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Habitueller Abort

Synonyme: Wiederholte Spontanabortneigung, Abortus habitualis
Englisch: recurrent miscarriage(RM), recurrent pregnancy loss, habitual abortion

1. Definition

Unter einem habituellen Abort wird im Allgemeinen das Auftreten von mehreren spontanen Fehlgeburten verstanden.

2. Hintergrund

Derzeit (2023) gibt es keine einheitliche Definition des habituellen Aborts. Dies betrifft sowohl die Anzahl der Aborte bzw. Fehlgeburten als auch ihre Abfolge. Strittig ist auch, ob nur klinische Schwangerschaften oder auch biochemische Schwangerschaften berücksichtigt werden sollten.

Die Kriterien eines habituellen Aborts werden dementsprechend von den verschiedenen nationalen und internationalen Fachgesellschaften unterschiedlich festgelegt:

Fachgesellschaft American Society for Reproductive Medicine (ASRM 2013) American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG 2002) European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE  2017/2022) DGGG / OEGGG /SGGG* (2018/2022) Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG 2011/2023) WHO (1977)
Anzahl Aborte 2 2 2 3 3 3
Form der Schwangerschaft klinisch klinisch biochemisch, klinisch, "PUL" nicht spezifiziert nicht spezifiziert nicht spezifiziert
Nachweismethode Ultraschall/histologisch Ultraschall/histologisch Ultraschall/hCG nicht spezifiziert nicht spezifiziert nicht spezifiziert
Schwangerschaftswoche 1. Trimester < 15 < 24 < 24 < 24 < 20
Fötales Gewicht nicht spezifiziert nicht spezifiziert nicht spezifiziert nicht spezifiziert < 500 g < 500 g
* Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe

3. Epidemiologie

Je nach Anzahl der Fehlgeburten wird von einer Prävalenz zwischen 1% (≥ 3 Fehlgeburten) und 5% (2 Fehlgeburten) ausgegangen.[1] Da ein großer Teil der Fehlgeburten nicht klinisch erfasst wird, könnten die Zahlen deutlich höher liegen.

4. Ätiologie

Die Ursachen für Spontanaborte sind oft schwer fassbar und können vielseitig sein. In ca. 50 bis 75% der Fälle kann keine offensichtliche Ursache eines wiederholten Schwangerschaftsverlustes gefunden werden. Man spricht dann von einem idiopathischen habituellen Abort. Zwei wesentliche prädiktive Faktoren sind das Alter der Mutter – ab etwa 35 Lebensjahren steigt das Risiko eines Abortes sprunghaft an – und die Anzahl der vorausgegangenen Aborte.[2][3]

Weitere mögliche Risikofaktoren eines habituellen Abortes sind:

5. Einteilung

Grundsätzlich kann man zwischen einem primären (ohne eine vorhergehende Lebendgeburt) und einem sekundären habituellen Abort unterscheiden.

6. Diagnostik

Eine sorgfältige Anamnese und gynäkologische Untersuchung führen zur Formulierung von Verdachtsdiagnosen. Zur weiteren diagnostischen Klärung des Spontanabortes herangezogene Untersuchungen sind:

Einiger dieser Vorsorgeuntersuchung können unter bestimmten gynäkologischen oder reproduktionsmedizinischen Aspekten sinnvoll sein, werden aber in den Leitlinien gynäkologischer und reproduktionsmedizinischer Fachgesellschaften nicht routinemäßig zur Abklärung habitueller Aborte empfohlen. Eine Übersicht gibt die folgende Tabelle:

