Hyperparathyreoidismus (Hund)
Synonyme: Hyperparathyreose, Nebenschillddrüsenüberfunktion, caniner Hyperparathyreoidismus
Englisch: hyperparathyreoidism
Definition
Ein Hyperparathyreoidismus ist eine endokrinologische Erkrankung beim Hund, die durch eine vermehrte Sekretion von Parathormon gekennzeichnet ist.
Klassifizierung
Der Hyperparathyreoidismus kann anhand seiner Ursache in zwei Gruppen unterteilt werden:
- Primärer Hyperparathyreoidismus (primäre Form)
- Sekundärer Hyperparathyreoidismus (sekundäre Form)
Vorkommen
Ein primärer Hyperparathyreoidismus kommt v.a. bei mittalten bis alten Hunden (durschnittlich 11 Jahre) vor. Die Endokrinopathie tritt geschlechtsunabhängig auf. Sie betrifft grundsätzlich jede Rasse, kann aber beim Wolfsspitz (Keeshond) (autosomal-rezessiv) gehäuft beobachtet werden.
Beim sekundären Hyperparathyreoidismus muss zwischen einer renalen und alimentär bedingten Form unterschieden werden. Die renale Form ist hauptsächlich bei älteren Hunden anzutreffen, wohingegen die alimentäre Form vor allem Welpen betrifft. Zweitere kommt aber aufgrund gezielter Ernährung (kommerziell erhältliche Futtermittel) nur sehr selten vor.
Ätiopathogenese
Primärer Hyperparathyreoidismus
Der primäre Hyperparathyreoidismus entwickelt sich in der Mehrheit der Fälle aufgrund eines Adenoms der Nebenschilddrüse, seltener infolge eines Adenokarzinoms.
Tumorös entartete bzw. hyperplastisch veränderte Nebenschilddrüsenzellen sezernieren im Überschuss PTH - unabhängig von der Kalziumkonzentration im Serum. In weiterer Folge kommt es zu einer gesteigerten Mobilisation von Kalzium und Phosphat aus dem Knochengewebe, einer gesteigerten tubulären Rückresorption und gleichzeitig einer vermehrten Phosphatausscheidung über die Nieren. Zusätzlich wird im Darm vermehrt Kalzium und Phosphat resorbiert.
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Beim sekundären Hyperparathyreoidismus muss zwischen einer renalen und alimentären Form unterschieden werden.
Die renale Form entwickelt sich infolge chronischer Nierenschädigungen, die zu einer Überfunktion bzw. Hyperplasie der Nebenschilddrüsen führen. Je nach Verlauf kann sich eine Hypo-, Normo- oder selten auch eine Hyperkalzämie sowie Hyperphosphatämie einstellen.
Der alimentär bedingte Hyperparathyreoidismus entsteht aufgrund einer reaktiven Hyperplasie bzw. Überfunktion der Nebenschilddrüsen. Durch einen zu geringen Kalzium- sowie zu hohen Phosphatgehalt im Futter kommt es zu einer gesteigerten PTH-Sekretion. Die Erkrankung tritt hauptsächlich bei Jungtieren auf, die mit reinem Fleisch gefüttert werden.
Pathophysiologie
Eine konstant erhöhter Kalziumspiegel (Hyperkalzämie) hat negative Auswirkungen auf verschiedene Geweben und Organsysteme. Die Nieren werden besonders stark in Mitleidenschaft gezogen, sodass es zu (reversiblen) funktionellen sowie (irreversiblen) strukturellen Veränderungen kommt. Initial stellt sich aufgrund der hemmenden Wirkung von ADH am Rezeptor eine Polyurie mit kompensatorischer Polydipsie ein. Später kommt es zu einer präglomerulären Vasokonstriktion und prärenalen Azotämie, auf die sich infolge Ischämie und Mineralisation der Basalmembranen eine Niereninsuffizienz mit renaler Azotämie entwickelt.
Klinik
Ein Hyperparathyreoidismus beim Hund ist eine seltene Erkrankung, die meist nur mit geringen bis mäßig ausgeprägten Symptomen einhergeht. Liegt eine Hyperkalzämie bei einem klinisch schwer erkrankten Hund vor, so ist meist eine andere Erkrankung dafür verantwortlich. Häufige Symptome eines Hyperparathyreoidismus sind:
- Polyurie und Polydipsie
- Inappetenz, reduzierter Appetit oder Anorexie
- Apathie
- Schwäche
- Erbrechen
- Obstipation
- Zittern
- steifes Gangbild
Betroffene Tiere neigen zu Urolithiasis (Kalziumoxalat, Kalzium-Phosphat-Steine) und bakteriellen Harnwegsinfektionen. In diesem Zusammenhang kommt es oft zu Dysurie und Hämaturie. Eine sehr lang bestehende Hyperkalzämie führt zu einer Entmineralisierung von Knochengewebe, die mit Lahmheit, pathologischen Frakturen, Erweichung der Kieferknochen sowie metastatischen Verkalkungen von Sehnen und Gelenkkapseln einhergeht.
