Tertiäre lymphoide Struktur
Synonyme: tertiäre lymphatische Struktur, tertiäres Lymphorgan, ektope lymphoide Struktur, ektoper lymphoider Follikel
Englisch: tertiary lymphoid structure, tertiary lymphoid organ, ectopic lymphoid structure, ectopic lymphoid follicle
Definition
Tertiäre lymphoide Strukturen, kurz TLS, sind ektopische, organisierte, lymphatische Immunzellaggregate in ursprünglich nicht lymphatischem Gewebe. Sie entstehen infolge chronischer Entzündung oder bei Tumorerkrankungen, rekrutieren Lymphozyten und ermöglichen lokal eine adaptive Immunreaktionen. TLS sind funktionell einem Lymphknoten ähnlich, entstehen jedoch postnatal und haben keine Kapsel.
Terminologie
In der Literatur finden sich verschiedene Bezeichnungen: tertiäre lymphoide Strukturen (TLS), tertiäre Lymphorgane (TLO) und ektope lymphoide Strukturen (ELS).
Diese Begriffe werden in der Regel synonym verwendet. Sie beschreiben organisierte Immun-Nischen, die sich außerhalb klassischer lymphatischer Organe in anderen Geweben bilden können. Dabei reicht das Spektrum von frühen, noch lockeren Zellaggregaten bis hin zu reifen Strukturen mit Keimzentrum.
Ektope lymphoide Follikel (EFL) stellen die reifere, follikuläre Ausprägung tertiärer lymphoider Strukturen dar. Sie sind durch Keimzentren und eine geordnete B-Zell-Architektur gekennzeichnet und ähneln funktionell sekundären lymphatischen Organen.
Pathogenese
TLS entstehen, wenn eine Entzündung über längere Zeit bestehen bleibt. Auslöser können beispielweise Autoantigene, chronische Infektionen, Tumorgewebe oder Transplantatreaktionen sein. Lokale stromale Zellen wie Fibroblasten übernehmen dabei eine Schlüsselrolle. Unter dem Einfluss entzündlicher Signale produzieren sie Chemokine wie CXCL13, CCL19 und CCL21, die Lymphozyten anlocken und ihre räumliche Anordnung steuern.
Verstärkende Signale kommen von Lymphotoxinen sowie von Botenstoffen wie Interleukin-7, Interleukin-23, Interleukin-17, Tumornekrosefaktor und in manchen Kontexten auch Interleukin-21 und Interleukin-22.
T-Helferzellen, insbesondere TH17- und follikuläre T-Helferzellen, fördern die Reifung.
B-Zellen tragen durch Antigenpräsentation, Zytokinfreisetzung und die Ausbildung von Keimzentren zur Stabilität der Strukturen bei. In reifen TLS organisieren sich die B-Zellen follikelartig und interagieren mit follikulären dendritischen Zellen und follikulären T-Helfer-Zellen. Sie durchlaufen eine Affinitätsreifung mit somatischer Hypermutation und Selektion. Dadurch entstehen hochaffine Antikörper.
TLS sind dynamische Gebilde. Unter wirksamer Entzündungshemmung oder nach Eradikation einer chronischen Infektion können sie wieder kleiner werden oder ganz verschwinden.
Morphologie
TLS unterscheiden sich in ihrem Aussehen je nach Organ und Entzündungsgrad. Es existieren verschiedene Reifungsstufen:
- Früh: lockere Zellansammlungen ohne klare Zonierung
- Intermediär: erste Trennung von T-Zell- und B-Zell-Bereichen, Auftreten von dendritischen Zellclustern, Nachweis hochendothelialer Venolen
- Reif: klar abgrenzbarer B-Zell-Bereich mit Keimzentrumsaktivität, in dem Proliferation, somatische Hypermutation und Klassenwechsel stattfinden
Zur Einordnung werden verschiedene Marker eingesetzt, zum Beispiel CD3 und CD20 für T- bzw. B-Zellen, CD21 und CD23 für die dendritischen Zellcluster sowie AID, BCL6 und Ki-67 als Hinweise auf Keimzentrumsprozesse. Nicht alle Merkmale sind in jeder TLS gleichzeitig nachweisbar.
Funktion
TLS übernehmen Aufgaben, die normalerweise in Lymphknoten stattfinden. Sie organisieren die Interaktion von T- und B-Zellen, aktivieren T-Zellen und ermöglichen die Reifung von B-Zellen mit Antikörperproduktion. Auf diese Weise können sie eine lokale Immunabwehr gegen Infektionen und Tumoren unterstützen. Im Rahmen von Autoimmunerkrankungen wirken sie jedoch meist krankheitsverstärkend, indem sie Autoantikörperbildung und Entzündung fördern.
