Rhabdoidtumor
Englisch: rhabdoid tumor
Definition
Der Rhabdoidtumor, kurz RT, ist ein seltenes, äußerst aggressives Weichteilsarkom, das vor allem Säuglinge und Kleinkinder betrifft. Rhabdoidtumoren können in verschiedenen Gewebetypen auftreten. Aufgrund ihres schnellen Wachstums und der hohen Neigung zur Metastasierung ist die Prognose ungünstig.
Terminologie
Je nach Lokalisation werden verschieden Arten von Rhabdoidtumoren unterschieden:
- ZNS: atypische teratoide/rhabdoide Tumoren (ATRT)
- Niere: rhabdoider Tumor der Niere (RTK)
- Weichgewebe: maligner rhabdoider Tumor (MRT)
Epidemiologie
Rhabdoidtumoren treten in der Regel im Kleinkind- oder frühen Kindesalter auf. Das Medianalter liegt bei etwa 20 Monaten.[1] Sie machen weniger als 1 % aller kindlichen Krebserkrankungen aus.
Bei Kindern unter einem Jahr stellen RTs etwa 20 % aller Nierentumoren und 15 % der Weichteiltumoren.[1] In dieser Altersgruppe ist der ATRT zudem der häufigste bösartige Tumor der hinteren Schädelgrube.
Teilweise treten die Tumore auch etwas später auf. Beim Weichteil-RT sind z.B. etwa 60 % der Kinder unter 10 Jahren.
Ätiologie
In etwa 90 % der Fälle findet sich eine biallelische Inaktivierung des Tumorsuppressorgens SMARCB1 (22q11.23). Häufig liegt die Mutation nur im Tumorgewebe vor, in etwa 25 % der Fälle handelt es sich jedoch um eine Keimbahnmutation.[1]
Das SMARCB1-Gen kodiert für ein Protein, das am SWI/SNF-Chromatin-Modellierungskomplex beteiligt ist und eine Rolle bei der Genregulation spielt.
Seltener liegt stattdessen eine Mutation im SMARCA4-Gen (19p13.3) vor, das ebenfalls für ein Mitglied dieses Komplexes kodiert.
In sehr seltenen Fällen kann die Mutation durch ein Gonaden-Mosaik von den Eltern vererbt werden. Heterozygote Mutationsträger können multiple Schwannome oder Meningeome entwickeln.[1]
Lokalisation
Die häufigsten Lokalisationen sind das zentrale Nervensystem, die Nieren, die Leber und Weichgewebe. Prinzipiell können Rhabdoidtumore jedoch in jedem Gewebetyp entstehen.
Symptome
Je nach Tumorlokalisation können unterschiedliche Symptome auftreten. Aufgrund des schnellen Wachstums entwickeln sich die Symptome relativ schnell, meist innerhalb weniger Wochen. Schmerzen äußern sich bei Säuglingen allgemein z.B. durch häufiges Schreien bzw. Weinen, Schlafstörungen, Trinkschwäche oder allgemeine Unruhe.
Ist der Rhabdoidtumor in der Niere lokalisiert, so findet sich z.B. typischerweise eine Schwellung des Bauches. Darüber hinaus können Bluthochdruck, Hämaturie, Gedeihstörungen oder Fieber auftreten. Häufig liegen bei Erstdiagnose bereits Metastasen in der Niere oder auch in der Lunge vor. Lungenmetastasen können z.B. Husten verursachen.
Bei einer Lokalisation im ZNS treten Symptome eines erhöhten Hirndrucks, wie Erbrechen, Kopfschmerzen und Lethargie auf. Zudem können Krampfanfälle ausgelöst werden.
Oberflächlich sitzende Weichteiltumore (z.B. in der Muskulatur) können sich als schmerzhafte oder aber auch asymptomatische Schwellungen äußern.
Bei neonatalen Tumoren werden subkutane noduläre Metastasen beobachtet. Bei verschiedenen Lokalisationen kann es zudem zur Schädigung peripherer Nerven durch Kompression kommen.
