Geschlechtsangleichung
Englisch: gender reassignment
Definition
Als Geschlechtsangleichung bezeichnet man operative und endokrinologische Maßnahmen, um bei einer Geschlechtsinkongruenz (GI) eine Veränderung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale zu erreichen.
Psychosoziale Beratung
Eine psychosoziale Intervention bei Menschen mit GI kann durch Peer-Beratung, in Behandlungszentren durch spezialisiert ausgebildete Pflegekräfte (Advanced Practice Nurse, APN) oder psychiatrische und psychotherapeutische Beratung und Behandlung erfolgen.[1]
Fertilitätsprotektion
Vor Beginn einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie oder der Durchführung eines chirurgischen Eingriffs an den primären Genitalorganen sollte die Möglichkeit zur Anlage einer Fertilitätsreserve (Kryokonservierung von Spermien, Oozyten und Embryonen) angesprochen werden. Die diesbezügliche Beratung sollte in einem spezialisierten reproduktionsmedizinischen Zentrum erfolgen.[1][2]
Endokrinologische Therapie
Durch die geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) sollen bei Erwachsenen zur Geschlechtsidentität passende körperliche Veränderungen hervorgerufen werden, um die Symptome der Geschlechtsinkongruenz zu reduzieren. Die GAHT stellt grundsätzlich – und insbesondere nach Gonadektomie – eine lebenslange Therapie dar.[2]
Anamnestisch sind kardiovaskuläre Risikofaktoren, hormonsensitive Karzinome und Gerinnungsstörungen abzuklären.
Feminisierende Behandlung
Die Behandlung mit 17-Beta-Östradiol kann oral oder transdermal erfolgen. Unter der Behandlung sollte ein Östradiolspiegel von 200 bis 700 pmol/l erreicht werden.[3]
Um thromboembolische Nebenwirkungen durch die Östrogenbehandlung zu vermeiden, sollte vor Behandlungsbeginn eine Thrombophiliediagnostik durchgeführt werden. Unter der Therapie kommt es zu einer Hyperprolaktinämie, ohne dass es bisher (2024) Hinweise auf eine erhöhte Prolaktinominzidenz gibt.
Allein durch eine Östrogentherapie kann die gonadale Testosteronproduktion nicht suffizient unterdrückt werden. Zur Androgenblockade werden Spironolacton, Cyproteronacetat, das GnRH-Analogon Leuprorelin oder ein 5-Alpha-Reduktasehemmer eingesetzt.
Unter dieser Therapie kommt es zu einer Umverteilung des Fettgewebes und zur Abnahme der Muskelmasse. Das Brustwachstum erreicht in vielen Fällen kein befriedigendes Ausmaß. Die Libido, Hodenvolumen, Penislänge und Erektionen nehmen ab; Ejakulationen bleiben aus. Die Stimmlage wird nach dem Stimmbruch nicht beeinflusst. Die Gesichtsbehaarung (Bartwuchs) wird nicht unterdrückt.
Maskulinisierende Behandlung
Die Behandlung mit Testosteron erfolgt durch intramuskuläre Injektion von Depotpräparaten, um die bei oraler Verabreichung stark schwankenden Hormonspiegel und den First-Pass-Effekt zu vermeiden. Unter der Behandlung sollte ein Gesamt-Testosteronspiegel von 9,4 bis 37,1 nmol/l (Freies Testosteron 0,42 bis 1,39 nmol/l) erreicht werden.[4]
Transmaskuline Menschen werden unter Testosterontherapie durch Veränderungen der Fettverteilung und der Muskelmasse von Außenstehenden nach etwa sechs Monaten bis zwei Jahren als «männlich» wahrgenommen. Es kommt zum Wachstum der Klitoris und zur Atrophie der Vagina. Die Ovulation wird supprimiert, sodass es nach wenigen Wochen zur Amenorrhö kommt. Die Libido und das sexuelle Interesse nehmen zu. Durch die Verdickung der Stimmbänder wird ein irreversibler Stimmbruch ausgelöst, der auch nach dem Absetzen der Hormonbehandlung persistiert. Es kommt nicht zu einer wesentlichen Reduktion der Brust.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Akne vulgaris, androgenetische Alopezie und Gewichtszunahme.
Behandlung von non-binären Menschen
Es bestehen grundsätzlich die gleichen Behandlungsoptionen wie bei binären Menschen mit Geschlechtsinkongruenz.[5] Behandlungsprotokolle für die GAHT für non-binäre Menschengibt es bisher (2024) nicht. Es wird empfohlen, nur Teilschritte durchzuführen.[2]
Dermatologische Therapie
Feminisierende Behandlung
Die Gesichts- und Décolletébehaarung kann mit Intense pulsed light (IPL)- oder Laser-Behandlungen entfernt werden.
Maskulinisierende Behandlung
Bei der Behandlung mit Testosteron kommt es gehäuft zu Akne vulgaris und androgenetischer Alopezie, die entsprechend zu therapieren sind.
Chirurgische Therapie
Feminisierende Behandlung
Trotz Östrogentherapie entwickelt sich nur in wenigen Fällen eine adäquate Brustgröße und -form, sodass ein eine Mammaaugmentation mit Brustimplantaten in Anspruch genommen werden kann. Alternativ kann eine Brustbildung mit Eigenfett durchgeführt werden. Zur genitalen Angleichung werden Hoden und Schwellkörper entfernt, eine sensible Klitoris und ein neuer Harnausgang, innere und äußere Vulvalippen und eine Vagina gebildet. Zusätzlich können gesichtschirurgische und stimmangleichende Operationen erfolgen.[1]
Maskulinisierende Behandlung
Eine Mastektomie ist oft der erste chirurgische Behandlungsschritt. Wenn es trotz suffizienter Testosteronbehandlung weiter zu vaginalen Blutungen kommt, können eine Hysterektomie und eine Adnexektomie durchgeführt werden. Zur genitalen Angleichung kann die Bildung eines Penis (Phalloplastik) erfolgen. Alternativ kann eine Metaidoioplastik (Bildung eines sog. Klitpen oder Minipenis) durchgeführt werden.[1]
Langzeitrisiken
Es gibt aktuell (2024) keine Evidenz, dass die GAHT einen Einfluss auf die Mortalität von Transmenschen hat. Screening- und Vorsorge-Untersuchungen in Hinblick auf Mammakarzinom, Zervixkarzinom, Prostatakarzinom, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Lipidstoffwechselstörungen und Osteoporose sollten nach den üblichen Schemata durchgeführt werden.[2]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Nuñez DG et al. Geschlechtsangleichende Behandlungsoptionen bei Menschen mit Geschlechtsinkongruenz. Swiss Medical Forum 2023
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 Slahora L et al. Geschlechtsangleichende Hormontherapie bei Erwachsenen mit Geschlechtsinkongruenz. Swiss Medical Forum 2024
- ↑ Referenzbereiche für 17β-Östradiol. In: Labor und Diagnose, abgerufen am 18.07.2024
- ↑ Referenzbereiche für Testosteron. In: Labor und Diagnose, abgerufen am 18.07.2024
- ↑ Cocchetti C et al. Hormonal Treatment Strategies Tailored to Non-Binary Transgender Individuals. J Clin Med. 2020