Ovarielles Hyperstimulationssyndrom
Synonym: ovarielles Überstimulationssyndrom
Englisch: ovarian hyperstimulation syndrome
Definition
Das ovarielle Hyperstimulationssyndrom, kurz OHSS, ist ein seltenes, meist iatrogen ausgelöstes und potentiell lebensbedrohliches Krankheitsbild, das als Folge einer hormonellen Follikelstimulation auftreten kann. Es ist eine Hauptkomplikation der In-vitro-Fertilisation.[1]
Geschichte
Das OHSS wurde erstmals 1962 nach einer Sterilitätsbehandlung mit Gonadotropinen beschrieben.
Ätiologie
Das OHSS wird meist iatrogen durch die Gabe des zur Follikelstimulation verwendeten humanen Choriogonadotropins (β-HCG) ausgelöst. Es sind allerdings auch Einzelfälle ohne iatrogenen Einfluss beschrieben worden, die mit einer Mutation des FSHR-Gens assoziiert waren, das für den FSH-Rezeptor kodiert.[1]
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des OHSS ist bis heute (2022) noch nicht vollständig verstanden. Auslöser ist β-HCG. Es triggert wahrscheinlich einen Anstieg an Zytokinen und Wachstumsfaktoren (v.a. VEGF), der zu einer Erhöhung der Kapillarpermeabilität und damit zu einer massiven Flüssigkeitsverlagerung von intra- nach extravasal führt.[2] Dadurch können Aszites oder Pleuraergüsse entstehen und der Hämatokrit steigt. Der Anstieg der Blutviskosität begünstigt wiederum Thrombosen.
Einteilung
- Frühes OHSS: Entwickelt sich durch die finale HCG-Gabe im Rahmen der Follikelstimulation kurz nach der Eizellentnahme
- Spätes OHSS: Entsteht 12 bis 20 Tage nach der HCG-Gabe – entweder durch exogenes HCG zur Lutealphasenunterstützung oder durch endogenes HCG bei Eintritt einer Schwangerschaft. Bei einer Mehrlingsschwangerschaft tritt es verstärkt auf.
Klassifikation
Es gibt keine einheitliche Klassifikation des OHSS, sie unterscheidet sich je nach Literatur. So unterteilt beispielsweise die WHO das OHSS in drei Grade, die sich an der Schwere der Symptome orientieren.[3] Darüber hinaus werden in einigen neueren Publikationen bereits sechs unterschiedliche Grade des Syndroms unterschieden.[4]
WHO-Grad | Klinik |
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I (leicht) |
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II (moderat) | |
III (schwer) |
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Risikofaktoren
Der größte Risikofaktor für die Entwicklung eines OHSS ist ein polyzystisches Ovarialsyndrom, da bei diesem viele Ovarialfollikel vorhanden sind und es durch die Stimulation zu einer Vergrößerung vieler Follikel kommen. Eine Mehrlingsschwangerschaft ist ebenfalls ein Risikofaktor für einen schwereren Verlauf, da bei dieser doppelt so viele Synzytiotrophoblasten heranreifen und damit auch potentiell mehr β-HCG bilden. Darüber hinaus wurde das Auftreten eines OHSS beispielsweise häufiger in Kombination mit folgenden Parametern beobachtet:
- Patientin jünger als 35 Jahre
- Hohe Östradiol-Konzentration im Serum
- Schnell ansteigender Östradiolspiegel
- hCG-Stimulation in der Lutealphase
- Stimulationsprotokolle, die GnRH-Agonisten verwenden
- OHSS in der Vorgeschichte
Therapie
Das OHSS ist häufig selbstlimitierend, wenn keine Schwangerschaft eintritt, oder wenn nach der 12. SSW der luteoplazentare Shift stattgefunden hat. Daher bedarf es bei leichtem bis moderatem OHSS oftmals keiner oder nur einer konservativen Therapie mit ambulanten Kontrollen, Ruhe, proteinreicher Nahrung, um den kolloidosmotischen Druck zu erhöhen sowie der Empfehlung viel zu trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Gegebenenfalls ist eine Thromboseprophylaxe indiziert.
Bei schwereren Formen ist eine stationäre Aufnahme nötig, die eine Heparinisierung, regelmäßige Kontrollen des Hämatokrits und eine Überwachung der Diurese umfasst. Eventuell können eine intravenöse Flüssigkeitstherapie, eine Aszites- oder Pleurapunktion sowie die Gabe von Albumin indiziert sein. Droht ein hypovolämischer Schock, ist meist auch die Anlage eines zentralvenösen Gefäßzugangs nötig.[1]
Prophylaxe
Bei bekannten Risikofaktoren kann bei der In-vitro-Fertilisation ein alternatives Stimulationsprotokoll verwendet werden. Dazu zählt zum Beispiel das GnRH-Antagonistenprotokoll, bei dem die Ovulation nicht mittels β-HCG, sondern durch einen GnRH-Agonisten ausgelöst wird.[1]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart · New York: Frauenheilkunde up2date 2015; 9(2): 153-164 DOI: 10.1055/s-0033-1358128.
- ↑ Soares SR, Gómez R, Simón C, García-Velasco JA, Pellicer A. Targeting the vascular endothelial growth factor system to prevent ovarian hyperstimulation syndrome. Hum Reprod Update. 2008 Jul-Aug;14(4):321-33. doi: 10.1093/humupd/dmn008. Epub 2008 Apr 2. PMID: 18385260.
- ↑ WHO Scientific Group on Agents Stimulating Gonadal Function in the Human & World Health Organization. Agents stimulating gonadal function in the human: report of a WHO Scientific Group [meeting held in Geneva from 28 August to 1 September 1972]. World Health Organization; 1973. https://apps.who.int/iris/handle/10665/38216
- ↑ Golan, Abraham, et al. A modern classification of OHSS. Reproductive BioMedicine Online, Volume 19, Issue 1, 28 - 32 DOI: https://doi.org/10.1016/S1472-6483(10)60042-9
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