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose wird mittels klinischer Untersuchung und Bildgebung gestellt. Dabei kommen v.a. Sonographie oder MRT zum Einsatz. Zur definitiven Diagnosestellung ist eine Tumorbiopsie mit molekulargenetischer und immunhistochemischer Untersuchung erforderlich.
In einigen Fällen liegt laborchemisch eine Hyperkalzämie vor.
Histologisch zeigt sich eine diffuse Proliferation von runden oder polygonalen Zellen. Die Zellkerne liegen exzentrisch mit prominentem Nukleolus. Das Zytoplasma ist eosinophil mit typischen rhabdoiden Einschlusskörpern.
In der Immunhistochemie sind die Tumorzellen häufig positiv für:
- Glypican-3 (bei etwa 50 % der Fälle)
- Vimentin
- epitheliale Marker (z.B. Keratine, epitheliales Membran-Antigen)
- mesenchymale Marker (z.B. Glattmuskel-Aktin, S100-Protein).
Die Diagnose wird immunhistochemisch durch das Fehlen des SMARCB1- oder seltener des SMARCA4-Proteins bestätigt. Mittels molekulargenetischer Diagnostik kann der Gendefekt auch direkt nachgewiesen werden.
Wurde die Mutation im Tumorgewebe nachgewiesen, wird zudem im Blut nach dem Vorliegen einer Keimbahnmutation gesucht, da dies zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko für Geschwister führt.
Zudem wird eine Ganzkörper-MRT zum Ausschluss von Metastasen durchgeführt.
Differentialdiagnose
Mögliche Differentialdiagnosen sind[1]:
- andere undifferenzierte Sarkome
- periphere neuroektodermale Tumoren
- epitheloide Sarkome (insbesondere der proximale Typ)
- extraskelettale myxoide Chondrosarkome
- undifferenzierte Chordome
Therapie
Die Behandlung von Rhabdoidtumoren ist multimodal und erfolgt interdisziplinär. Seit 2007 gibt es eine einheitliche Therapiestrategie, die auf den Empfehlungen des EU-RHAB-Registers basiert.
Das Vorgehen richtet sich nach dem Gesundheitszustand des Patienten und nach dem Therapieziel (kurativ vs. palliativ). Wenn möglich, wird eine vollständige Tumorresektion angestrebt. Darüber hinaus kann eine aggressive Chemotherapie das Überleben verbessern. Während oder nach der Chemotherapie kann eine Strahlentherapie eingesetzt werden, jedoch muss dabei beachtet werden, dass eine Strahlentherapie bei Säuglingen und Kleinkindern zu schweren Spätfolgen führen kann. Daher wird versucht, die Strahlentherapie durch den Einsatz der Chemotherapie zu verzögern bzw. zu vermeiden.
Bei der Chemotherapie kommen verschiedene Substanzen zum Einsatz:
- Doxorubicin
- Kombination aus Ifosfamid, Carboplatin und Etoposid
- Kombination aus Vincristin, Cyclophosphamid und Actinomycin D
- intrathekale bzw. intraventrikuläre Gabe von Methotrexat
In einigen Fällen ist auch eine Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation möglich.
Prognose
Eine vollständige operative Entfernung des Tumors ist nur in etwa 30 % der Fälle möglich.
Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei ca. 35 bis 50 %.[2] Prognostisch ungünstige Faktoren sind das Vorliegen von Metastasen, ein sehr junges Alter bei Diagnosestellung (unter 2 Jahren) sowie eine unvollständige Tumorresektion.
Literatur
- Kinderkrebsinfo – Rhabdoidtumoren der Niere und Weichgewebe (RTK, MRT) – Kurzinformation, abgerufen am 24.02.2025
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 orpha.net – Rhabdoidtumor, abgerufen am 24.02.2025
- ↑ Kinderkrebsinfo – Rhabdoidtumoren der Niere und Weichgewebe (RTK, MRT) – Kurzinformation, abgerufen am 24.02.2025