Bittersüßer Nachtschatten
Synonyme: Bittersüß, Dulcamara
Handelsnamen: Cysto-Gastreu®S R18, Dermatodoron® u.a.
Englisch: bittersweet, bittersweet nightshade, woody nightshade
Definition
Der Bittersüße Nachtschatten ist eine Pflanze aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) und zählt zur Gattung Nachtschatten (Solanum). Die botanische Bezeichnung lautet Solanum dulcamara.
Merkmale
Solanum dulcamara wächst als kletternder Halbstrauch und erreicht Maße zwischen 0,3 und 2,0 m. Die Laubblätter sind eiförmig-lanzettlich, die oberen Blätter sind zumeist geöhrt, spießförmig oder mit ein bis zwei Fiederzipfeln. Die Blüte erscheint zwischen Juni und August und besitzt nach innen zusammengeneigte Staubbeutel. Die Kronblätter sind violett. Die Bestäubung erfolgt in erster Linie durch Hautflügler (z.B. Bienen, Wespen) und Zweiflügler (z.B. Fliegen). Aus den Blüten gehen hängende, eiförmige Beeren hervor, welche zur Reifezeit scharlachrot gefärbt sind. Der Geschmack aller Teile erscheint zunächst bitter, später süßlich, worauf sowohl die Trivialbezeichnung „Bittersüß“ als auch das lateinische Artepitheton „dulcamara“ („dulcis“ - „süß“, „amarum“ - „Bitterkeit“) zurückgehen.
Volkstümliche Namen
Alpranke, Grünzkraut, Hirschkraut, Mäuseholz, Natterholz, Rote Hundsbeere, Saurebe u.v.a.
Vorkommen
Bittersüßer Nachtschatten ist in weiten Teilen Eurasiens, Nordamerikas sowie in Teilen Nordafrikas verbreitet. In Deutschland kommt die Pflanze in allen Bundesländern vor, ist jedoch in höheren Silikatgebirgen selten. Habitate sind beispielsweise Moor-, Bruch- und Sumpfwälder, halbtrockene Gebüsche und Gräben. Teilweise wird die Pflanze als Zierpflanze kultiviert.
Inhaltsstoffe
Die wichtigsten pharmakologisch aktiven Substanzen sind Alkaloidglykoside und Saponine mit Steroidstruktur. In den oberirdischen Pflanzenteilen sind sie zu 0,3 bis 3,0 %, in den Wurzel zu circa 1,4 % enthalten. Ein bekanntes Toxin ist Solanin. In großen, grünen Früchten dominiert Solasodin. Darüber hinaus lassen sich verschiedene chemische Rassen von Solanum dulcamara unterscheiden (teilweise mit unscharfer Abgrenzung voneinander), die jeweils verschiedene Hauptsubstanzen besitzen:
- Tomadidenol-Sippe: Wurzeln mit Tomatidenol, Solasodin, Soladulcidin und deren 15-α-Hydroxyderivate; Steroidsaponine: Glykoside des Yamogenins
- Soladulcidin-Sippe: Wurzeln mit Tomatidenol, Solasodin, Soladulcidin und deren 15-α-Hydroxyderivate; Steroidsaponine: Glykoside des Tigogenins
- Solasodin-Sippe: Wurzeln mit Tomatidenol, Solasodin, Soladulcidin und deren 15-α-Hydroxyderivate, zudem Tomatidin und Solamargin; Steroidsaponine: Glykoside des Dioseginins
Ferner finden sich Bitterstoffe, Gerbstoffe und in der reifen Frucht Carotinoide (Lycoxanthin, Lycophyll, Lycopen).
Pharmazeutische Droge
Solanum dulcamara dient als Stammpflanze zur Gewinnung von Bittersüßstängeln (Dulcamarae stipes). Diese werden definiert als getrocknete, zwei- bis dreijährige, zu Beginn des Frühjahrs oder im Spätherbst nach dem Abfallen der Blätter gesammelten Stängelstücke. Der Wirkstoffgehalt der getrockneten Droge ist aufgrund des höheren Anteils an toten, verholzten Zellen geringer und beträgt 0,07 bis 0,4 % Steroidalkaloidglykoside und 0,18 % Steroidsaponine.
Pharmakokinetik
Steroidalkaloidglykoside werden nach peroraler Aufnahme nur langsam und schlecht über die Darmschleimhaut resorbiert. Größere (toxische) Mengen führen zu einer Schädigung der Schleimhaut und einer schlagartig erhöhten Resorptionsgeschwindigkeit. Die Distribution erfolgt in alle Körperteile, einschließlich des Zentralnervensystems. Höhere Wirkstoffkonzentrationen werden in Nieren, Lungen, Leber und Milz erreicht. Hauptmetabolite sind Aglyka sowie Mono- und Diglykoside. Die Hauptwirkstoffe (teilweise die Metabolite) werden zu 70 % über den Faeces ausgeschieden. Dieser hohe Anteil ist auf die schlechte Resorptionsquote zurückzuführen. Ein geringerer Anteil wird renal eliminiert. Nach parenteraler Applikation verringert sich die im Faeces nachweisbare Wirkstoff- und Metabolitenmenge.
