Paracetamol
Synonyme: Paracetamolum, Acetaminophen (USAN), APAP, N-Acetyl-4-aminophenol, N-Acetyl-p-aminophenol, 4-Acetaminophenol, p-Hydroxyacetanilid, 4′-Hydroxyacetanilid
Englisch: acetaminophen, paracetamol; brand name: Tylenol®
Definition
Paracetamol, kurz PCM, ist ein antipyretisch und analgetisch wirksamer Arzneistoff aus der Gruppe der Nichtopioid-Analgetika. Es wirkt unter Laborbedingungen auch geringfügig antiphlogistisch.
Geschichte
Die Erstsynthese erfolgte 1878 durch den amerikanischen Chemiker Harmon Northrop Morse. Die analgetische Wirkung der Substanz wurde bereits 1893 entdeckt, aber erst in den 1950er Jahren etablierte sich Paracetamol als Breitentherapie gegen Schmerzen. In Deutschland wurde Paracetamol 1959 von der Münchner Firma Bene Arzneimittel unter dem Handelsnamen "Ben-u-ron®" auf den Markt gebracht.
Chemie
Die Summenformel von Paracetamol lautet C8H9NO2, die molare Masse beträgt 151,16 g/mol. Die Strukturformel sieht folgendermaßen aus:
In reiner Form handelt es sich bei Paracetamol um ein weißes, kristallines Pulver, das einen leicht bitteren Geschmack hat und geruchlos ist. Es ist leicht löslich in 96 %igem Ethanol. In Wasser hingegen löst es sich nur wenig und in Dichlormethan ist es sehr schwer löslich.
Wirkmechanismus
Der genaue Wirkmechanismus von Paracetamol ist bis heute nicht abschließend geklärt. Bekannt ist, dass mehrere, kontrovers diskutierte Mechanismen zusammenspielen, und dass der schmerzstillende Effekt zu einem nicht unerheblichen Teil in Gehirn und Rückenmark zustande kommt.
Anders als die NSAR Acetylsalicylsäure und Ibuprofen hat Paracetamol keine antiinflammatorische Wirkung, da es kaum auf die periphere Cyclooxygenase wirkt. Aus diesem Grund zeigt es auch nicht die typischen NSAR-Nebenwirkungen. Paracetamol hemmt primär das Isoenzym COX-2. Aufgrund seiner COX-2-Selektivität interagiert Paracetamol nicht mit Gerinnungsfaktoren wie Thromboxan, daher hat es im Unterschied zu den NSAR keinen Effekt auf die Blutgerinnung.
Die Inhibition von COX-2 wird auch zur Erklärung der fiebersenkenden Wirkung von Paracetamol herangezogen. Wird COX-2 gehemmt, ist die Prostaglandin-Synthese reduziert. Prostaglandin bewirkt im Hypothalamus eine Erhöhung der Körpertemperatur. Wird weniger Prostaglandin freigesetzt, kommt es wieder zur Sollwertangleichung.
Darüber hinaus gibt es Erklärungsmodelle, welche die spezifische Wirkung von Paracetamol auf die Interaktion mit einer von COX-1 und COX-2 verschiedenen Isoform, der Cyclooxygenase 3, zurückführen. Dieser Ansatz wird jedoch kontrovers diskutiert.
Darüber hinaus wirken Paracetamol und sein Hauptmetabolit, n-Arachidonoylaminophenol (AM404), auch im endogenen Cannabiniod-System als Anandamid-Wiederaufnahmehemmer. Seine Interaktion mit dem Vanilloid-Rezeptor wird ebenfalls mit der analgetischen und antipyretischen Wirkung in Verbindung gebracht. Ein Großteil seines analgetischen Effekts kann durch synthetische Cannabinoidantagonisten aufgehoben werden.
AM404 beeinflusst ebenfalls die Prostaglandinsynthese und ist darüber hinaus ein TRPV1-Agonist.
Pharmakokinetik
Nach der oralen Einnahme wird Paracetamol rasch im Magen-Darm-Trakt resorbiert. Bereits nach 30 bis 60 min wird die maximale Konzentration im Blut erreicht. Die Bioverfügbarkeit ist hoch und beträgt bis zu 90 %. Bei rektaler Verabreichung (Zäpfchen) kann die Bioverfügbarkeit stark schwanken. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei 1 bis 3 Stunden. Paracetamol wird in der Leber mit Glucuronsäure, Schwefelsäure oder Glutathion konjugiert und über den Urin ausgeschieden.
Dosierung
Bei einer oralen Anwendung werden in der Regel 10–15 mg Paracetamol pro kg Körpergewicht als Einzeldosis verwendet - bei Erwachsenen entsprechend zwischen 1 und 2 Tabletten á 500 mg. Es gelten die Angaben des jeweiligen Herstellers.
Tageshöchstdosis
Die Tageshöchstdosis für Erwachsene wurde früher mit 6 g/d angegeben, aber vor einigen Jahren auf 4 g/d reduziert. Grund waren vereinzelte Fälle von Intoxikationen mit bereits einer geringeren Menge von 3 g/d. Für Kinder und Jugendliche sind abgestufte Tageshöchstmengen im Beipackzettel angegeben.
