Ösophagusvarizen
Synonym: Ösophagusvarizenblutung
Englisch: esophageal varices
Definition
Epidemiologie
Bei schwergradiger portaler Hypertension, beispielsweise im Rahmen einer Leberzirrhose, weisen etwa die Hälfte der Betroffenen Ösophagusvarizen auf. Die Letalität einer Blutung beträgt auch bei Behandlung bis zu 30 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf eine erste Ösophagusvarizenblutung ein Rezidiv erfolgt, liegt bei etwa 70 %.
Stadieneinteilung
Ösophagusvarizen können durch eine Ösophagogastroduodenoskopie diagnostiziert werden. Nach Aussehen und Eigenschaften während der Endoskopie kann eine klinische Stadieneinteilung in Grad I – IV nach Paquet erfolgen:
- Stadium I: Es liegen Ektasien der submukösen Venen vor, die jedoch nach Luftinsufflation durch das Endoskop verstreichen.
- Stadium II: Es bestehen einzelne in das Lumen des Ösophagus hervorragende Varizen, die auch bei Luftinsufflation bestehen bleiben.
- Stadium III: Das Lumen des Ösophagus ist durch hervorragende Varizenstränge eingeengt. Als Zeichen einer Epithelschädigung (Erosion) können rötliche Flecken ("cherry spots" und "red whales") auf der Schleimhaut bestehen.
- Stadium IV: Die Varizenstränge haben das Ösophaguslumen verlegt, es bestehen in der Regel zahlreiche Erosionen der Schleimhaut.
Bei einem Teil der Patienten liegen neben Ösophagusvarizen auch Magenvarizen und eine Gastropathia hypertensiva vor.
Symptomatik
Die klinische Symptomatik ist unspezifisch und diskret. Betroffene Patienten beklagen Druck- und Völlegefühl im Oberbauch. Entlarvend im Sinne einer portalen Hypertension können Leberhautzeichen, Aszites bzw. andere Symptome der Ursache einer portalen Hypertonie sein. Als Ausdruck einer portalen Hypertonie liegt als Befund in der körperlichen Untersuchung eine Splenomegalie vor.
Eine Ösophagusvarizenblutung zeigt sich häufig durch (schwallartiges) Erbrechen von frischem und kaffeesatzartigem Blut, ggf. auch mit Teerstühlen oder Hämatochezie. Bei schwerer Blutung kann schnell ein hämorrhagischer Schock entstehen.
Therapie
Bei der Therapie ist zwischen akuten Maßnahmen bei aufgetretener Blutung und einer Blutungsprophylaxe bzw. einer Rezidivprophylaxe zu unterscheiden.
Therapie der akuten Blutung
Im Notfall sollte der betroffene Patient direkt auf eine Intensivstation gelegt werden. Primäres Ziel ist die Blutstillung. Allgemeine Maßnahmen sind u.a.:
- Monitoring der Vitalfunktionen
- Intubation (bei relevanter Aspirationsgefahr)
- Katecholamintherapie, möglichst über ZVK
- Volumengabe über großlumige periphervenöse Zugänge oder z.B. zentralvenöse Schleuse
- ggf. Transfusion von Erythrozytenkonzentraten bzw. Massentransfusion
Medikamentöse Therapie
Bei Verdacht auf eine Ösophagusvarizenblutung soll unverzüglich eine medikamentöse Therapie mit einem vasoaktiven Medikament sowie eine antibiotische Therapie eingeleitet werden und mit einer endoskopischen Behandlung kombiniert werden.
Zur Senkung des portalvenösen Drucks ist Terlipressin Mittel der Wahl und kann als Bolus oder kontinuierliche Infusion verabreicht werden, wobei eine kontinuierliche Applikation möglicherweise das Risiko von Reblutungen reduziert. Die vasoaktive Therapie wird für bis zu fünf Tage durchgeführt, kann jedoch bei erfolgreicher Blutstillung auch bereits nach 24 bis 48 Stunden beendet werden. Typische Dosierungsschemata sind:[1]
- Terlipressin 1 — 2 mg i.v. alle 4 — 6 Stunden oder
- Terlipressin 2 mg Bolus, dann kontinuierlich 4 mg über 24 Stunden
Aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos bei Patienten mit Leberzirrhose ist eine frühzeitige antibiotische Prophylaxe erforderlich, üblicherweise mit Ceftriaxon in einer Dosierung von 1 g täglich über einen Zeitraum von zwei bis fünf Tagen.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Häufig ist eine zielgerichtete Optimierung der Hämostase erforderlich, insbesondere bei vorbestehender Leberzirrhose oder laufender Antikoagulation. Ergänzend zur Basisdiagnostik (z.B. INR und pTT) sollten Point-of-Care-Testverfahren (z.B. Thrombelastometrie) erwogen werden, um eine möglichst differenzierte Therapie zu ermöglichen. Maßnahmen können u.a. sein:
- Substitution von Fibrinogen
- spezifische Antagonisierung von direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) (z.B. Idarucizumab bei Dabigatran, Andexanet alfa bei Faktor-Xa-Inhibitoren) bzw. alternativ die Gabe eines Prothrombinkomplex-Konzentrats (PPSB)
- Antagonisierung von Heparinen durch Protamin
- Gabe von Tranexamsäure (nicht routinemäßig!)
