Epidurale Infiltration
Synonyme: peridurale Infiltration, Epiduralraumtherapie, epidurale Therapie
Englisch: epidural infiltration
Definition
Unter einer epiduralen Infiltration versteht man die schrittweise Injektion von Medikamenten in den Epiduralraum des Rückenmarks, d.h. den Raum zwischen dem Periost des Wirbelkanals und der Dura mater.
Hintergrund
Der Epiduralraum erstreckt sich zwischen dem Foramen magnum und dem Hiatus sacralis und umfasst theoretisch ein Volumen von ca. 130 ml. Er ist gefüllt mit Fettgewebe sowie fibrösem und reich vaskularisiertem Gewebe. Der Epiduralraum umgibt die Dura mater (Thekalsack) und wird von einer dünnen periduralen Membran umgeben, die sich durch das Foramen intervertebrale fortsetzt.
Bei der epiduralen Infiltration wird in der Regel unter CT- oder MRT-Kontrolle eine dünne Hohlnadel in den dorsalen Spinalkanal eingeführt. Darüber werden Wirkstoffe in den Epiduralraum außerhalb der Dura eingebracht. Grundsätzlich ist die epidurale Infiltration auch unter einfacher Röntgendurchleuchtung oder ohne Bildkontrolle möglich, dies birgt jedoch ein höheres Komplikationsrisiko.
Indikationen
Epidurale Infiltrationen werden zur Behandlung von Schmerzen durch Veränderungen innerhalb und außerhalb des Spinalkanals eingesetzt. Ein typischer Einsatz sind Nervenwurzelsyndrome (inkl. Zervikobrachialgie und Lumboischialgie) z.B. bedingt durch:
- Retrospondylophyten oder Osteophyten der Wirbelgelenke mit Kompression des Recessus lateralis
- Mediolaterale und laterale Bandscheibenprotrusionen oder mobile Extrusionen
- Synovialzysten
- Narben nach Verletzungen oder Operationen mit Einengung des Recessus lateralis
Weitere Indikationen sind:
- Spinalkanalstenose mit Claudicatio spinalis
- Kokzygodynie
- Postdiskotomiesyndrom: Die antiproliferative Wirkung der Glukokortikoide führt zur Fibrolyse und zum Abbau von Granulationsgewebe. Sind im MRT entsprechende Gewebeformationen erkennbar und bestehen keine gravierende Narbenkontraktionen, kann die mehrfache Injektion von 10 - 20 mg Triamcinolon (im Abstand von 2 - 4 Wochen) in und/oder um das Narbengewebe erfolgversprechend sein.
- Postfusionssyndrom
Die epidurale Infiltration der HWS (meist C6/C7 oder C7/Th1) erfolgt eher selten und unter strenger Indikationsstellung.
Eine Sonderform der periduralen Infiltration ist die Periduralanästhesie.
Durchführung
Im Idealfall sollte vor epiduraler Infiltration eine aktuelle MRT- oder CT-Diagnostik vorliegen.
Materialien
Häufig verwendete Materialien sind:
- Einmalspritzen
- Nadeln: z.B. koaxiale Spinalnadel 21 G
- Kontrastmittel
- kurzwirksames Lokalanästhetikum (z.B. Mepivacain)
- isotone Kochsalzlösung
- Glukokortikoid (z.B. Triamcinolon 10 - 40 mg)
Beachte: Die Nutzung von Glukokortikoiden ist zur Schmerztherapie nach der Indikationserweiterung nur zur CT-gestützten lateralen periradikulären Therapie zugelassen. Der Einsatz zur epiduralen Injektion erfolgt entsprechend zum Teil off-label. Auch die periradikuläre, epiperineurale oder epidurale Applikation einer Mischung von Lokalanästhetika und Steroiden erfolgt off-label.