RCOG ESHRE DGGG/OEGGG/SGGG
Uterine Anomalien 3D-Ultraschall (first-line) 3D-Ultraschall (first-line) 3D-Ultraschall (first-line), Hysteroskopie zum Ausschluss möglicher Adhäsionen
Immunologisches Screening (HLA-Typisierung, uterine NK-Zellen, endometriale Plasmazellen, Th1/Th2-Ratio) nicht empfohlen nicht empfohlen nicht empfohlen

optional CD138

Karyotyping optional optional empfohlen
LH-Testung Keine Empfehlung nicht empfohlen Keine Empfehlung
Androgen-Testung Keine Empfehlung nicht empfohlen Keine Empfehlung
Prolaktin-Testung Keine Empfehlung nicht empfohlen Keine Empfehlung
Schilddrüsenhormone/-antikörper empfohlen empfohlen empfohlen
Screening auf erworbene Thrombophilien empfohlen Empfohlen auf APS Keine Empfehlung
Screening auf hereditäre Thrombophilien Optional auf FVL, Prothrombin, Protein S nicht empfohlen nicht empfohlen
Testung der ovariellen Reserve Keine Empfehlung nicht empfohlen Keine Empfehlung
Molekulardiagnostik des Samens nicht empfohlen Optional Untersuchung der DNA-Fragmentierung Keine Empfehlung

7. Therapie

Die Therapie des habituellen Aborts richtet sich nach der zugrundeliegenden Ursache. Diese ist jedoch nur selten dingfest zu machen.

Von den zahlreichen Behandlungsmöglichkeiten sind nur wenige als evidenzbasiert anzusehen und dementsprechend als Empfehlungen in die Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften eingeflossen (siehe folgende Tabelle).

RCOG ESHRE DGGG/OEGGG/SGGG
Empfehlung Koffeinkonsum < 200 mg/Tag keine Empfehlung keine Empfehlung
Empfehlung Alkoholkonsum Stopp Stopp Stopp
Empfehlung Nikotinkonsum Stopp Stopp Stopp
Vitamin-/Antioxidantiengabe keine Empfehlung optional Vitamin-D-Supplementierung keine Empfehlung
PGT-A (Aneuploidie-Screening) nicht empfohlen keine Empfehlung keine Empfehlung
Immunmodulierende Therapien nicht empfohlen nicht empfohlen nicht empfohlen
Schilddrüsenhormone/Antikörper Behandlung einer Hyperthyreose empfohlen Behandlung einer Hyperthyreose empfohlen Behandlung einer Hyperthyreose empfohlen
Chronische Endometritis keine Empfehlung keine Empfehlung optional Antibiotikatherapie
Thrombophilie keine Empfehlung, Prothrombin, Protein S niedrig dosiertes ASS, niedermolekulares Heparin bei APS und ≥ 3 Fehlgeburten niedrig dosiertes ASS, niedermolekulares Heparin bei APS und Fehlgeburten, Prophylaxe bei wiederholten Aborten und hohem Thromboserisiko
Endometrium-Scratching nicht empfohlen keine Empfehlung keine Empfehlung
Progesterongabe Bei habituellen Aborten und vorausgegangenen Blutungen in der Frühschwangerschaft keine Empfehlung Bei idiopathischen habituellen Aborten
Erworbene uterine Anomalien keine Empfehlung keine Empfehlung Optional: hysteroskopische Adhäsiolyse, Resektion submuköser Myome
Kongenitale uterine Anomalien optional: Septumresektion bei Schwangerschaftsverlust im 1. oder 2. Trimester nicht empfohlen Septumresektion optional nach Nutzen-Risiko-Abwägung

8. Sonstiges

Bei Nachweis einer Translokation eines Elternteiles ist ein erhöhtes Abortrisiko gegeben und eine PGT-SR (Präimplantationsdiagnostik auf strukturelle Chromosomenaberrationen) indiziert.

Des Weiteren können prophylaktische Cerclagen bei bestimmten Fällen der Zervixinsuffizienz in Betracht gezogen werden.

