Vaginalkarzinom
Englisch: vaginal carcinoma, vaginal cancer
Epidemiologie
Das Vaginalkarzinom macht etwa ein bis zwei Prozent aller malignen Erkrankungen des weiblichen Genitaltraktes aus. Es handelt sich somit um eine eher seltene Erkrankung. Die Inzidenz beträgt ca. 0,4-1,2 pro 100.000 Frauen. Das Erkrankungsalter liegt in über 50 % d.F. jenseits des 70. Lebensjahres. 15 % der betroffenen Frauen sind zum Diagnosezeitpunkt 20 bis 49 Jahre alt.
Häufiger wird der sekundäre Befall der Vagina bei Karzinomen der Nachbarorgane beobachtet.
Ätiopathogenese
Die genaue Ursache des Vaginalkarzinoms ist derzeit (2020) unklar. Die Risikofaktoren sind mit denen des Zervixkarzinoms vergleichbar. Dazu zählen:
- Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV), insbesondere der Hochrisikogruppe (z.B. HPV 16, 18, 31)
- vaginale intraepitheliale Neoplasie (VaIN)
- Zustand nach Therapie präinvasiver oder invasiver HPV-induzierter Läsionen (z.B. Bestrahlung des Beckens)
- Lichen sclerosus
- Promiskuität
- frühe Kohabitarche
- Nikotinabusus
Lokalisation und Ausbreitung
Symptome
Ein Fünftel der betroffenen Patientinnen hat keine Beschwerden. In der Mehrzahl der Fälle imponiert das Vaginalkarzinom durch vaginale Blutungen, die vor allem nach dem Geschlechtsverkehr auftreten. Weiterhin kann es zu fleischwasserfarbenem Fluor genitalis sowie zu Indurationen kommen. Ein Druckgefühl in der Vagina ist bei den am häufigsten vorkommenden exophytisch wachsenden Tumoren möglich.
Bei fortgeschrittener Tumorerkrankung können Miktions- und Defäkationsstörungen auftreten.
Metastasierung
Bei Karzinomen im oberen Drittel erfolgt die Metastasierung in die pelvinen Lymphknoten, bei Sitz im mittleren Drittel ist ein pelviner und inguinaler Lymphknotenbefall möglich. Bei Lokalisation im unteren Drittel erfolgt die Metastasierung vor allem in die inguinalen Lymphknoten.
Diagnostik
Bei einer suspekten Läsion oder entsprechenden Symptomen erfolgt eine Kolposkopie. Die pathohistologische Untersuchung nach Stanz-, Knips- oder Exzisionsbiopsie dient der Diagnosesicherung.
Je nach Lokalisation und Ausdehnung erfolgen weitere Untersuchungen, z.B. bildgebende Verfahren, Urethrozystoskopie oder Rektoskopie. Beim histologisch gesicherten Vaginalkarzinom ab Stadium FIGO II wird eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Beckens empfohlen. Die PET-CT wird vor allem bei fortgeschrittenem Tumorstadium zum Staging oder bei unklaren Befunden mit hoher Wahrscheinlichkeit für Lymphknotenmetastasen eingesetzt. Zum Ausschluss von Fernmetastasen kann eine Computertomographie des Abdomens und des Thorax durchgeführt werden.
Präkanzerosen
Bei den Präkanzerosen der Vagina unterscheidet man zwischen:
- VaIN 1 (kondylomatöse Läsion und geringgradige Dysplasie): wird auch als "low grade squamous intraepithelial lesion" (LSIL) bezeichnet.
- VaIN 2 (mäßiggradige Dysplasie) und VaIN 3 (hochgradige Dysplasie und Carcinoma in situ): werden auch als "high grade squamous intraepithelial lesion" (HSIL) zusammengefasst.
Pathohistologie
In über 95 % der Fälle handelt es sich beim invasiven Vaginalkarzinom um ein Plattenepithelkarzinom, seltener findet man Adenokarzinome, Sarkome oder Melanome. Extrem selten sind adenoide Basalzellkarzinome und neuroendokrine Karzinome.
Bei den Plattenepithelkarzinomen unterscheidet man pathohistologisch bzw. morphologisch:
- keratinisierendes Karzinom
- nicht-keratinisierendes Karzinom
- papilläres Karzinom
- basaloides Karzinom
- kondylomatöses Karzinom
- verruköses Karzinom
Primäre Vaginalkarzinome sind abzugrenzen von Vaginalmetastasen bzw. von einer Infiltration per continuitatem durch angrenzende Malignome z.B. der Zervix, des Endometriums oder des Rektums.
