Semaglutid
Handelsnamen: Ozempic®, Rybelsus®, Wegovy®
Englisch: semaglutide
Definition
Semaglutid ist ein Antidiabetikum aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Der Arzneistoff wird zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 und zur Gewichtsreduktion bei Adipositas angewendet.
Wirkmechanismus
Semaglutid ist ein GLP-1-Analogon, das selektiv an den GLP-1-Rezeptor bindet, wodurch die Sekretion von Insulin aus den Beta-Zellen des Pankreas glukoseabhängig gefördert wird. Gleichzeitig wird die Glukagonsekretion aus den Alpha-Zellen gehemmt und die Insulinsensitivität gesteigert. Diese Effekte werden durch eine Erhöhung des intrazellulären cAMP-Spiegels und einer daraus resultierenden Aktivierung der Proteinkinase A über einen GS-Rezeptor vermittelt.
Außerdem kommt es zu einer verlangsamten Magenentleerung und einem erhöhten Sättigungsgefühl, das wahrscheinlich über peptiderge, Proglucagon-exprimierende Nervenzellen im Nucleus tractus solitarii des Hirnstamms vermittelt wird. Diese Neuronen übermitteln die Signale der Dehnungsrezeptoren der Magenwand durch Freisetzung von Glucagon-like Peptide-1.[1] Durch diesen positiven Nebeneffekt trägt Semaglutid zu einer Gewichtsreduktion bei übergewichtigen Diabetikern bei.
Indikationen
Semaglutid wird bei erwachsenen Patienten eingesetzt zur:
- Behandlung des unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 – als Zusatz zu Diät und körperlicher Aktivität[2]
- als Monotherapie, wenn die Anwendung von Metformin aufgrund einer Unverträglichkeit oder Kontraindikationen ungeeignet ist
- zusätzlich zu anderen Arzneimitteln zur Behandlung des Diabetes mellitus.
- Gewichtsregulierung, einschließlich Gewichtsabnahme und Gewichtserhaltung – als Ergänzung zu kalorienreduzierter Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität – bei einem Ausgangs-Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 30 kg/m² (Adipositas) oder ≥ 27 kg/m² bis < 30 kg/m² (Übergewicht), wenn mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung, wie z.B. Fehlregulation der glykämischen Kontrolle (Prädiabetes oder Diabetes mellitus Typ 2), Hypertonie, Dyslipidämie, obstruktive Schlafapnoe oder Herz-Kreislauf-Erkrankung vorliegt.[3]
Darreichungsform
Semaglutid ist erhältlich als
- Injektionslösung zur subkutanen Injektion[2]
- Injektionslösung in Fertigpens mit 0,25 mg, 0,5 mg, 1 mg, 1,7 mg und 2,4 mg[3]
Des Weiteren existiert eine oral einzunehmende Arzneiform, die auf der Verbindung von Semaglutid und dem Absorptions-Enhancer Natrium-8-((2-Hydroxybenzoyl)amino)octanoat beruht.[4] Die orale Form ist in Europa zugelassen, aber wird aktuell vom Hersteller nicht in Deutschland vertrieben.
Dosierung
Die empfohlene Initialdosis von Semaglutid bei Typ-2-Diabetes beträgt einmal wöchentlich 0,25 mg. Nach vier Wochen sollte die Dosis verdoppelt werden.
Zur Gewichtsreduktion wird die Dosis nach folgendem Schema eskaliert:[3]
Woche | Dosis/Woche [mg] |
---|---|
1–4 | 0,25 |
5–8 | 0,5 |
9–12 | 1 |
13–16 | 1,7 |
Erhaltungsdosis | 2,4 |
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Zu den häufigen (≥ 1/100, < 1/10) und sehr häufigen (≥ 1/10) Nebenwirkungen von Semaglutid zählen:[2][3]
- gastrointestinale Beschwerden wie Diarrhö, Nausea, Emesis, Obstipation, und Flatulenz
- Kopfschmerzen, Schwindel und Erschöpfung
- Hypoglykämie
- Verschlechterung einer diabetischen Retinopathie
- Alopezie
Durch parallele Behandlung mit einem Sulfonylharnstoff, Insulin und/oder anderen oralen Antidiabetika wird das Risiko einer Hypoglykämie weiter erhöht.
