Schwarze Tollkirsche
Synonyme: Echte Tollkirsche, Tollkraut, Schlafbeere, etc.
Englisch: deadly nightshade
Definition
Die Schwarze Tollkirsche ist eine Gift- und Arzneipflanze aus der Gattung Atropa und der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Die botanische Bezeichnung lautet Atropa belladonna.
Etymologie
Der Name Atropa belladonna hat einen mythologischen und historischen Ursprung. Der Gattungsname Atropa stammt von Atropos ab, der griechischen Schicksalsgöttin, die das Leben der Menschen beendete. Dies spiegelt die tödliche Natur der Pflanze wider, da alle Teile der Tollkirsche giftig sind. Der Artname "belladonna" bedeutet im Italienischen "schöne Frau" und verweist auf die Renaissance, als Frauen den Saft der Pflanze zur Pupillenerweiterung und Schönheitssteigerung nutzten.
Botanik
Merkmale
Die Tollkirsche erreicht eine Höhe von 50 bis 150 cm und zeichnet sich durch eine verzweigte Struktur sowie drüsige Behaarung aus. Die Blätter sind eilanzettlich, ganzrandig und gestielt. Es stehen jeweils ein großes und ein kleines Blatt zusammen, wobei dazwischen eine lang gestielte Blüte entspringt. Die Blütenkrone ist eng glockenförmig, mit einem kurzen, fünfteiligen, zurückgebogenen Rand und einer Länge von 2,5 bis 3,5 cm. Farblich variiert sie von braunviolett bis gelbgrün und weist innen purpurne Adern auf. Die Frucht ist eine kugelige, kirschgroße, schwarz glänzende Beere, die hochgiftig ist. Die Blütezeit erstreckt sich von Juni bis August. Diese Pflanze ist ein ausdauernder Hemikryptophyt.
Verbreitung
Die Pflanze ist in West-, Mittel- und Südeuropa, auf dem Balkan, in Kleinasien, im Iran und in Nordafrika weit verbreitet. Auch in Dänemark, Schweden und Irland ist sie zu finden. Sie wächst bevorzugt in schattigen Bergwäldern, auf Waldlichtungen und an Waldrändern, wobei sie kalkhaltige Böden bevorzugt.
Der Anbau erfolgt in Süd- und Mitteleuropa, im europäischen Teil der GUS sowie in Pakistan, Nordindien, den USA und Brasilien.
Medizinische Bedeutung
Die medizinische Bedeutung der Tollkirsche geht hauptsächlich auf die Blatt- sowie die Wurzeldroge und deren Zubereitungen zurück. Heute (2024) wird die Pflanze medizinisch nur noch selten genutzt. Tollkirschezubereitungen sind apothekenpflichtig und verschreibungspflichtig.
In der Homöopathie wird sie in hohen Verdünnungen verwendet, die keine pharmakologische Wirksamkeit mehr haben.
Belladonnablätter
Belladonnae folium Ph. Eur. bezeichnet die getrockneten Blätter der schwarzen Tollkirsche. Gelegentlich werden auch die blühenden oder früchtetragenden Zweigspitzen mit einbezogen. Die Blätter enthalten 0,1-1,0 % Alkaloide, wobei das Hauptalkaloid Hyoscyamin ist, begleitet von geringen Mengen Scopolamin.
In der Vergangenheit wurden Extrakte oder Presssäfte dieser Pflanze bei Spasmen und kolikartigen Schmerzen im Magen-Darm-Bereich und den Gallenwegen sowie bei Vagotonie, Hypersekretion und Parkinson-Tremor eingesetzt. Heutzutage findet eine Anwendung kaum noch statt. Zu den Kontraindikationen gehören unter anderem tachykarde Arrhythmien, Engwinkelglaukom und Prostataadenom.
Offizinelle Zubereitungen sind:
- Eingestellter Belladonnatrockenextrakt (Belladonnae folii extractum siccum normatum Ph. Eur., 0,95–1,05 % Alkaloide, ED 0,01 g, EMD 0,05 g, TMD 0,15 g),
- Eingestelltes Belladonnapulver (Belladonnae pulvis normatus Ph. Eur., 0,28–0,32 % Alkaloide, ED 0,05–0,1 g, EMD 0,2 g, TMD 0,6 g),
- Eingestellte Belladonnatinktur (Belladonnae tinctura normata Ph. Eur., 0,027–0,033 % Alkaloide, ED 0,15 g, EMD 1 g, TMD 3 g).
Belladonnawurzel
Belladonnae radix DAC, mit 0,35 % Alkaloiden, wird aus den getrockneten Wurzeln und Wurzelstöcken der blühenden oder fruchttragenden Tollkirsche gewonnen. Sie enthält 0,35 % Alkaloide, wobei das Hauptalkaloid Hyoscyamin ist. In der Wurzeldroge wurden 20 Nebenalkaloide nachgewiesen, darunter Apoatropin, Belladonnin und Scopolamin.