Ein besonderes Augenmerk ist auf eine gute und ausreichende psychosomatische und psychologische Zuwendung zum Patienten zu richten. Nach einer prospektiven Kohortenstudie zeigte sich, dass 18% der Frauen, die 9 Monate zuvor eine Fehlgeburt hatten, die Kriterien für einen posttraumatischen Stress erfüllten und immerhin 6% eine moderate bis schwere Depression zeigten.[4]

Die 2023 publizierten Ergebnisse der multizentrischen ALIFE-2-Studie legen nahe, dass niedermolekulares Heparin (LMWH) bei Schwangeren mit genetisch bedingter Thrombophilie und mindestens 2 zurückliegenden Aborten keinen Nutzen mit sich bringt.[5]

9. Quellen

  1. Turesheva A, Aimagambetova G, Ukybassova T, Marat A, Kanabekova P, Kaldygulova L, Amanzholkyzy A, Ryzhkova S, Nogay A, Khamidullina Z, Ilmaliyeva A, Almawi WY, Atageldiyeva K. Recurrent Pregnancy Loss Etiology, Risk Factors, Diagnosis, and Management. Fresh Look into a Full Box. J Clin Med. 2023 Jun 15;12(12):4074. doi: 10.3390/jcm12124074.
  2. Nybo Andersen AM, Wohlfahrt J, Christens P, Olsen J, Melbye M. Maternal age and fetal loss: population based register linkage study. BMJ. 2000 Jun 24;320(7251):1708-12. doi: 10.1136/bmj.320.7251.1708.
  3. Kolte AM, Westergaard D, Lidegaard Ø, Brunak S, Nielsen HS. Chance of live birth: a nationwide, registry-based cohort study. Hum Reprod. 2021 Mar 18;36(4):1065-1073.
  4. Farren J, Jalmbrant M, Falconieri N, Mitchell-Jones N, Bobdiwala S, Al-Memar M, Tapp S, Van Calster B, Wynants L, Timmerman D, Bourne T. Posttraumatic stress, anxiety and depression following miscarriage and ectopic pregnancy: a multicenter, prospective, cohort study. Am J Obstet Gynecol. 2020 Apr;222(4):367.e1-367.e22. doi: 10.1016/j.ajog.2019.10.102.
  5. Quenby S, Booth K, Hiller L, Coomarasamy A, de Jong PG, Hamulyák EN, Scheres LJ, van Haaps TF, Ewington L, Tewary S, Goddijn M, Middeldorp S; ALIFE2 Block Writing Committee; ALIFE2 Investigators. Heparin for women with recurrent miscarriage and inherited thrombophilia (ALIFE2): an international open-label, randomised controlled trial. Lancet. 2023 Jul 1;402(10395):54-61. doi: 10.1016/S0140-6736(23)00693-1

10. Literatur

  • Toth B, Bohlmann M, Hancke K, Kuon R, Nawroth F, von Otte S, Rogenhofer N, Rudnik-Schöneborn S, Schleußner E, Tempfer C, Vomstein K, Wischmann T, von Wolff M, Würfel W, Zschocke J. Recurrent Miscarriage: Diagnostic and Therapeutic Procedures. Guideline of the DGGG, OEGGG and SGGG (S2k-Level, AWMF Registry No. 015/050, May 2022). Geburtshilfe Frauenheilkd. 2022 Nov 25;83(1):49-78. doi: 10.1055/a-1895-9940.
  • Regan L, Rai R, Saravelos S, Li TC; Royal College of Obstetricians and Gynaecologists. Recurrent Miscarriage Green-top Guideline No. 17. BJOG. 2023 Jun 19. doi: 10.1111/1471-0528.17515.
  • ESHRE Guideline Group on RPL; Bender Atik R, Christiansen OB, Elson J, Kolte AM, Lewis S, Middeldorp S, Nelen W, Peramo B, Quenby S, Vermeulen N, Goddijn M. ESHRE guideline: recurrent pregnancy loss. Hum Reprod Open. 2018 Apr 6;2018(2):hoy004.

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