von russisch: Новичо́к ("Nowitschok") - Neuling
Englisch: novichok agent
Als Nowitschok wird eine Wirkstoffgruppe von Nervenkampfstoffen bezeichnet. Ihre toxische Wirkung beruht auf der Störung der Reizübertragung im zentralen und peripheren Nervensystem.
Nervenkampfstoffe vom Typ Nowitschok wurden am staatlichen Forschungsinstitut für Organische Chemie und Technologie der Sowjetunion zwischen 1971 und 1993 entwickelt. Die Entwicklung erfolgte im Rahmen eines geheimen russischen Militärprogramms namens "Foliant", welches zum Ziel hatte, eine neue Generation an chemischen Waffen zu schaffen. In den Fokus der Öffentlichkeit rückte Nowitschok im März 2018 durch die Vergiftung von Sergei W. Skripal sowie im August 2020 durch den Anschlag auf Alexei A. Nawalny.
Es handelt sich bei der Nowitschok-Gruppe um organische Phosphorsäureester, die teils als unitäre, teils als binäre Kampfstoffe vorliegen. Letztere werden als Nowitschok-Substanzen im engeren Sinne bezeichnet. Die genauen Strukturformeln der Substanzen sind jedoch nur teilweise bekannt bzw. veröffentlicht.
Einige der Nowitschok-Agenzien liegen in flüssiger, andere in fester Form vor. Die Gifte, die als Feststoff vorliegen, lassen sich zu einem ultrafeinen Pulver verarbeiten.
Die Nervengifte der Nowitschok-Gruppe entfalten ihre toxische Wirkung über die Hemmung der Acetylcholinesterase (AChE). Diese Hemmung resultiert aus der Phosphorylierung von Serin im aktiven Zentrum des Enzyms.
Durch die Hemmung der Acetylcholinesterase kann der Neurotransmitter Acetylcholin nicht mehr adäquat abgebaut werden. In Folge akkumuliert Acetylcholin im synaptischen Spalt und aktiviert dauerhaft postsynaptische Acetylcholin-Rezeptoren des zentralen und peripheren Nervensystems. Von dieser Überaktivierung sind sowohl die muskarinischen als auch die nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren betroffen. Folge ist eine Überstimulation des Parasympathikus und der neuromuskulären Endplatten mit Kontraktion aller Muskeln.
Nowitschok-Kampfstoffe zählen zu den tödlichsten Nervengiften, die jemals hergestellt wurden. Laut Wil Mirsajanow, einem russischen Chemiker, der für die Enthüllung von Nowitschok bekannt wurde, sind sie um ein Vielfaches potenter und toxischer als das bekannte Gift VX.
Durch die parasympathische Überstimulation kommt es zum cholinergen Syndrom, welches mit folgenden Symptomen einhergeht:
Weiterhin führt der Acetylcholin-Überschuss an nikotinergen Rezeptoren zu Muskelfaszikulationen und Muskelkrämpfen der Skelettmuskulatur und letztendlich zu einer Paralyse. Weiterhin treten eine Atemlähmung, Verwirrtheit, zentrale Krampfanfällen und Koma auf.
Die Todesursache stellt häufig das Ersticken dar. Zumeist ist dieses bedingt durch die Kombination aus Bronchokonstriktion, Bronchorrhö, Lähmung von Zwerchfell und Atemhilfsmuskulatur sowie der Hemmung des zentralen Atemantriebes.
Diagnostisch steht nach der klinischen Untersuchung zunächst die Aktivitätsbestimmung der Cholinesterase im Vordergrund. Mittels Point-of-Care-Geräten (z.B. ChE check mobile, Fa. Securetec oder LISA-ChE, Fa. Dr. Köhler Chemie) kann diese innerhalb weniger Minuten durchgeführt werden.
Grob orientierend kann auch die Bestimmung der Pseudocholinesterase bzw. Plasmacholinesterase dienen. Da die Acetylcholinesterase auch auf Erythrozyten exprimiert wird und deren Funktion ebenfalls durch Nowitschok gehemmt wird, kann die Aktivität dieser als Surrogatparameter für die Aktivität der Acetylcholinesterase im Nervensystem herangezogen werden.
Allgemein gilt es zunächst die Exposition des Patienten gegenüber dem chemischen Kampfstoff so früh wie möglich zu beenden. Dies erfolgt zum einen durch die Rettung des kontaminierten Patienten aus dem Gefahrenbereich unter Berücksichtigung des Eigenschutzes (Chemikalienschutzanzug und Mundschutz).
Die weitere Behandlungsstrategie umfasst die Verabreichung von folgenden Antidots, welche bei Nowitschok allerdings nur begrenzt wirksam sind:
Benzodiazepine werden darüberhinaus zur Behandlung von Krampfanfällen, zur Angstlösung und Beruhigung sowie zur Neuroprotektion verabreicht. Im Falle einer Ateminsuffizienz ist zudem eine invasive Beatmung notwendig.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Tags: Chemische Waffe, Nervenkampfstoff
Fachgebiete: Toxikologie
Diese Seite wurde zuletzt am 7. September 2020 um 18:11 Uhr bearbeitet.
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