Bei lumbaler und sakraler Injektion wird teilweise eine Kombination aus kleinsten Mengen Lokalanästhetikum (z.B. Bupivacain oder Ropivacain) und einem Glukokortikoid verwendet. Hingegen werden in der zervikothorakalen Region nur Glukokortikoide und Kochsalzlösungen angewendet, um das Risiko einer zervikalen Anästhesie zu vermeiden.
Lokalanästhesie
Die epidurale Infiltration wird häufig unter oberflächlicher Lokalanästhesie durchgeführt.
Lagerung
Der Patient wird bequem in Bauchlage auf dem CT-Tisch gelagert. Ein Lagerungskissen unter dem Becken bei lumbaler Injektion bzw. unter dem Thorax bei zervikothorakaler Injektion soll eine Verbreiterung des interlaminären Areals und einen Druckabfall im epiduralen Venenplexus bewirken.
Zugangswege
Der Standardzugang für die epidurale Infiltration ist der interlaminäre dorsale Zugang. Weitere Möglichkeiten, den Epiduralraum zu erreichen sind:
- transforaminale epidurale Injektion: posterolateral (LWS) bzw. anterolateral (HWS)
- transarthrogene Injektion: transfacettärer Zugang durch das Facettengelenk
- epiperineurale Injektion
- kaudale epidurale Infiltration (Hiatus sacralis)
- transdurale Injektion (Single-Shot-Spinalanästhesie): intrathekaler Zugang bei therapieresistenten Schmerzen unter stationärer Überwachung
Der Nachteil der dorsalen Injektionstechnik besteht darin, dass man größere Mengen applizieren muss, um betroffene Nervenwurzeln ventral zu umfluten.
Planungsphase
Wenn der Patient gelagert ist, kann die Planung der epiduralen Infiltration beginnen. Die Position des Patienten darf nicht mehr verändert werden. Mithilfe eines CT-Topogramms werden axiale Schnittbilder auf der geplanten Behandlungsetage angefertigt. Das Zielsegment sollte oberhalb oder unterhalb der Stenose liegen, um eine versehentliche Punktion des Myelons in der verengten Region zu vermeiden. Bei voroperierten Patienten besteht bei Injektionen auf gleicher Höhe ein erhöhtes Risiko für eine Durapunktion. Daher sollte Zugang auch weiter kranial oder kaudal der betroffenen Region gewählt werden.
Auf dem CT-Bildschirm werden die Sondeneintrittsstelle und der Winkel bestimmt. Mittels Navigationshilfe wird die Behandlungsebene im Lichtstrahl der CT-Gantry eingestellt und die Sondeneintrittsstelle auf der Haut markiert. Weiterhin kann sich der Behandler an anatomischen Landmarken wie Hautkonturen orientieren.
Sondierung
Unter sterilen Bedingungen wird die Sonde vorsichtig eingeführt. Eine vorherige lokale Betäubung kann erfolgen. Entscheidend ist die sogenannte Loss-of-Resistance-Technik: Nach Aufsetzen einer mit Kochsalzlösung gefüllten Spritze auf die Hohlnadel wird unter kontinuierlichem Stempeldruck die Nadel sanft vorgeschoben, bis sich nach Durchstoßen der spinalen Ligamente die Flüssigkeit plötzlich leicht injizieren lässt. An der Halswirbelsäule ist der Widerstand am Ligamentum flavum oft nicht so eindeutig zu spüren wie bei lumbalen epiduralen Injektionen. Durch Injektion von Kontrastmittel kann anschließend die korrekte Nadelpositionierung bestätigt werden.
Bei der lumbalen Injektion kommen zwei weitere Techniken zum Einsatz:
- Air-Injection-Test: Durch Injektion von Luft in den Epiduralraum wird der elastische Raum durch die Insufflation gedehnt. Die Patienten geben dann oft einen lokalen charakteristischen Schmerz an.
- Whistle-Test: Nach dem Diskonnektieren der Spritze von der Kanüle führt die nach außen zurückgedrängte Luft zu einem Zischen.
