Akromioklavikulargelenkverletzung
Synonyme: Acromioclaviculargelenkluxation, ACG-Luxation, AC-Luxation, AC-Subluxation, AC-Verrenkung, AC-Sprengung, AC-Verletzung, Luxation des Schultereckgelenks, Schultereckgelenksprengung
Englisch: acromioclavicular joint(AC) injury, AC dislocation, AC separation, shoulder separation
Definition
Unter der Akromioklavikulargelenkverletzung, kurz ACG-Verletzung, versteht man die Verletzung des Bandapparates des Akromioklavikulargelenks mit möglicher Fehlstellung und Dysfunktion des Gelenks.
Nomenklatur
Die ACG-Verletzung führt zu einer Überdehnung bzw. Zerrung bis hin zu einer Ruptur des Ligamentum acromioclaviculare (AC-Band) und des Ligamentum coracoclaviculare (CC-Band). Kommt es zu einer Fehlstellung der distalen Klavikula in Relation zum Akromion, also zu einer Luxation im AC-Gelenk, spricht man auch von einer Schultereckgelenksprengung.
Epidemiologie
Verletzungen des ACG gehören mit 4 bis 12 % zu den häufigsten Verletzungen des Schultergürtels. ACG-Verletzungen haben in der Allgemeinbevölkerung eine Inzidenz von 3 bis 4 pro 100.000.[1] Haupterkrankungsalter ist das 15. bis 44. Lebensjahr. Männer sind 5- bis 10-mal häufiger betroffen.
Assoziierte Verletzungen sind Frakturen von Akromion, Klavikula und Rippen.
Ätiopathogenese
Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass alle Bewegungen, die nicht der normalen Physiologie des Gelenkes entsprechen, zu einer ACG-Verletzung führen können. Der häufigste Unfallmechanismus, der zu einer solchen Verletzung führt, ist der direkte Sturz auf die Schulter bzw. den adduzierten Arm. Beispiele sind Stürze über den Fahrradlenker oder Stürze beim Inlineskaten. Darüber hinaus können auf die Schulter fallende Gewichte das Akromioklavikulargelenk verletzen. Bei starker direkter Krafteinwirkung auf die laterale Klavikula ist auch eine inferiore AC-Luxation möglich. Es handelt sich um eine häufige Verletzung bei Kontaktsportarten (Hockey, Rugby, Fußball).
Als erstes rupturiertes in der Regel das Ligamentum acromioclaviculare. Bei höhergradigen Verletzungen kommt es auch zu einer Ruptur des Ligamentum coracoclaviculare, welches aus zwei Faserzügen besteht:
- Ligamentum conoideum: vom Processus coracoideus zum Tuberculum conoideum der Klavikula
- Ligamentum trapezoideum: vom lateralen superioren Processus coracoideus zur Linea trapezoidea der Klavikula
Klassifikation
… nach Tossy
Die Tossy-Klassifikation unterscheidet zwischen drei Formen der Akromioklavikulargelenkverletzung:
- Tossy I: Überdehnung/Zerrung des Ligamentum acromioclaviculare und des Ligamentum coracoclaviculare
- Tossy II: Ruptur des Ligamentum acromioclaviculare und Überdehnung des Ligamentum coracoclaviculare (Subluxation)
- Tossy III: Ruptur beider Bänder mit resultierender Luxation im AC-Gelenk
… nach Rockwood
Heutzutage (2024) wird in der Regel die Rockwood-Klassifikation verwendet, die eine Modifikation der Tossy-Klassifikation darstellt. Sie berücksichtigt nicht nur das Schultereckgelenk, sondern auch das Ligamentum coracoclaviculare, den Musculus deltoideus, den Musculus trapezius sowie die Richtung der Verlagerung der Clavicula in Relation zum Akromion. Man unterscheidet 6 Typen:
Typ | Beschreibung |
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Klinik
Die Akromioklavikulargelenkluxation imponiert durch Schulterschmerzen, Schwellung und ein Hämatom. Durch die Fehlfunktion zwischen Schulterblatt und Schlüsselbein ist die Abduktion des Arms eingeschränkt bis unmöglich. Der betroffene Arm wird vom Patienten in Schonhaltung adduziert am Körper gehalten. Häufig besteht bei Palpation eine federnde Luxation oder Subluxation im Akromioklavikulargelenk, was als Klaviertastenphänomen bezeichnet wird.
