Akute retinale Nekrose
Englisch: acute retinal necrosis
Definition
Die akute retinale Nekrose, kurz ARN, ist eine akute Entzündung der Netzhaut, die meist durch Herpesviren ausgelöst wird. Sie ist charakterisiert durch eine periphere nekrotisierende Retinitis.
Epidemiologie
Die ARN tritt häufig bei immunkompromittierten Patienten auf (z.B. im Rahmen einer opportunistischen Infektion bei einer aktiven HIV-Infektion). Sie kann jedoch auch bei älteren, nicht-immunkompromittierten Personen auftreten, da die Varizella-Zoster-Immunität im Alter sinkt. Es besteht keine geschlechtsspezifische Häufung. Die ARN kann uni- und bilateral auftreten. In der Anamnese finden sich häufig Hinweise auf eine vorherige Herpes-Infektion.
Ätiologie
Auslöser sind in den meisten Fällen Viren aus der Herpes-Familie (Varizella-Zoster-Virus bei älteren Patienten, Herpes-simplex-Virus bei jüngeren Patienten, selten auch Zytomegalie-Viren oder Epstein-Barr-Viren). Wie bei anderen Herpes-Infektionen tritt die aktive Entzündung häufig nach einer Immunschwächung auf (z.B. HIV-Infektion, Kortikosteroide, Immunsuppressiva, Chemotherapie).
Pathophysiologie
Der Virus infiziert retinale Zellen und verursacht zunächst eine Entzündungsreaktion im umliegenden Gewebe. Die Nekrotisierung des Gewebes wird direkt durch die Zytolyse der infizierten Zellen verursacht, indirekt jedoch auch durch die Okklusion der umliegenden Arteriolen und die daraus resultierende Gewebsischämie. Nekrotisierte Zellen lösen sich ab und schwimmen frei im Glaskörper. Als Spätfolge kann es zur Entstehung einer proliferativen Vitreoretinopathie und einer Netzhautablösung kommen.
Symptome
Patienten klagen häufig über eine akut einsetzende verschwommene Sicht, okulären oder periokulären Schmerz und Schmerzen bei Augenbewegungen. Das Auge kann gerötet sein. Weitere mögliche Symptome sind Photophobie, Mouches volantes und Gesichtsfeldeinschränkungen.
Diagnostik
Bei Verdacht auf eine ARN sollte eine ausführliche Anamnese bezüglich möglicher immunkompromittierender Ko-Infektionen oder Arzneimittel durchgeführt werden.
Klinische Befunde
Eine vollständige ophthalmologische Untersuchung ergibt meist eine reduzierte Sehschärfe am betroffenen Auge, Zellen im Glaskörper (Vitritis) sowie periphere weißlich-gelbliche Netzhautveränderungen im Sinne einer Vaskulitis und nekrotisierenden Retinitis, die im Verlauf typischerweise progredient in Richtung Makula vorrücken.[1] Weitere Befunde können Entzündungszellen in der Vorderkammer, eine konjunktivale Injektion, erhöhter intraokularer Druck, arterioläre Okklusionen, retinale Blutungen, ein Papillenödem sowie Netzhautablösungen beinhalten.
Apparative Untersuchungen
Ein Ultraschall kann bei eingeschränkter Einsicht zum Ausschluss einer Netzhautablösung eingesetzt werden.
Die Weitwinkel-Fundusfotografie dient der Dokumentation des Krankheitsverlaufs und der Beurteilung des Therapieerfolgs.
Laboruntersuchung
Weiterführende Untersuchungen sollten ein vollständiges Blutbild inklusive Leber- und Nierenwerten umfassen sowie gezielte Tests zum Ausschluss immunkompromittierender Ko-Infektionen (z.B. HIV).
Die Entnahme von Kammerwasser (Vorderkammeraspirat) dient dem Erregernachweis mittels PCR-Verfahren und gegebenenfalls der Untersuchung auf eine relevante Therapieresistenz. Bei Durchführung einer Vitrektomie sollte das entnommene Material ebenfalls labordiagnostisch untersucht werden.
Differentialdiagnose
Differentialdiagnostisch sind folgende Erkrankungen auszuschließen:
Therapie
Bei Verdacht auf eine ARN sollte der Erregernachweis nicht abgewartet, sondern sofort mit der Therapie begonnen werden. Bisher (2025) gibt es kein allgemein anerkannten Therapiealgorithmus.
Das Therapieziel besteht darin, weiteren Schaden am betroffenen Auge zu verhindern und gleichzeitig die Entwicklung der Erkrankung des gesunden Partnerauges zu verhindern.
Zunächst sollte mit einer hochdosierten intravenösen Aciclovir-Gabe über 10–14 Tage begonnen werden. Bei Unverträglichkeit oder nachgewiesener Resistenz kann auf ein anderes antivirales Medikament gewechselt werden. Eine zusätzliche therapieunterstützende Maßnahme ist die intravitreale Gabe von Foscarnet in der akuten Phase.
Eine klinische Stabilisierung ist innerhalb von 2–3 Tagen zu erwarten. Nach Stabilisierung kann eine orale Therapie mit Kortikosteroiden erwogen werden. Im Falle einer Netzhautablösung sollte eine Vitrektomie durchgeführt werden. Nach Abschluss der intravenösen Therapie ist eine längerfristige orale antivirale Therapie zur Prophylaxe und zum Schutz des Partnerauges nötig.
Prognose
Die Sehschärfe bleibt in den meisten Fällen stark reduziert (<6/60 bzw. >1.0 logMar). Anzeichen assoziiert mit einer schlechteren Prognose beinhalten Netzhautablösungen sowie Affektion des Sehnerven und der Makula.[2]
Quellen
- ↑ Mayer et al.: Acute Retinal Necrosis: Signs, Treatment, Complications and Oucome. Diagnostics (Basel), 2022.
- ↑ Iwahashi-Shima et al.: Acute retinal necorsis: factors associated with anatomic and visual outcomes. Jpn J Ophthalmol, 2013.