Anschließend folgt die vorsichtige Aspiration zum Ausschluss einer intravasalen oder intrathekalen Fehllage. Dann wird die Spritze abgesetzt, um einen spontanen Rückfluss von Liquor oder Blut auszuschließen. Nach Bestätigung der korrekten Nadellage durch einen Kontroll-Scan nach Kontrastmittelgabe erfolgt die langsame (0,3 bis 0,5 ml/s) Gabe des Medikamentengemisches. Eine zu schnelle Injektion kann zu Schwindel und Kopfschmerzen führen. Die Nadel sollte in Endposition nie gedreht werden, da hierdurch das Risiko der Duraperforation steigt.
Bei Verdacht auf intrathekale Fehllage mit Liquoraspiration kann ein Urinteststreifen zum Glukosenachweis genutzt werden.
Zeigt sich nach Kontrastmittelgabe ein unilateraler Kontrastmittelabfluss kann dies durch Adhäsionen oder durch eine mediane Plica bedingt sein kann. In diesen Fall sind eine Lagekorrektur oder ein Etagenwechsel notwendig.
Bei Auftreten von radikulären Schmerzen, Muskelzuckungen oder Parästhesien (durch Nervenwurzelkontakt) ist ein sofortiges Zurückziehen der Nadel erforderlich. Eine Lagekorrektur ist ebenfalls bei lokalen Schmerzen durch Periostkontakt notwendig.
Trotz korrekter epiduraler Nadellage kann es insbesondere bei älteren Patienten mit Narbengewebe und fortgeschrittener Spinalkanalstenose zu einem spontanen Zurückfließen des Injektats kommen. Nach sorgfältigem Ausschluss einer Duraperforation muss dann die Nadellage korrigiert werden.
Nachsorge
Nach dem Eingriff wird der Patient für ca. 1,5 h beobachtet. Der erste Aufstehvorgang sollte in Anwesenheit des Pflegepersonals durchgeführt werden. Eine Folgebehandlung kann z.B. nach 4 bis 21 Tagen angeboten werden.
Kontraindikationen
Kontraindikationen einer epiduralen Injektion sind:
- Gerinnungsstörungen, Antikoagulation
- Allergie gegen verwendete Substanzen
- Störungen des zentralen Nervensystems, z.B. Epilepsie
- Infektion
- fehlende Compliance
- schwere kardiopulmonale Störung
- Arrhythmie (Lokalanästhetika)
- absolute Indikation für eine Operation
Bei Patienten mit Diabetes mellitus ist bei epiduraler Gabe von Glukokortikoiden eine engere Überwachung des Glukosespiegels erforderlich.
Komplikationen
Mögliche Komplikationen der epiduralen Infiltration sind:
- Fehllage mit Verletzung der Dura oder des Rückenmarks mit entsprechenden Komplikationen
- Infektionen (z.B. Meningitis, Abszess)
- Verletzung der Arteria vertebralis (bei zervikothorakaler Infiltration)
Outcome
Insgesamt ist die Datenlage zur epiduralen Infiltration aufgrund von unterschiedlichen Studienkonzepten eingeschränkt. Insgesamt besteht eine gute Evidenz für die interlaminäre epidurale Injektion zur kurzfristigen Schmerzreduktion bei Radikulopathie und chronischen Lumbalgien. Die Evidenz für eine langfristige Effektivität ist eher moderat. In einigen Studien konnte ein größerer Erfolg durch wiederholte Injektionen erreicht werden. Bei akuten Lumboischialgien konnte in einigen Studien kein signifikanter Unterschied zwischen der epiduralen Applikationen von Glukokortikoiden im Vergleich zu Kochsalzlösungen und Lokalanästhetika erreicht werden. Bei chronischen Beschwerden scheint der Benefit durch Steroidinjektionen am größten zu sein. Die Evidenz in der Therapie von Spinalkanalstenose und Postlaminektomiesyndrom ist begrenzt.