Nervenkampfstoff
Englisch: nerve agent
Definition
Als Nervenkampfstoffe werden Nervengifte (Neurotoxine) bezeichnet, die als chemische Waffen eingesetzt werden bzw. wurden.
Biochemie
Klassische Nervenkampfstoffe wirken als Acetylcholinesterase-Hemmer und inhibieren den enzymatischen Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin. In der Folge steigt die Zahl cholinerger Synapsen im synaptischen Spalt parasympathischer und sympathischer Neuronen, was zu einer Dauererregung führt.
Diese Substanzen wirken schon in geringen Mengen toxisch und sind oft leicht flüchtig, sodass die Aufnahme vorwiegend durch Einatmen stattfindet. Eine Kontamination durch direkten Kontakt mit der Haut und den Augen ist ebenfalls möglich. Die Substanzen sind meistens farb- und geruchslos.
Neben den klassischen Nervenkampfstoffen gibt es noch weitere neurotoxisch wirkenden Kampfmittel, die unterschiedliche Wirkmechanismen nutzen. Zu diesen Nicht-AChE-Toxinen zählen u.a.:
- Saxitoxin, ein Natriumkanalblocker
- Botulinumtoxin, das die Freisetzung von Acetylcholin hemmt
Symptomatik
Der Kontakt mit klassischen Nervenkampfstoffen löst die Symptomatik eines akuten cholinergen Syndroms aus. Dabei kommt es zu Muskelkrämpfen, Miosis, Hypersalivation, unkontrollierbarem Stuhlgang und Wasserlassen. Die Lähmung der Atemmuskulatur führt schließlich zum Tod durch Ersticken.
Einteilung
Klassische Nervenkampfstoffe werden nach ihrer Herstellung in sogenannte Reihen eingeteilt. Bei allen Verbindungen handelt es sich im erweiterten Sinn um Phosphorsäureester.
G-Reihe
Der Name leitet sich von "Made in Germany" ab, da die Verbindungen während des Zweiten Weltkrieges von einem deutschen Chemiker entwickelt wurden. Dazu gehören vor allem:
Die Verbindungen werden auch als 1. Generation der klassischen Nervenkampfstoffe bezeichnet. Sie sind nicht-persistent und werden schnell abgebaut.
V-Reihe
Der Name leitet sich von dem Wort "viscous" ab. Die Verbindungen haben eine ölige Konsistenz und werden im Gegensatz zur G-Reihe nur sehr langsam biologisch und chemisch abgebaut. Dadurch kann es auch nach Tagen durch Kontakt mit benetzten Oberflächen noch zu einer gesundheitsschädlichen Exposition kommen. Zu den Verbindungen, die auch als 2. Generation bezeichnet werden, gehören u.a.:
| Abkürzung | Chemische Bezeichnung |
|---|---|
| VE | S-[2-(Diethylamino)ethyl] O-ethyl P-ethylphosphonothioat |
| VG | S-[2-(Diethylamino)ethyl] O,O-diethyl phosphorothioat |
| VM | S-[2-(Diethylamino)ethyl] O-ethyl methylphosphonothioat |
| VR | S-[2-(Diethylamino)ethyl] O-(2-methylpropyl) P-methylphosphonothioat |
| VX | S-{2-[Di(propan-2-yl)amino]ethyl} O-ethyl methylphosphonothioat |
Novichok-Reihe
Als Novichok-Reihe werden Substanzen bezeichnet, die während des Kalten Krieges, vor allem in der Sowjetunion, entwickelt wurden. Die Substanzen sind nach heutigem Stand nie zum Einsatz gekommen und über die genauen chemischen Strukturen ist wenig bekannt. Größere Bekanntheit erlangte Novichok jedoch im März 2018 durch den Fall des russischen Überläufers und britischen Doppelagenten Sergei Skripal. Nach Angaben der britischen Regierung wurde ein Wirkstoff der Novichok-Gruppe beim Anschlag auf Sergei Skripal und seine Tochter Julia Skripal benutzt.
Verwendung
Nervenkampfstoffe zählen zu den Massenvernichtungswaffen. Unterzeichner der 1997 in Kraft getretenen Chemiewaffenkonvention bekennen sich zum Verbot der Entwicklung, der Produktion, dem Erwerb, der Lagerung, der Aufbewahrung, der Übertragung oder der Verwendung von chemischen Waffen. Aktuell haben 193 Staaten die Konvention unterschrieben (Stand 2025).[1]
Quellen
- ↑ Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW): Dokumente des Technischen Sekretariats 2025. Abgerufen am 23.11.2025.