Diagnostik
Klinische Untersuchung
Ist das Gelenk intakt, so sind in der Inspektion beide Schultern in der Höhe, der Form und der Rundung identisch. Schlüsselbeine und markante Knochenvorsprünge scheinen spiegelbildlich. Eine Gelenksprengung macht sich meist durch einen Hochstand der Klavikula bemerkbar.
Bei der Inspektion der Schulter achtet man darüber hinaus auf Prellmarken und Abschürfungen.
Bildgebung
Konventionelles Röntgen
In der a.p.-Aufnahme des AC-Gelenks stehen die inferioren Ränder von Klavikula und Akromion normalerweise auf gleicher Höhe. Neben der a.p.-Aufnahme kann auch eine axilläre Projektion sinvoll sein, um eine posteriore Dislokation zu erkennen. Dabei muss beachtet werden, dass die anteroposteriore Position der Klavikula in der axillären Ansicht variabel ist, sodass eine erhebliche Verlagerung vorhanden sein muss, bevor ein Typ IV diagnostiziert werden kann.
Wird in der anteroposterioren Projektion der Röntgenstrahl um 10 bis 15° nach kranial gekippt, erhält man die sogennannte Zanca-Aufnahme. Sie kann in einigen Fällen das AC-Gelenk besser darstellen. In subtilen Fällen wird auch eine Stressaufnahme des AC-Gelenks (Wasserträgeraufnahme) angefertigt. Dabei erfolgt die Röntgenaufnahme beider AC-Gelenke in a.p.-Richtung, wobei der Patient in beiden Händen dasselbe Gewicht hält. Bei einer ACG-Sprengung wird hier der verbreiterte Gelenkspalt deutlicher sichtbar.
Panorama-Aufnahmen, in denen beide AC-Gelenke auf einem Bild dargestellt werden, gelten aufgrund der damit verbundenen Strahlenbelastung als obsolet.
Typ I
Bei Rockwood Typ I kann lediglich eine angrenzende Weichteilschwellung auffallen.
Typ II
Bei Typ II ist der AC-Abstand vergrößert. Die Gelenkbreite an der schmalsten Stelle beträgt > 6 mm. Die distale Klavikula ist in Relation zum Akromion leicht nach superior verlagert. Der untere Rand der Klavikula sollte jedoch nicht die obere Kortikalis des Akromions überragen. In Grenzfällen lohnt sich ein Vergleich mit der anderen Schulter, insbesondere weil ca. 20 % der Schultern eine leichte Anhebung aufweisen.
Typ III
Beim Typ III nach Rockwood findet sich die Klavikula oberhalb der oberen Kortikalis des Akromions. Somit liegt eine AC-Luxation vor. Das AC-Gelenk ist normalerweise ebenfalls verbreitert. Der korakoklavikuläre Abstand (CC-Abstand) ist gering erhöht, d.h. > 14 mm. Im Gegensatz zum Typ V beträgt der CC-Abstand jedoch weniger als das Doppelte des Normalwerts (d.h. < 25 mm). Weiterhin ist bei einem Unterschied von mindestens 25 bis 50 % im Seitenvergleich von einer Verletzung Typ III auszugehen.
Höhergradige Verletzungen
Bei höhergradigen Verletzungen zeigt sich eine ausgeprägte obere, hintere oder untere Dislokation der distalen Clavicula relativ zum Akromion.
Computertomographie
In der Computertomographie (CT) fallen ein vergrößerter AC- und CC-Abstand sowie eine variable Verlagerung der distalen Klavikula auf. Die CT ist sinnvoll bei Patienten, bei denen lagerungsbedingt eine axilläre Röntgenaufnahme nicht durchführbar ist, sowie zur präoperativen Planung bei Typ IV und VI.
Magnetresonanztomographie
In der Magnetresonanztomographie (MRT) finden sich folgende Befunde:
- T1w: Gelenkspalterweiterung oder Verlagerung der distalen Klavikula. Ruptur von AC- und CC-Band.
- T2w-FS: Weichteilödem um AC-Gelenk, Gelenkerguss, periartikuläres Knochenmarködem.
Sonographie
In der Sonographie kann der auf > 6 mm verbreiterte Gelenkspalt auffallen. Die Power-Doppler-Untersuchung zeigt einen erhöhten Blutfluss um das Gelenk.
Differenzialdiagnosen
- Posttraumatische Osteolyse der distalen Klavikula: Schmerzen des ACG und der distalen Klavikula. Kann auf eine Stressfraktur der distalen Klavikula zurückzuführen sein. Ödem in der distalen Klavikula und deutlich weniger im medialen Akromion. Tritt auf bei fortgesetzter Aktivität nach einer Typ-I-Verletzung oder bei repetitiven Traumen (z.B. bei Gewichthebern)
- Laterale Klavikulafraktur: Schmerzen und Schwellungen nach einem Trauma. Im Röntgenbild zeigen sich eine Fraktur und eine normale AC-Gelenkspaltbreite.
