Okzipitalneuralgie
nach dem deutschen Anatomen und Physiologen Philipp Friedrich Arnold (1803-1890)
Synonyme: Occipitalis-Neuralgie, C2-Neuralgie, Arnold-Neuralgie
Englisch: occipital neuralgia, C2 neuralgia, Arnold's neuralgia
Definition
Als Okzipitalneuralgie bezeichnet man paroxysmal auftretende neuropathische Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervus occipitalis major, Nervus occipitalis minor und/oder Nervus occipitalis tertius.
Epidemiologie
Es handelt sich um eine seltene Erkrankung. Die jährliche Inzidenz beträgt ca. 3 Fälle pro 100.000 Einwohner. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei etwa 54 Jahren, eine signifikante Geschlechtsdisposition ist bisher (2025) nicht bekannt.[1]
Ätiopathogenese
Die Mehrheit der Fälle von Okzipitalneuralgie ist idiopathisch.[2] Als ursächlicher Mechanismus werden eine Kompression oder anderweitige Irritation der Okzipitalnerven an verschiedenen Punkten ihres Verlaufes vermutet. Diskutiert wird beispielsweise eine Reizung des Nervus occipitals major an dessen Durchtrittsstelle durch den Musculus semispinalis capitis oder Musculus trapezius durch muskuläre Spasmen oder Hypertrophie.[2][3][4] Auch Gefäß-Nerven-Kontakte, z.B. zwischen Arteria occipitalis und Nervus occipitalis major, werden als mögliche Ursache angesehen.[3][4] Weiterhin können Nervenschädigungen infolge direkter Hinterhaupts- oder Schleudertraumata verantwortlich sein.[4]
Sekundäre Formen der Okzipitalisneuralgie finden sich bei:[2][3][4][5]
- Frakturen oder anderen strukturellen Schäden von Os occipitale oder Halswirbelsäule (z.B. Atlasfraktur)
- duralen AV-Fisteln
- spinalen Kavernomen
- aberranten Ästen der PICA mit Nervenwurzelkontakt
- Arnold-Chiari-Malformation
- Neurosyphilis
- multipler Sklerose
- Riesenzellarteriitis
In der Mehrzahl der Fälle (etwa 90 %) betrifft die Okzipitalneuralgie das Versorgungsgebiet des Nervus occipitalis major. In rund 10 % der Fälle ist der Nervus occipitalis minor betroffen. Neuralgien des Nervus occipitalis tertius sind eine Rarität.[3][4]
Klinik
Die Okzipitalneuralgie ist durch paroxysmal auftretende Schmerzen charakterisiert, die je nach betroffenem Nerv an verschiedenen Anteilen des Hinterhauptes und im oberen Nacken lokalisiert sind. Sie treten meist einseitig auf, in etwa einem Drittel der Fälle sind beide Seiten betroffen. Bei bilateralen Attacken findet sich nahezu immer ein einseitiger Beginn mit nachfolgender Ausbreitung.[4] Häufig strahlt der Schmerz entlang des Nervenverlaufs zum Scheitel hin aus,[3][4] gelegentlich auch in Richtung der Stirn oder Orbita.[6] Bei einigen Patienten wird der Schmerz durch Bewegung des Kopfes verstärkt. Zum Teil besteht eine verstärkte Berührungsempfindlichkeit bis hin zur Allodynie.[3][4] Daher meiden die Patienten meist auslösende Tätigkeiten wie das Liegen auf einem Kissen oder das Haarekämmen.[2]
Der Schmerzcharakter wird in der Regel als scharf, einschießend, stechend oder elektrisierend bezeichnet.[2] Teils finden sich begleitende Dysästhesien.[2][4]
Die Dauer der Schmerzattacken beträgt wenige Sekunden bis Minuten,[2][3][4] länger dauernde Episoden sind untypisch.[4] Zwischen den Episoden kann ein leichterer, dumpfer Dauerschmerz verbleiben.[2]
Diagnostik
Bei der körperlichen Untersuchung kann ein Druckschmerz über dem betroffenen Nerven, eine Allodynie im Versorgungsgebiet sowie ein Hoffmann-Tinel-Zeichen auffallen.[2][3][4] Die International Headache Society empfiehlt zudem eine diagnostische Nervenblockade mittels Lokalanästhesie. Ein Ansprechen hierauf ist jedoch nicht spezifisch und ist auch bei anderen Kopfschmerzsyndromen möglich.[3]
Zum Ausschluss sekundärer Formen sowie von Differentialdiagnosen kann eine Bildgebung mittels Sonographie, CT oder MRT erfolgen.[3]
Zur Diagnosesicherung werden die ICHD-3-Kriterien der IHS genutzt:[6]
- Vorhandensein von uni- oder bilateralem Schmerz im Versorgungsgebiet des Nervus occipitalis major, minor und/oder tertius, der folgende Kriterien erfüllt:
- mindestens zwei der folgenden Charakteristika
- in wiederkehrenden, sekunden- bis minutenlangen Attacken auftretend
- hohe Intensität
- einschießende, stechende oder scharfe Qualität
- Assoziation mit folgenden Erscheinungen
- Dysästhesien und/oder Allodynie bei taktiler Stimulation von Kopfhaut oder Haaren
- Druckdolenz oder Triggerpunkte über dem betroffenen Nerven
- temporäre Besserung durch Nervenblockade
- mindestens zwei der folgenden Charakteristika
- Beschwerden sind nicht besser durch eine andere ICHD-3-Diagnose erklärbar
Therapie
Zur Therapie existiert bisher (2025) nur wenig Evidenz. Sie erfolgt primär medikamentös, z.B. mit:[2][3]
- NSAR, z.B. Paracetamol
- zentralen Muskelrelaxantien, u.a. Baclofen
- anfallssuppressiven Substanzen, z.B. Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin
- trizyklische Antidepressiva
- SSRI
Eine systematische Evaluation hinsichtlich der Wirksamkeit steht derzeit (2025) noch aus.
Bei Versagen der Pharmakotherapie kommen interventionelle Behandlungsverfahren zum Einsatz, wie z.B.:[2][3][4]
- Lokale Nervenblockade mittels ultraschallgesteuerter Lokalanästhesie. Die Effektdauer variiert hier zwischen etwa einer Woche und mehreren Monaten.
- Okzipitale Nervenstimulation (ONS), perkutan oder subkutan mittels implantiertem Nervenstimulator
- Radiofrequenzablation, Kryoablation
Bei Versagen aller anderen Maßnahmen können operative Maßnahmen, wie eine Nerven-/Wurzeldekompression, mikrochirurgische Neurolyse, Neurektomie, dorsale Rhizotomie oder Ganglionektomie erwogen werden.[3][4]
Quellen
- ↑ Koopman et al., Incidence of facial pain in the general population, Pain, 2009.
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 Dougherty, Occipital Neuralgia, Current Pain and Headache Reports, 2014.
- ↑ 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 3,11 3,12 Pan et al., Occipital Neuralgia. Current Pain & Headache Reports, 2021.
- ↑ 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 4,11 4,12 4,13 Djavaherian, Guthmiller, Occipital Neuralgia, StatPearls, 2023.
- ↑ Kakarla et al., Atlas Fractures, Neurosurgery, 2010.
- ↑ 6,0 6,1 Headache Classification Committee of the International Headache Society, The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition, Cephalalgia, 2018.