Serologische Untersuchungen zeigen eine Hyperkalzämie bei gleichzeitig erniedrigtem Phosphatspiegel. Ein Azotämie ist nur selten nachweisbar. Das spezifische Gewicht des Urins liegt meist bei unter 1,020 - begleitend kann eine Hämaturie, Pyurie, Bakteriurie und Kristallurie beobachtet werden.
Differenzialdiagnosen
Beim Vorliegen einer Hyperkalzämie sollten immer weitere Untersuchungen angeschlossen werden. Eine zusätzliche Bestimmung des ionisierten Kalziums ist empfehlenswert. Anschließend sind nicht-pathologische Ursachen einer Hyperkalzämie auszuschließen, wie z.B. Lipämie, Hämokonzentration, Wachstum, schwere Hypothermie und Messfehler. Da ein primärer Hyperparathyreoidismus nur selten vorkommt und nur bei etwa 5 % der Hunde eine Hyperkalzämie nachweisbar ist, sind andere (Hyperkalzämie-verursachende) Erkrankungen auszuschließen:
- maligne oder tumorassoziierte Hyperkalzämie (paraneoplastisches Syndrom)
- Hypoadrenokortizismus (Morbus Addison)
- akute oder chronische Niereninsuffizienz
- Vitamin-D-Hypervitaminose
- granulomatöse Erkrankungen
Diagnose
Anamnese und klinische Untersuchung geben erste Hinweise auf eine endokrinologische Erkrankung. Die Diagnosesicherung stützt sich auf mehrere Untersuchungsschritte:
- PTH-Bestimmung: Typisch sind normale bis erhöhte PTH-Konzentrationen bei gleichzeitiger Hyperkalzämie.
- Ultraschall: Meist kann eine einzelne prominente bzw. vergrößerte Nebenschilddräse (Länge meist > 4 mm) nachgewiesen werden, wobei die übrigen Nebenschilddrüsen klein oder gar nicht darstellbar sind.
Aufgrund der vielen Differenzialdiagnosen muss die Diagnose sorgfältig und schrittweise aufgearbeitet werden. Die Diagnosestellung erfolgt erst bei passender Klinik und typischen Laborbefunden.
Therapie
Die Therapie umfasst sowohl medikamentöse als auch chirurgische Interventionen und muss anhand der Klinik angepasst werden.
Bei einer ausgeprägten Hyperkalzämie sowie bei starken Abweichungen des Kalzium-Phosphat-Verhältnisses ist eine aggressive Infusionstherapie (2- bis 3-fache Erhaltungsdosis) mit NaCl-Lösung (inkl. Kaliumsubstitution) indiziert. Gleichzeitig ist eine Diuresesteigerung mit Furosemid (1 bis 2 mg/kgKG BID bzw. TID i.v.[1]) durchzuführen. Zusätzlich können Bisphosphonate (z.B. Pamidronat 1 bis 2 mg/kgKG in NaCl gelöst über 2 Stunden i.v.[2]) und Glukokortikoide (z.B. Prednisolon 2 bis 3 mg/kgKG BID oral[3]) appliziert werden.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Die chirurgische Resektion der tumorös oder hyperplastisch entarteten Nebenschilddrüse (Parathyreoidektomie) stellt die Therapie der Wahl dar. Postoperativ ist der Serum-Kalziumspiegel engmaschig zu kontrollieren, um das Risiko einer Hypokalzämie zu verringern. Grundsätzlich gilt die Regel: Je höher der präoperative Kalziumspiegel, desto größer ist das Risiko einer postoperativen Hypokalzämie. Kommt es zu einer Hypokalzämie, sind Kalzium und Calcitriol so zu substituieren, dass sich der Kalziumspiegel im unteren Drittel des Referenzbereichs einpendelt.
Alternativ stehen noch weitere, neuere Therapieformen zur Verfügung, die jedoch nur in spezialisierten Kliniken durchgeführt werden:
Literatur
- Hans G. Niemand (Begründer), Peter F. Suter, Barbara Kohn, Günter Schwarz (Herausgeber). Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Enke-Verlag, 2012.
Quellen
- ↑ CliniPharm CliniTox. Furosemid CliniPharm Wirkstoffdaten (abgerufen am 18.01.2020)
- ↑ CliniPharm CliniTox. Cholecalciferol CliniPharm Wirkstoffdaten (abgerufen am 18.01.2020)
- ↑ CliniPharm CliniTox. Prednisolon CliniPharm Wirkstoffdaten (abgerufen am 18.01.2020)
- ↑ Guttin T et al. Outcomes for dogs with primary hyperparathyroidism following treatment with percutaneous ultrasound-guided ethanol ablation of presumed functional parathyroid nodules: 27 cases (2008-2011). J Am Vet Med Assoc. 2015 Oct 1;247(7):771-7. (abgerufen am 18.01.2020)
- ↑ Leal RO et al. The Use of Percutaneous Ultrasound-Guided Radiofrequency Heat Ablation for Treatment of Primary Hyperparathyroidism in Eight Dogs: Outcome and Complications. Vet Sci. 2018 Oct 18;5(4). pii: E91. (abgerufen am 18.01.2020)
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