Einnahme
Die orale Einnahme von Paracetamol sollte nüchtern oder mindestens 4 Stunden nach der letzten Mahlzeit erfolgen. Die gleichzeitige Einnahme mit einer Mahlzeit kann zu einer verzögerten Resorption und damit zu einem späteren Wirkeintritt führen.[1]
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen unter Paracetamol sind in therapeutischer Dosierung selten (≥ 1/10.000 bis < 1/1.000) bzw. sehr selten (< 1/10.000). Möglich sind u.a.:
- Anstieg der Transaminasen
- Veränderungen des Blutbildes wie Thrombozytopenie oder Agranulozytose
- Bei prädisponierten Personen Bronchospasmus (Analgetikaasthma)
- Überempfindlichkeitsreaktionen von einfacher Hautrötung bis hin zu Urtikaria und anaphylaktischem Schock
- SJS, TEN
- Akutes generalisiertes pustulöses Exanthem (AGEP)
Wechselwirkungen
Wechselwirkungen bestehen u.a. mit:
- CYP450-Induktoren
- Probenecid: Hemmt die Bindung von Paracetamol an Glucuronsäure und reduziert die Paracetamol-Clearance
- Zidovudin: Neigung zur Ausbildung einer Neutropenie verstärkt
- Colestyramin: Verringerung der Paracetamol-Resorption
- Ethanol: akuter Alkoholkonsum hemmt CYP2E1 und damit den Abbau von Paracetamol, chronischer Alkoholkonsum hingegen induziert CYP2E1 und damit die Umwandlung von Paracetamol in N-Acetyl-p-benzochinonimin[2]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff
- Schwere Leberinsuffizienz (Child-Pugh-Kriterien > 9)
Schwangerschaft und Stillzeit
Paracetamol ist in allen Phasen der Schwangerschaft das Schmerzmittel der Wahl. Im dritten Trimenon ist es das einzige nicht-opioide Analgetikum, das angewendet werden kann. Die Dosis muss bei Schwangeren nicht angepasst werden.[3]
In der bisher größten epidemiologischen Studie hat sich der Verdacht, dass die Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft die neurologische Entwicklung des Kindes stört und zu einer Zunahme von Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) und geistigen Behinderungen führt, nicht bestätigt.[4]
Auch in der Stillzeit kann Paracetamol eingenommen werden.[3]
Toxizität
Wird Paracetamol in sehr hohen Dosen eingenommen, ist die Kapazität der Leber zur Konjugation überschritten – es kommt zur Paracetamolintoxikation mit Leberzellnekrosen und klinischem Leberversagen.
Entscheidend ist der Metabolismus über CYP2E1, wobei der toxische Zwischenmetabolit N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) entsteht. Wird NAPQI nicht mittels Glutathion entgiftet, kann es an zelluläre Proteine binden, was zytotoxisch wirkt. Das Vollbild einer Paracetamolintoxikation entwickelt sich mit einer Latenzzeit von 24 bis 72 Stunden, weshalb bei Verdacht auf eine Vergiftung die kontinuierliche Überwachung der Leberenzyme essenziell ist.
Beim gesunden Erwachsenen beginnt die toxische Plasmakonzentration ab 200 μg/ml, mit einem Sicherheitsabschlag von 25 % bei 150 μg/ml. Eine eingenommene Paracetamoldosis ab 150 mg/kg Körpergewicht wird bereits als behandlungsbedürftig angesehen.[5] Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen ist die toxische Dosis geringer. Vor allem bei Alkoholikern findet sich die Kombination von erhöhtem CYP2E1 (Expression induziert durch Ethanol) und tiefem Glutathion (schlechte Ernährung), wodurch bereits eine geringere Plasmakonzentration toxisch wirkt.
Cave: Bei Säuglingen und Kleinkindern kann bereits mit der Erwachsenendosierung von 1 g die letale Dosis erreicht werden. |
Bei einer Paracetamolintoxikation wird nach dem Prescott-Schema frühzeitig N-Acetylcystein intravenös als Antidot eingesetzt.
Labormedizin
Die labordiagnostische Messung des Paracetamol-Serumspiegels ist mithilfe der Enzyme-multiplied Immunoassay Technique (EMIT) möglich, was vor allem bei Intoxikationen relevant ist. Bei therapeutischer Anwendung liegen die Plasmaspiegel unterhalb von 20 μg/ml.
Verschreibungspflicht
Die Tatsache, dass Paracetamol die häufigste Ursache für ein akutes Leberversagen in den USA war, hat die FDA (Food and Drug Administration) dazu veranlasst, die Dosis von Paracetamol in verschreibungspflichtigen Kombinationspräparaten in den USA auf 325 mg pro Tablette (zuvor 750 mg) zu beschränken.
In Deutschland sind orale paracetamolhaltige Arzneimittel seit 2009 verschreibungspflichtig, wenn in einer Packung eine Gesamtmenge von 10 g Paracetamol überschritten wird. Diese Grenze ist unabhängig von dem Wirkstoffgehalt der Einzeldosierungen (z.B. in einer Tablette). Paracetamol-Zäpfchen sind nicht verschreibungspflichtig.[6]
Weblinks
Quellen
- ↑ Moore RA et al.: Effects of food on pharmacokinetics of immediate release oral formulations of aspirin, dipyrone, paracetamol and NSAIDs - a systematic review Br J Clin Pharmacol 2015 Sep;80(3):381-8. doi: 10.1111/bcp.12628. Epub 2015 Jul 6.
- ↑ Pharmazeutische Zeitung - Hände weg vom Alkohol, abgerufen am 24.05.2022
- ↑ 3,0 3,1 Paracetamol. Embryotox.de, abgerufen am 10.04.2024
- ↑ Ahlqvist VH et al. Acetaminophen Use During Pregnancy and Children's Risk of Autism, ADHD, and Intellectual Disability. JAMA. 2024
- ↑ Wallace et al. Paracetamol overdose: an evidence based flowchart to guide management Emergency Medicine Journal, 2002
- ↑ gesetze-im-internet.de - Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimittelnabgerufen am 24.01.2022
Weblinks
- Paracetamol (Ben-U-ron, Generika) Als Ursache für Autismus? a-t 2024; 55(4): 26-27, abgerufen am 13.04.2024
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