Stadieneinteilung
Die postoperative Stadieneinteilung erfolgt nach der TNM-Klassifikation und ggf. mit Angabe des FIGO-Stadiums. Der histologische Befundbericht sollte u.a. das Grading, die Invasionstiefe und die Tumordicke beinhalten.
TNM | Beschreibung |
---|---|
Tis | Carcinoma in situ, VaIN 3 |
T1 | Vaginaltumor < 2 cm (T1a) oder > 2 cm (T1b) |
T2 | Tumor < 2 cm (T2a) oder > 2 cm (T2b) infiltriert Parakolpium, erreicht aber nicht die Beckenwand |
T3 | Tumor wächst in Beckenwand ein und/oder das untere Vaginaldrittel und/oder blockiert den Harnabfluss und verursacht Nierenprobleme |
T4 | Tumor infiltriert Mukosa der Blase und/oder des Rektums und/oder überschreitet die Grenzen des kleinen Beckens |
N1 | Streuung in die regionären Lymphknoten (pelvin oder inguinal) |
M1 | Fernmetastasen |
FIGO | Beschreibung |
---|---|
I | T1, N0, M0 |
II | T2, N0, M0 |
III | T1-T3, N1, M0 oder T3, N0, M0 |
IVA | T4, jedes N, M0 |
IVB | jedes T, jedes N, M1 |
Therapie
...der vaginalen intraepithelialen Neoplasie
Vaginale intraepitheliale Neoplasien werden i.d.R. chirurgisch behandelt. Dabei stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung:
- Destruktion mittels CO2-Laser
- lokale Exzision (z.B. CO2-Laser, Skalpell, Elektrochirurgie)
- Skinning-Resektion der Vaginalhaut (Skalpell oder Laser)
- partielle oder totale Kolpektomie
Die Auswahl des Verfahrens wird individuell getroffen und unterscheidet sich bei HPV-negativen VaIN von HPV-induzierten VaIN.
Alternativ kommen auch lokale medikamentöse Therapien zum Einsatz. Dazu zählt die Verabreichung von 5-Fluoruracil oder von Imiquimod. Auch eine Brachytherapie kann erwogen werden.
...des invasiven Vaginalkarzinoms
Die invasiven Vaginalkarzinome werden stadiengerecht behandelt:
- FIGO I: partielle oder totale Kolpektomie
- FIGO II: Radiotherapie, ggf. Radiochemotherapie. (z.B. mit Cisplatin, Mitomycin oder 5-Fluoruracil), in Einzelfällen operative Therapie (z.B. Kolpektomie mit Entfernung des Parakolpiums und radikale Hysterektomie mit Lymphadenektomie)
- FIGO III-IV: Radio(chemo)therapie, ggf. vordere und/oder hintere Exenteration mit Anlagen einer Neoblase und/oder eines Anus praeter
Nachsorge
Die Nachsorge erfolgt in den ersten zwei Jahren jeweils alle drei Monate, danach bis zum fünften Jahr halbjährlich.
Prognose
Die absolute 5-Jahres-Überlebensrate ist abhängig vom histologischen Subtyp. Bei Plattenepithelkarzinomen beträgt sie etwa 54 %, bei Adenokarzinomen 60 %. Bei einem malignen Melanom liegt die 5-Jahres-Überlebensrate nur bei 13 %.
Des Weiteren ist die Prognose abhängig vom Tumorstadium bei Erstdiagnose. Im Stadium IV beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate nur 20 %. Rezidive sind häufig.
Prävention
Da 75 % der vaginalen Plattenepithelkarzinome HPV assoziiert sind, wird eine HPV-Impfung empfohlen. Die präventive Wirkung einer speziellen Sexualhygiene wie bei anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen ist derzeit (2020) unklar. Weiterhin sollte auf Zigarettenrauchen verzichtet werden.
Mit Hilfe des Früherkennungsprogramm im Rahmen des Zervixkarzinomscreenings können auch Vaginalkarzinome frühzeitig erkannt werden. Weiterhin sollten Frauen nach Zervix- und Vulvakarzinomen sowie HPV-bedingten Läsionen des Anogenitaltrakts am gynäkologischen Screening teilnehmen.
Literatur
- DGGG, OEGGG, SGGG. S2k-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Vaginalkarzinoms und seiner Vorstufen, abgerufen am 18.05.2020