Analfissur
von lateinisch: fissura - Spalte, Riss
Synonym: Afterriss, Fissura ani
Englisch: anal fissure
Definition
Eine Analfissur ist eine längliche, radiär verlaufende Läsion in der Schleimhaut des Analkanals (Anoderm). Sie liegt distal der Linea dentata und proximal der Linea anocutanea.
Epidemiologie
Bei der Analfissur handelt es sich um ein häufiges Krankheitsbild mit einem Lebenszeitrisiko von bis zu 8 %. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei Frauen bei 40,9 Jahren und bei Männern bei 46,6 Jahren. In 80-90 % der Fälle ist die Läsion an der posterioren Kommissur (6 Uhr in Steinschnittlage) lokalisiert.
Einteilung
...nach dem Verlauf
Man unterscheidet anhand des klinischen Verlaufs zwischen:
- akuter Analfissur: heilt häufig spontan aus.
- chronischer Analfissur: über 6–8 Wochen anhaltend und ggf. mit morphologischen Veränderungen einhergehend.
...nach Ätiologie
Ätiologisch unterscheidet man zwischen primären und sekundären Analfissuren:
- Primäre Analfissur: entsteht ohne zugrundeliegende Erkrankung
- Sekundäre Analfissur: entwickelt sich auf dem Boden verschiedenster bakterieller, viraler, entzündlicher oder immunologischer Erkrankungen, sowie medikamentös-toxisch, traumatisch oder iatrogen nach operativen analen Eingriffen
Ätiopathogenese
Der genaue Entstehungsmechanismus der Analfissur ist bis heute (2021) ungeklärt. Als mögliche Ursache wird v.a. eine veränderte Stuhlkonsistenz diskutiert. Insbesondere eine Obstipation und ein harter Stuhl, aber auch Diarrhoen bedingen einen erhöhten Tonus des Musculus sphincter ani internus. Weitere Risikofaktoren sind:
- Hämorrhoiden
- sitzende Tätigkeiten
- faserarme Ernährung
- Analverkehr
- Adipositas
- Hypothyreose
- Schwangerschaft und Geburt
Das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Risikofaktoren erzeugt - vor allem im Bereich der hinteren Kommissur - eine verminderte Blutversorgung der Analhaut (anodermale Minderperfusion) durch Äste der Arteria rectalis inferior, die zu einer Gewebsnekrose und damit zur Fissur führt. Erfolgt im akuten Stadium keine Ausheilung, wird aus der Analfissur eine chronische Entzündung, die sich in Form einer immer wieder neu aufreißenden, nicht heilenden Ulzeration manifestiert.
Im Circulus vitiosus der Analfissur, bestehend aus Sphinkterhypertonus, Ischämie, Entzündung und Schmerz, spielt der erhöhte Tonus des Musculus sphincter ani internus eine zentrale Rolle. Ein signifikant erhöhter muskulärer Tonus, der im Median etwa 121 mmHg beträgt (normaler Ruhedruck < 90 mmHg), bewirkt einen reduzierten Blutfluss mit konsekutiver Ischämie und folglich mangelnder Abheilung der Läsion.
Allerdings gibt es auch Patienten mit einer Analfissur und erniedrigtem Ruhedruck, v.a. Frauen mit postpartaler Analfissur.
Symptome
Die Symptome der Analfissur sind recht charakteristisch. Der Patient klagt über Schmerzen im Analbereich, die vor allem während des Stuhlgangs auftreten. Die Intensität kann von leichten bis hin zu scharfen, brennenden Schmerzen reichen, die gelegentlich in einen äußerst schmerzhaften Analkrampf münden können. Die Beschwerden können jedoch auch ohne Stuhlgang auftreten. Begleitend tritt häufig Pruritus auf.
Der Stuhl selbst weist häufig einen hellroten blutigen Belag auf, der dem Patienten am ehesten auf dem Toilettenpapier auffällt.
Diagnostik
- Anamnese: nahezu pathognomonischer analer Schmerz bei Defäkation
- Inspektion und Palpation des Anus
- Proktoskopie (in der Regel nur unter Narkose möglich)
Proktoskopie
Die Ausdehnung der Analfissur ist elliptisch und folgt dem Verlauf des Analkanals. In 90 % der Fälle findet sich das Ulkus an der hinteren Kommissur (6 Uhr in Steinschnittlage), in nur 10 % der Fälle an der vorderen Kommissur (12 Uhr in Steinschnittlage). Bei multiplen Fissuren oder bei lateraler Position besteht ein Verdacht auf spezifische Erkrankungen (z.B. Analkarzinom, Tuberkulose, Morbus Crohn, Syphilis).
Akute Analfissur
Bei der akuten Analfissur ist das Ulkus flach und an den Rändern nur schwer abgrenzbar. Auf dem Wundgrund sieht man Fasern der Lamina muscularis mucosae.