Die gastrointestinalen Nebenwirkungen können zum Flüssigkeitsverlust und zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Die Patienten müssen daher auf das potenzielle Risiko einer Dehydratation hingewiesen werden.
Gelegentlich (≥ 1/1.000, < 1/100) oder selten (≥ 1/10.000, < 1/1.000) treten auf: [5]
Nach Einzelfallberichten kann es unter der Therapie mit Semaglutid zu einer Suizidgefährdung kommen.[6] Der abschließende Bericht der EMA steht noch aus (Stand 2024). Eine amerikanische Studie konnte zwischenzeitlich keinen Zusammenhang zwischen der Verabreichung von Semaglutid und einem erhöhten Suizidrisiko finden.[7]
Bei einer Studie zu unerwünschten gastrointestinalen Wirkungen bei Nichtdiabetikern, die GLP-1-Agonisten (Semaglutid oder Liraglutid) zur Gewichtsabnahme einsetzten, wurde ein signifikant erhöhtes Risiko für Pankreatitis (9,1-fach), Ileus (4,2-fach) und Gastroparese (3,7-fach), aber kein signifikant erhöhtes Risiko für Gallenwegserkrankungen (1,5-fach) festgestellt.[8]
In den USA wurden Mitte 2023 Schadensersatzklagen gegen den Hersteller eingereicht, die sich auf die Auslösung einer Gastroparese durch Semaglutid beziehen.[9]
Im Rahmen einer Kohortenstudie mit mehr als 16.000 Patienten wurde unter Semaglutid das erhöhte Auftreten einer nicht arteriitischen anterioren ischämischen Optikusneuropathie (nAION) festgestellt.[10]
Besondere Hinweise
Semaglutid sollte vor elektiven Operationen oder anderen geplanten Eingriffen mit Narkose abgesetzt werden. Auf die letzte Dosis am Operationstag bzw. am Tag vor dem Eingriff sollte verzichtet werden. Patienten bei Notoperationen sind mit dem Narkoserisiko „voller Magen“ einzustufen. Aufgrund der Verzögerung der Magenentleerung durch die Einnahme von Semaglutid besteht ein Aspirationsrisiko, da sich noch Nahrungsreste im Magen befinden können.[11] Die bei Adipositas gehäufte gastrointestinale Refluxerkrankung könnte das Risiko zusätzlich erhöhen. Klinische Daten liegen aktuell (2024) noch nicht vor.[12]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff
- Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
- Diabetes mellitus Typ 1
- diabetische Ketoazidose
Missbrauch
Semaglutid wird in sozialen Medien als risikoloses Wundermittel zur Gewichtsreduktion ("Fett-Weg-Spritze") angepriesen. Das hat zu einer Verknappung der Versorgung von Typ-2-Diabetikern geführt.[13] Die erhöhte Nachfrage hat darüber hinaus Arzneimittelfälscher auf den Plan gerufen. Von den Gesundheitsbehörden wurde dementsprechend im Herbst 2023 vor Fälschungen des Präparates Ozempic® gewarnt. Bis Februar 2024 wurden keine weiteren Hinweise entdeckt, dass sich in Deutschland gefälschte Arzneimittel in der legalen Vertriebskette befinden.[14]
Toxizität
Zur Überdosierung kommt es meist durch den versehentlichen Einsatz eines höher dosierten Fertigpens. Dabei stehen gastrointestinale Symptome im Vordergrund, die den Nebenwirkungen entsprechen. Dabei kann anhaltendes Erbrechen zum Flüssigkeits- und Elektrolytverlust führen, eine Hypoglykämie wurde jedoch nicht beobachtet.[15]
Zulassung
Semaglutid ist in der EU seit 2018 zugelassen.