Indikationen
Eine Anwendung kann zur unterstützenden Behandlung bei Ekzemen (Juckreiz, Erythem) erfolgen. Hierbei sollte die Anwendung auf eine äußerliche Applikation bei Erwachsenen beschränkt sein.[1]
Volksmedizinisch können weiterhin folgende Indikationen (supportive Therapie) in Betracht gezogen werden:
- Neurodermitis
- Rheuma, Gelenkentzündungen
- Entzündung der Harnblase und der ableitenden Harnwege
- Atemwegsinfekte.
Im Rahmen homöopathischer oder anderer alternativmedizinischer Verfahren können sich davon abweichende Indikationen und Darreichungsform sowie dem entsprechend unterschiedliche Applikationswege (z.B. peroral, kutan, subkutan) ergeben.
Volksmedizin
Als Naturheilmittel werden der Pflanze antiseptische, antivirale, antirheumatische, antiphlogistische, diuretische, anticholinerge sowie expektorale Eigenschaften zugeschrieben. Außerdem soll Bittersüß einen kortisonähnlichen, kühlenden und adstringierenden Effekt besitzen, was seine Wirksamkeit gegen Hauterkrankungen erklärt. Nicht zuletzt werden den Inhaltsstoffen blutreinigende, beruhigende und fiebersenkende Wirkungen nachgesagt. Die beschriebenen Wirkungen sind nicht durchgehend wissenschaftlich belegt oder werden zum Teil kontrovers diskutiert.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
- Schwindel, Erregungszustände
- Störungen des Gastrointestinaltrakts: Erbrechen
- Allergische Reaktionen: Exanthem, Kontaktdermatitis, Reaktionen an der Injektionsstelle, Hautrötung, Ödeme
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff
- Alkoholabhängigkeit
- Schwangerschaft und Stillzeit aufgrund mangelnder Untersuchungen
- Säuglinge, Kinder unter 12 Jahren aufgrund mangelnder Untersuchungen
Toxikologie
Bittersüßer Nachtschatten ist eine Giftpflanze. Alle Pflanzenteile sind giftig. Der Giftgehalt der Beeren nimmt mit zunehmender Fruchtreife ab, so dass die reifen Beeren nahezu alkaloidfrei und weitaus weniger, nach einigen Autoren gar nicht toxisch sind. Unreife Beeren können in einer Menge von 30 bis 40 Stück zu letalen Vergiftungen bei Kindern führen. Ein Todesfall nach Einnahme von 10 Beeren wird in der Literatur erwähnt.
Die Steroidalkaloidglykoside wirken in höheren Konzentrationen zytolytisch und bei Kontakt reizend auf Schleimhäute des Gastrointestinaltrakts (Kratzen im Hals, Gastroenteritis mit Emesis und Diarrhoe). Systemisch kann eine Hämolyse auftreten. Nach anfänglicher Erregung des Zentralnervensystems kommt es zu Lähmungserscheinungen, der Tod kann durch Atemlähmung eintreten. Eine Schädigung der Nieren durch unverändert ausgeschiedenes Solanin ist möglich. Neurotoxische Effekte stehen vermutlich mit einer Hemmung von Cholinesterasen in Verbindung und können durch Atropin verringert werden.
Für Erwachsene wird eine Letaldosis von circa 400 mg Solanin angegeben. 25 g der Stängeldroge (Bittersüßstängel) gelten als minimal toxische Dosis (peroral). Eine chronische Toxizität ist nicht dokumentiert. Es gibt Hinweise auf ein teratogenes (fruchtschädigendes) Potential einiger Inhaltsstoffe.
Therapie der Vergiftung
Resorptionsvermindernde Maßnahmen (Aktivkohle, Magenspülung) und intensivmedizinische Betreuung (Volumenersatz, künstliche Beatmung, Defibrillation). Bei Erregung und Krämpfen können Benzodiazepine gegeben werden. Blutbild und Nierenfunktion sind zu überwachen. Darüber hinaus erfolgt eine symptomatische Therapie.
Historie
Die heilenden Wirkungen der Pflanze waren bereits den Römern bekannt. Im Mittelalter kam Bittersüß insbesondere bei Hauterkrankungen und Gicht zum Einsatz. Darüber hinaus wurden dem Naturheilmittel magische Eigenschaften zugeschrieben. So setzte man Bittersüß zur Herstellung eines Liebesmittels sowie gegen Alpträume ein.
Einzelnachweise
- ↑ European Medicines Agency: woody nightshade stem (aufgerufen am 18. August 2016)
Literatur
- Jäger et al.: Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland, Bd. 2. Aufl. 20, Spektrum Akadem. Verlag.
- Roth, Daunderer & Kormann: Giftpflanzen - Pflanzengifte, 5. Aufl., Nikol Verlag.
- Mutschler et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen, 8. Aufl, Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft.
- Wolf (Hrsg.): Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis - Bd. 6, Drogen P-Z, 1992, Springer Verlag.
Weblinks
- Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie, Zürich, CliniTox Giftpflanzen: Solanum dulcamara, Veterinärtoxikologie (aufgerufen am 18. August 2016)