Chronische Analfissur
Die chronische Analfissur kann sogenannte morphologische Veränderungen aufweisen: Oft sieht man neben einem Ulkus mit Randwall distal der Läsion eine prägnante Hautfalte. Sie wird als Vorpostenfalte oder Wächtermariske bezeichnet. Proximal ist eine hypertrophe Analpapille (Fibrom) charakteristisch. Auf dem Wundgrund laufen freiliegend quere Fasern des Musculus sphincter ani internus. Das klinische Bild kann zusätzlich durch Abszesse und Fistelbildung geprägt sein.
Bei Vorliegen der hypertrophen Papille, einer Vorpostenfalte und einer Analfissur bzw. von sichtbaren Muskelfasern des Musculus sphincter ani internus spricht man auch von der "Trias der chronischen Analfissur".
Therapie
Konservative Therapie
Insbesondere bei der akuten Analfissur erfolgt die Behandlung zunächst konservativ. Entscheidend ist die Beseitigung der möglichen Auslöser.
Allgemeinmaßnahmen
Einerseits kann die Stuhlregulierung mittels ballaststoffreicher Ernährung sowie Nahrungsergänzungen (z.B. durch Flohsamenschalen) zu einem weichen Stuhlgang verhelfen. Weiterhin werden lokalanästhetische Zäpfchen oder Salben verabreicht, die mit Hilfe eines kleinen Applikators in den Analkanal eingebracht werden. Sie dienen der Symptomlinderung; die Heilungsrate wird hierdurch nicht beeinflusst. Die Lokaltherapeutika sollten nach dem Stuhlgang aufgetragen werden, z.B.:
- Hydrophiles Diltiazemhydrochlorid-Gel 2 % (NRF 5.6.) ad 50 g, S: 2 × tgl. und nach dem Stuhlgang; Therapiedauer 4–8 Wochen
- Hydrophile Diltiazemhydrochlorid-Creme 2 % (NRF 5.7.) ad 50 g, S: 2 × tgl. und nach dem Stuhlgang; Therapiedauer 4–8 Wochen
- Hydrophile Glyceroltrinitrat-Rektalcreme 0,2 % (NRF 5.10.) ad 30,0 g, S: 2 × tgl. auftragen
- Hydrophile Isosorbiddinitrat-Rektalcreme 1,0 % (NRF 5.9.) ad 30,0 g, S: 3–6 × tgl. auftragen
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Ergänzend kommen Sitzbäder in Frage. Diese können den Patientenkomfort erhöhen, haben jedoch keinen Einfluss auf die Heilungsrate.
Steigerung der Sphinkterperfusion
Zur lokalen Durchblutungssteigerung von Mukosa und Sphinkter werden topisch Nitrate (Nitroglycerin oder Isosorbiddinitrat) und Calciumantagonisten eingesetzt. Lokal applizierte Calciumantagonisten stellen dabei die medikamentöse Erstlinientherapie bei chronischen Analfissuren dar. Ihre Wirksamkeit ist vergleichbar mit der von Nitraten, jedoch haben sie weniger systemische Nebenwirkungen (z.B. Kopfschmerzen).
Senkung des Sphinktertonus
Eine weiterer Angriffspunkt der konservativen Therapie ist die Senkung des Sphinktertonus. Sie wird entweder durch Anwendung von Analdilatatoren versucht oder durch das Einspritzen von Botulinustoxin unter die Fissur. Die Anwendung von Botulinumtoxin weist gute Heilungsraten auf, die Applikation ist jedoch zumeist sehr schmerzhaft und muss ggf. in Narkose erfolgen. Bei Therapieresistenz auf Calciumantagonisten gilt sie als Zweitlinientherapie alternativ zu einem operativen Vorgehen.
Chirurgische Therapie
Ein operativer Eingriff ist häufig bei einer chronischen Analfissur indiziert. Dabei existieren verschiedene Methoden:
- Fissurektomie: Die Fissur wird unter Schonung des Sphinkters exzidiert. Dieser Eingriff wird in der Regel ambulant in Kurznarkose durchgeführt. Die Nachbehandlung folgt den Maßnahmen der konservativen Therapie.
- Fissurektomie kombiniert mit Botulinumtoxin
- Analer Advancement-Flap: Wird ergänzend zu der Fissurektomie oder als Zweitlinientherapie nach erfolgloser Fissurektomie durchgeführt. Dabei wird die anale Mukosa über die Fissurektomie-Wunde mobilisiert oder die perianale Haut von außen über die Fissur verschoben (V-Y-Flap, "Haus"-Flap, Dermal-Flap).
- Laterale Sphinkterotomie (LIS): Die Spaltung des internen Sphinkters weist zwar die höchsten Heilungsraten auf, wird wegen des Risikos der Stuhlinkontinenz jedoch nur bei Versagen anderer Methoden angewendet.
Prognose
Unter konservativer Therapie heilen 60–90 % der akuten Analfissuren aus.
Literatur
- AWMF S3-Leitlinie Analfissur, Stand 2020, zuletzt abgerufen am 4.11.2020
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