Anwendungsgebiete sind vor allem kolikartigen Schmerzen im Magen-Darm-Bereich. Die Verwendung der Wurzeln ist bei anderen Indikationen heute weitgehend obsolet.
Volksmedizinische Anwendungen
Die Toxizität und Wirksamkeit von Atropa belladonna sind seit dem Altertum bekannt. Bereits die Germanen nutzten diese Pflanze, und es gibt Hinweise darauf, dass auch Hildegard von Bingen sie erwähnte. Die Nutzung erfolgte hauptsächlich wegen ihrer nachgewiesenen halluzinogenen Wirkung. So wurde Atropa belladonna als Zusatz zu alkoholischen Getränken verwendet, um deren Rauschwirkung zu verstärken. Zudem fand die Pflanze in Hexensalben und -tränken, als Zaubermittel und in Liebestränken Anwendung.
In der medizinischen Anwendung wurde Atropa belladonna beispielsweise bei Geschwüren und eitrigen Wunden in Form von Salben, bei Schmerzzuständen und bei Gicht eingesetzt. Allerdings ist die Wirksamkeit der Pflanze bei diesen Anwendungsgebieten weitgehend unbelegt.
Toxizität
Die Toxizität der Atropa belladonna sowie daraus hergestellter Zubereitungen ist auf Hyoscyamin und Atropin zurückzuführen. Die Vergiftungsschwere hängt von der Ingestionsmenge sowie dem Zerkleinerungsgrad der Pflanzenteile ab. Zerkleinerte, gekaute Tollkirschen setzen aufgrund der Oberflächenvergrößerung schneller Giftstoffe frei, da sie besser resorbiert werden können. Für ein Kind können bereits 3 Beeren tödlich sein.
Akute Vergiftungen lassen sich anhand von vier Hauptsymptomen erkennen:
- Rötung des Gesichts (warme, scharlachrote Haut)
- Trockenheit der Schleimhäute (Durst, Schluckstörungen, Heiserkeit)
- Tachykardie
- Mydriasis (sogenannte "Glanzaugen" mit maximal erweiterten, starren Pupillen)
Bei größeren Mengen, etwa ab 3,0 mg Atropin, treten auch zentrale erregende Wirkungen auf. Diese äußern sich durch starke motorische Unruhe, Rededrang, Halluzinationen, Delir und Tobsuchtsanfälle und enden meist in Schlaf und Erschöpfung. Es kann zur Aktivierung endogener Psychosen und zu Glaukomanfällen kommen.
Noch höhere Dosen wirken zentral lähmend, mit der Gefahr des Atem- und oder Herzstillstands.
Die Symptome einer Atropinvergiftung werden auch unter dem Begriff anticholinerges Syndrom zusammengefasst.
Erste-Hilfe-Maßnahmen
Die Behandlung einer Tollkirsche-Intoxikation ist abhängig vom klinischen Zustand des Patienten. Beim Auftreten von Vergiftungssymptomen ist eine sofortige ärztliche Behandlung notwendig.
- Wache Patienten sollten Wasser oder Tee trinken und den Mund ausspülen, um ggf. verbliebene Pflanzenteile zu entfernen. Zusätzlich ist innerhalb der ersten 60 Minuten nach der Ingestion die Gabe von Aktivkohle sinnvoll. Die Auslösung eines induzierten Erbrechens durch Trinken von Ipecacuanha-Sirup ist nur kurz nach der Aufnahme des Gifts zielführend. Die Verwendung von Salzlösungen zu diesem Zweck ist kontraindiziert.
- Bei bewusstlosen Patienten stehen die Überwachung und Sicherstellung der Vitalfunktionen nach dem ABCDE-Schema an erster Stelle. Als Antidot kann Physostigmin, ein Cholinesterasehemmer, verabreicht werden.
Literatur
- Teuscher, Eberhard/Ulrike Lindequist/Matthias F. Melzig: Biogene Arzneimittel: Lehrbuch der Pharmazeutischen Biologie, 15.05.2020.
- Rätsch, Christian: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen: Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendung. Das Standardwerk zu psychoaktiven Pflanzen, 14., Aarau, Schweiz: AT Verlag, 2018
- Wink, Michael/Ben-Erik Van Wyk/Coralie Wink: Handbuch der giftigen und psychoaktiven Pflanzen, 1. Aufl., Stuttgart, Deutschland: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2008.
- Hänsel/Keller/Schneider: Handbuch der Pharmazeutischen Praxis: Bände 4-6: Drogen A-Z, 5., Heidelberg, Deutschland: Springer Berlin, 1992.