- Thrombozytentransfusion bei ausgeprägter Thrombozytopenie und aktiver Blutung
Die Gabe von gefrorenem Frischplasma (Fresh Frozen Plasma, FFP) soll bei akuter Ösophagusvarizenblutung möglichst nicht erfolgen, da sie zu einer Volumenbelastung und Erhöhung des portalvenösen Drucks führen kann und keinen nachgewiesenen Benefit hinsichtlich der Blutstillung zeigt. Die Gerinnungstherapie sollte restriktiv, individualisiert und klinisch gesteuert erfolgen und die endoskopische sowie vasoaktive Therapie nicht verzögern.
Interventionelle Therapie
Bei Verdacht auf eine akute Varizenblutung sollte eine diagnostische und therapeutische Endoskopie innerhalb von 12 Stunden erfolgen. Zur endoskopischen Blutstillung stehen die Gummibandligatur sowie die Sklerosierung mit (n-Butyl-2-)Cyanoacrylat zur Verfügung, wobei bei Ösophagusvarizen die Gummibandligatur als Methode der ersten Wahl gilt.[1]
Bei fortbestehender oder rezidivierender Blutung trotz medikamentöser Therapie, insbesondere bei portalhypertensiver Gastropathie, ist die Indikation zur transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shuntanlage (TIPS) zu prüfen.
Persistiert eine Ösophagusvarizenblutung trotz vasoaktiver Pharmakotherapie und endoskopischer Hämostase, können selbstexpandierende Metallstents als temporäre Maßnahme bis zur definitiven Therapie eingesetzt werden. Ballontamponaden sind aufgrund ihres hohen Komplikationsrisikos nur noch in ausgewählten Ausnahmefällen indiziert.
Therapie zur Rezidiv- bzw. Blutungsprophylaxe
Als kausale Therapie ist die zugrundeliegende Ursache der portalen Hypertension zu therapieren. Allerdings sind nicht alle Ursachen der portalen Hypertonie kausal therapierbar, sodass häufig lediglich eine symptomatische und hinauszögernde Therapie erfolgt. Die nationale Leitlinie empfiehlt folgende Maßnahmen:[1]
Bei Patienten mit kompensierter Leberzirrhose und klinisch signifikanter portaler Hypertension wird unabhängig vom Vorliegen von Risikovarizen (große Varizen > 5 mm) eine Dekompensationsprophylaxe mit nicht-selektiven Betablockern empfohlen. Mittel der Wahl ist Carvedilol. Alternativ kann Propranolol eingesetzt werden.
Bei kompensierter Leberzirrhose mit Kontraindikationen oder Unverträglichkeit gegenüber Betablockern soll bei Nachweis von Risikovarizen eine endoskopische Gummibandligatur zur Prävention der ersten Varizenblutung erfolgen.
Bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose und Risikovarizen oder kleinen Varizen (< 5 mm) mit "cherry-spots" bzw. im Child-Pugh-Stadium C ist eine Primärprophylaxe zur Verhinderung einer Varizenblutung obligat. In dieser Situation sind medikamentöse Therapie und endoskopische Ligatur hinsichtlich der Blutungsprävention gleichwertig.
Eine Kombination aus medikamentöser und endoskopischer Therapie wird zur primären Blutungsprophylaxe bei kompensierter Leberzirrhose nicht empfohlen. Ebenso ist eine medikamentöse Therapie zur Verhinderung der Varizenentstehung bei kompensierten Patienten ohne Varizen nicht indiziert.
Interventionelle und operative Verfahren zielen in der Regel auf die Schaffung eines Shunts zwischen Pfortaderkreislauf und dem systemisch-venösen Kreislauf. Gängige Verfahren sind:
- TIPS
- Shuntoperationen
- Portokavaler Shunt (Portokavale End-zu-Seit-Anastomose, PCA)
- Splenorenaler Shunt
- H-Shunt
Bei Patienten mit einem hohen Risiko für eine Re-Blutung (Child-Pugh Score B >7 Punkte mit aktiver Blutung in der Gastroskopie, ChildPugh-Score C <14) ist eine frühzeitige TIPS-Anlage (innerhalb von 72 Stunden nach dem Blutungsereignis) empfohlen.
Zur Prävention einer hepatischen Enzephalopathie nach variköser oberer gastrointestinaler Blutung kann die Gabe von Lactulose und/oder Rifaximin erwogen werden. Insbesondere bei Patienten mit vorbestehender hepatischer Enzephalopathie oder hohem Risiko für deren Auftreten wird der prophylaktische Einsatz empfohlen.[1]
Prognose
Trotz Blutstillung versterben bis zu 30 % der Patienten an einer Varizenblutung. Ursache ist meistens eine schwerwiegende Leberinsuffizienz, Pneumonie (Aspiration) oder eine Sepsis mit Multiorganversagen. Auch bei Überleben der ersten Blutung versterben etwa ein Drittel der Patienten nach Rezidivblutungen.
siehe auch: Fundusvarizen
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Götz et al.: S2k-Leitlinie Gastrointestinale Blutung, 2025. Zuletzt abgerufen am 19.12.2025