- Normales Akromioklavikulargelenk bei Kindern und Jugendlichen: unvollständige Verknöcherung der lateralen Klavikula und des medialen Akromions. Die laterale Epiphyse der Klavikula verknöchert bzw. fusioniert im 19. Lebensjahr. Beim Vergleich zur normalen Seite ist ein Unterschied von bis zu 25 % physiologisch.
- Septisches Akromioklavikulargelenk: unscharf begrenzte subchondrale Knochenbegrenzung mit umgebender Weichteilschwellung
- Skapulothorakale Dissoziation: schwere AC-Luxation mit Verletzung des Plexus brachialis. Kann mit einer sternoklavikulären Diastase oder einer Klavikulafraktur einhergehen.
Therapie
Konservative Therapie
Rockwood I und II sowie einige Typ-III-Verletzungen werden konservativ behandelt. In der Regel erfolgt die Behandlung durch Kühlen, schmerzadaptierte Analgesie sowie Ruhigstellung in einer Armschlinge, einem Gilchrist-Verband oder einem Desault-Verband für ca. 1 bis 4 Wochen. Unter Physiotherapie können suskzessive das Bewegungsausmaß und Kraft wieder aufgebaut werden. Ungefähr 6 Wochen sollten starke Belastungen und Kontaktsportarten vermieden werden. Bei Beschwerdepersistenz über 3 Monate sollte eine sekundäre Operation erwogen werden.
Operative Therapie
Eine operative Therapie ist indiziert bei Rockwood IV bis VI sowie bei einigen Patienten mit Rockwood III (< 35. Lebensjahr, überwiegende Überkopfarbeit, Sportler). Auch bei Begleitverletzungen der Muskulatur, der Weichteile oder von Nerven ist eine chirurgische Behandlung denkbar.
Es stehen sowohl offene als auch arthroskopische (z.B. TightRope®-System) Verfahren zur Verfügung. Techniken zur korakoklavikulären Stabilisation sind:
- Bandnaht mit Augmentation: TightRope® (Verbindung Klavikula mit Processus coracoideus mittels Knopfanker), PDS-Kordel (Umschlingung des Processus coracoideus und Fixierug an der Klavikula)
- Bosworth-Schraube: Schraubenosteosynthese zwischen Klavikula und Processus coracoideus
Zur akromioklavikulären Stabilisation kommen ebenfalls mehrere Techniken in Frage:
- Hakenplatte: Plattenosteosnythese, die auf die Klavikula geschraubt und unter das Akromion eingehakt wird
- Transartikuläre Kirschner-Draht-Fixation mittels Zuggurtung
Bei chronischer Instabilität (nach 3 bis 6 Monaten) kommen Bandplastiken zur Anwendung, zum Beispiel im Rahmen einer Operation nach Weaver-Dunn. Auch eine Resektion des AC-Gelenks (Mumford-Operation) kommt in Frage.
Prognose
Eine Tossy-I-Verletzung hat eine sehr gute Prognose. Bei Tossy II- und Tossy III-Verletzungen wird auch nach Abheilung häufig eine geringe Subluxation oder Luxation beobachtet, die aber in der Regel nicht mit funktionellen Einschränkungen einhergeht. Komplikationen sind:
- Arthrose im AC-Gelenk
- Posttraumatische Osteolyse der distalen Klavikula
- Ossifikation des Ligamentum coracoclaviculare
- septische Infektion des AC-Gelenks, insbesondere bei Typ V mit Hautverletzungen
Literatur
- Schneider MM et al. Inter- and intraobserver reliability of the Rockwood classification in acute acromioclavicular joint dislocations, Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2016;24(7):2192-2196
- Kraeutler MJ et al. Inter- and intraobserver reliability of the radiographic diagnosis and treatment of acromioclavicular joint separations, Orthopedics. 2012;35(10):e1483-e1487
- Alyas F et al. MR imaging appearances of acromioclavicular joint dislocation, Radiographics. 2008;28(2):463-619
- Stucken C, Cohen SB Management of acromioclavicular joint injuries, Orthop Clin North Am. 2015;46(1):57-66
Quelle
- ↑ Martetschläger F et al.: Diagnostik und Therapie der akuten Luxation des Acromioclaviculargelenks. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 89-95; DOI: 10.3238/arztebl.2019.0089