Nutzenbewertung
Der Zusatznutzen einer Therapie mit Semaglutid wird vom G-BA auf der Basis der Einschätzung des IQWIG wie folgt bewertet:
- Ein Zusatznutzen ist nicht belegt.[16]
Kosten
Der G-BA hat Wegovy®, das zur Gewichtsreduktion zugelassen ist, in der Arzneimittelrichtlinie den Lifestyle-Arzneimitteln zugeordnet, sodass die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) die Kosten nicht erstatten.[17]
ATC-Code
- A10BJ06 - Antidiabetika - Glucagon-like-Peptid-1-(GLP-1)-Rezeptoragonisten
Podcast
Bildquelle
- Bildquelle Podcast: Rayyu Maldives/ Unsplash
Quellen
- ↑ Ly T et al. Sequential appetite suppression by oral and visceral feedback to the brainstem. Nature. 2023
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Ozempic, EMA, abgerufen am 06.05.2023
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Wegovy, EMA, abgerufen am 06.05.2023
- ↑ Rosenstock J et al. Effect of Additional Oral Semaglutide vs Sitagliptin on Glycated Hemoglobin in Adults With Type 2 Diabetes Uncontrolled With Metformin Alone or With Sulfonylurea, JAMA. 2019;321(15):1466–1480, abgerufen am 18.08.2020
- ↑ Sodhi M et al. Risk of Gastrointestinal Adverse Events Associated With Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists for Weight Loss. JAMA. 2023
- ↑ Ludwig Burger, Maggie Fick: EU investigates Ozempic, weight-loss drug Saxenda after suicidal thoughts reported, Reuters, abgerufen am 15.7.2023
- ↑ Wang W et al; Association of semaglutide with risk of suicidal ideation in a real-world cohort. Nat Med (2024) , abgerufen am 21.01.2024
- ↑ Sodhi et al. Risk of Gastrointestinal Adverse Events Associated With Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists for Weight Loss. JAMA. 2023
- ↑ Financial Times: Lawsuit alleges blockbuster weight-loss drugs cause ‘stomach paralysis’ (Paywall) 2.8.2023, abgerufen am 3.8.2023
- ↑ Hathaway JT et al. Risk of Nonarteritic Anterior Ischemic Optic Neuropathy in Patients Prescribed Semaglutide. JAMA Ophthalmol. 2024
- ↑ Sen S et al. Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonist Use and Residual Gastric Content Before Anesthesia. JAMA Surg. 2024
- ↑ Narkose: GLP1-Agonisten könnten Aspirationsrisiko erhöhen. Dtsch Ärzteblatt News 04.07.2023, abgerufen am 04.07.2023
- ↑ Empfehlung des Beirates zur Sicherstellung der Versorgung von Patienten und Patientinnen mit Typ 2 Diabetes mit den GLP-1 Agonisten Trulicity und Ozempic. BfArM 05.04.2023. Abgerufen am 07.10.2023
- ↑ Fälschung des Arzneimittels Ozempic®. BfArM Stand 15.02.2024, abgerufen am 22.02.2024
- ↑ Wiener BG et al. Gluts of GLP-1: a Case Series of Semaglutide Overdose Through Administration Errors. J Med Toxicol. 2023 - Abstract 153; abgerufen 28.05.2023
- ↑ Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Semaglutid (Diabetes mellitus Typ 2) vom 15. April 2021, abgerufen am 15.5.2022
- ↑ Arzneimittel-Richtlinie Anlage II: Lifestyle Arzneimittel. Stand 18.08.2023, abgerufen am 22.03.2024
Weblinks
- Neueinführung Ozempic bei Diabetes mellitus Typ 2. Gelbe Liste 2018, abgerufen am 06.05.2023
- Semaglutid jetzt als Abnehmmittel zugelassen. Pharmazeutische Zeitung 2022, abgerufen am 06.05.2023
- PubChem: 56843331
- MeSH: 2002158
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