Vorkommen
TLS werden in vielen Organen und Erkrankungen nachgewiesen. Die Ausprägung ist gewebespezifisch und hängt vom Entzündungskontext ab.
Autoimmunerkrankungen
- Rheumatoide Arthritis: In der Synovialschleimhaut sind TLS Zeichen einer aktiven Autoantikörperbildung. Patienten mit TLS sprechen schlechter auf Therapien mit TNF-α-Inhibitoren an und könnten theoretisch besser auf B-Zell-gerichtete Therapien ansprechen.[1][2]
- Sjögren-Syndrom: TLS finden sich in Speichel- und Tränendrüsen. Bei reifen Strukturen mit Keimzentrumsmerkmalen ist das Risiko für ein B-Zell-Lymphom erhöht.[3][2]
- Multiple Sklerose: Meningeale TLS werden vor allem bei progredienten Verlaufsformen beobachtet. Sie sind mit stärkerer kortikaler Atrophie und schnellerer Zunahme der Behinderung assoziiert.[4][5]
Tumorerkrankungen
- TLS treten im Mikromilieu vieler solider Tumoren auf, etwa bei Lungen-, Brust- oder Colonkarzinom. Reife TLS mit Keimzentrum sind hier mit besserer Prognose und höherem Ansprechen auf Immun-Checkpoint-Therapien verbunden. Dieser Vorteil zeigt sich auch bei niedriger PD-L1-Expression, sodass TLS zusätzliche Informationen für die Therapieentscheidung liefern.[6]
- Besonders günstig sind intratumorale TLS, da sie direkt im Tumor eine wirksame Immunantwort unterstützen.
Chronische Infektionen und Entzündungen
- Helicobacter-pylori-Gastritis: Die Magenschleimhaut besitzt normalerweise kein mukosa-assoziiertes lymphatisches Gewebe (MALT). Bei chronischer Infektion können sich dort TLS bilden, die MALT-ähnliche Strukturen annehmen und den Ausgangspunkt für MALT-Lymphome darstellen. Nach erfolgreicher Eradikation bilden sich die TLS jedoch oft zurück und frühe Lymphome können verschwinden.[1]
- Chronische Hepatitis C: In der Leber entstehen häufig portal gelegene TLS. Ihr Vorhandensein ist mit einem erhöhten Risiko für gemischte Kryoglobulinämie und für B-Zell-Lymphoproliferationen verbunden.[1]
- Lunge: Bei Infektionen können sich sog. induzierte Bronchus-assoziierte lymphatische Strukturen (iBALT) bilden. Sie verstärken die lokale Immunantwort und fördern die Kontrolle von Erregern sowie die Ausbildung von Gedächtniszellen.[1][7]
- Transplantatniere: Nach Transplantation treten vermehrt frühe TLS auf, reife Strukturen mit follikulärer Struktur sind jedoch seltener. Das Vorkommen reifer follikulärer Formen ist mit einer schlechteren langfristigen Organfunktion assoziiert.[7]
Klinische Bedeutung
Die Effekte von tertiären lymphoiden Strukturen hängen vom Krankheitskontext ab. Bei Autoimmunerkrankungen fördern sie die Bildung von Autoantikörpern, verstärken die Entzündung und sind mit schwereren Verläufen assoziiert. In Tumoren unterstützen sie dagegen die Immunantwort gegen die Tumorzellen. Dort sind besonders reife Strukturen mit Keimzentrumsmerkmalen oft ein Hinweis auf bessere Prognose und höheres Ansprechen auf moderne Immuntherapien.
Forschungsansätze zielen darauf ab, TLS bei Autoimmunerkrankungen zu unterdrücken und bei Tumorerkrankungen gezielt zu fördern.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Pitzalis et al., Ectopic lymphoid-like structures in infection, cancer and autoimmunity, Nature Reviews Immunology, 2014
- ↑ 2,0 2,1 Dong et al., Tertiary lymphoid structures in autoimmune diseases, Frontiers in Immunology, 2024
- ↑ Theander, Lymphoid organisation in labial salivary gland biopsies predicts malignant lymphoma in primary Sjögren’s syndrome, Annals of Rheumatic Diseases, 2011
- ↑ Zhan et al., Ectopic lymphoid follicles in progressive multiple sclerosis: From patients to animal models, Immunology, 2021
- ↑ Ransohoff, Multiple sclerosis: role of meningeal lymphoid aggregates in progression independent of relapse activity, Trends in Immunology, 2023
- ↑ Vanhersecke et al., Mature tertiary lymphoid structures predict immune checkpoint inhibitor efficacy in solid tumors independently of PD-L1 expression, Nature Cancer, 2021
- ↑ 7,0 7,1 Sato et al., The roles of tertiary lymphoid structures in chronic diseases, Nature Review Nephrology, 2023