammatorischer Zytokine (z.B. IL-1, IL-6, TNFα) führt. Auch eine B-Zell-Aktivierung scheint eine Rolle zu spielen, häufig liegen eine Hypergammaglobulinämie und ANAs vor.[3]
In den betroffenen Gelenken kommt es zur entzündlichen Infiltration, zum Gelenkerguss und zur Pannusbildung.
Klinik
Gelenkbefall
Die Erkrankung beginnt meist schleichend. Leitsymptom ist eine asymmetrische Oligoarthritis. Meist sind anfangs 1 bis 2 große Gelenke betroffen, in den ersten 6 Krankheitsmonaten sind maximal 4 Gelenke involviert. Betroffen sein können:[3]
- sehr häufig (v.a. initial) Kniegelenk, Sprunggelenk
- Kiefergelenk (40 % d.F.) mit asymmetrischer Mundöffnung
- Handgelenk
- Ellbogengelenk
- seltener Finger-/Zehengelenke, Schultergelenk, HWS mit Torticollis, Hüftgelenk
Die Arthritis muss nicht zwingend mit Schmerzen einhergehen, oft zeigen sich nur Schwellung, Überwärmung und Bewegungseinschränkung (z.B. Hinken).[4] Typischerweise findet sich eine Morgensteifigkeit über Stunden und ein Anlaufschmerz.[3]
Die Erkrankung kann sich im Verlauf ausweiten.
Begleitsymptome
Begleitend zur Arthritis können auftreten:[3]
- Bursitiden
- Tendovaginitiden
- Baker-Zyste
- Muskelhypotrophie durch fehlende Belastung und Schonhaltung
- bei lange ausbleibender Behandlung Knochenwachstumsstörungen (z.B. Beinlängendifferenz) und Fehlstellungen
In 15 bis 40 % der Fälle (häufiger bei Mädchen) kommt es zur chronischen, nichtgranulomatösen Uveitis anterior. Meist sind dabei beide Augen betroffen. Die Entzündung zeigt sich üblicherweise nicht oder kaum durch Akutsymptome, im Verlauf sind jedoch Komplikationen (z.B. Bandkeratopathie, Cataracta complicata, Synechien, Offenwinkelglaukom) möglich. Uveitis und Arthritis müssen nicht in zeitlichem Zusammenhang auftreten, auch bei remittierter Gelenksymptomatik ist eine Augenbeteiligung noch möglich.
Systemische Manifestationen (z.B. Fieber, Exanthem) finden sich nicht.[4]
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt nach den Kriterien der International League of Associations for Rheumatology:[2]
- Allgemeine JIA-Kriterien
- Arthritis > 6 Wochen
- Alter <16 Jahre
- maximal 4 Gelenke in den ersten 6 Krankheitsmonaten betroffen
- kein Vorhandensein von Ausschlusskriterien (z.B. HLA-B27+ bei Arthritis nach dem 8. Lebensjahr, familiäre Psoriasis-Vorgeschichte, positive Rheumafaktoren)
Im Labor findet sich oft nur eine milde CRP-/BSG-Erhöhung. Bei 70 % der Patienten sind antinukleäre Antikörper nachweisbar. Rheumafaktoren finden sich per definitionem nicht.
Eine engmaschige augenärztliche und orthopädische Betreuung ist notwendig.
Differenzialdiagnosen
- Lyme-Arthritis
- aseptische Knochennekrosen (z.B. Osteochondrosis dissecans)
- Akute lymphatische Leukämie
- septische Arthritis oder Osteomyelitis
- chronisch nicht-bakterielle Osteomyelitis
- Psoriasis-Arthritis
- Enthesitis-assoziierte JIA
- Systemischer Lupus erythematodes, v.a. bei ANA-Nachweis
Therapie
Wie bei allen JIA-Subtypen wird eine Therapie mit NSAR empfohlen. Bei aktiver Arthritis können außerdem intraartikuläre Glukokortikoide verabreicht werden. Ist die Erkrankung hierdurch nicht zu kontrollieren, werden DMARDs (insb. Methotrexat) verabreicht. Bei hoher Krankheitsaktivität sind überbrückend auch systemische Steroide möglich.[5]
Eine Uveitis ist frühzeitig mittels Glukokortikoiden und Mydriatika (Synechieprophylaxe) zu behandeln.
Leitlinie
- S2k-Leitlinie "Therapie der JIA" der GKJR und der DGKJ. 3. Auflage, 2019.
Einzelnachweise
- ↑ Martini et al. Toward New Classification Criteria for Juvenile Idiopathic Arthritis: First Steps, PRINTO International Consensus. The Journal of Rheumatology, 2019.
- ↑ 2,0 2,1 Petty et al. Revision of the proposed classification criteria for juvenile idiopathic arthritis. The Journal of Rheumatology, 1997.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Wagner, Dannecker, Kallinich. Pädiatrische Rheumatologie. 3. Auflage, Springer Verlag, 2022.
- ↑ 4,0 4,1 Deslandre. Oligoarticular juvenile idiopathic arthritis. Orphanet, 2020. Aufgerufen am 24.06.2024.
- ↑ S2k-Leitlinie "Therapie der JIA" der GKJR und der DGKJ. 3. Auflage, 2019.
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