Merkelzellkarzinom
Synonyme: Trabekuläres Karzinom, kutanes neuroendokrines Karzinom
Englisch: Merkel cell carcinoma
Definition
Das Merkelzellkarzinom, kurz MCC, ist ein seltener, hochmaligner Tumor der Haut. Er ist charakterisiert durch eine neuroendokrine und epitheliale Differenzierung, hohe Rezidivrate und große lymphogene Metastasierungstendenz.
- ICD10-Code: C.44.-
Epidemiologie
Ätiologie
Die Ätiologie des MCC ist ungeklärt. Ursprünglich wurde aufgrund des Expressionsmuster von Keratinen vermutet, dass das Karzinom sich von Merkelzellen ableitet. Diese These gilt jedoch aufgrund verschiedener Unterschieden im Genexpressionsmuster als überholt. Inzwischen wird vermutet, dass sich das Merkelzellkarzinom, genau wie die Merkelzelle, von einer pluripotenten (epi)dermalen Stammzelle ableitet.
Zu den Risikofaktoren gehören:
- Hohe kumulative UV-Strahlenbelastung
- Immunsuppression (z.B. nach Organtransplantation, HIV-Infektion)
- Infektion mit dem Merkelzell-Polyomavirus (MCPyV)
- Assoziation zum Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS)
Klinik
Das mittlere Alter bei Diagnosestellung liegt bei 75 Jahren; Kinder sind praktisch nie betroffen. Meist tritt das MCC an lichtexponierten Arealen auf, v.a. im Kopf-Hals-Bereich und an den Extremitäten. Die Handflächen und Fußsohlen bleiben ausgespart. Morphologisch zeichnet es sich durch einen meist solitären, schnell wachsenden, derben, rötlich-bläulichen, schmerzlosen Knoten aus, der sich bis ins subkutane Fettgewebe ausweiten kann. Die Oberfläche ist glatt, selten auch krustig oder ulzeriert. Die Größe bei Diagnosestellung beträgt meist zwischen 1 und 4 Zentimetern.
Histologie
Histologisch werden 3 Typen unterschieden, deren Einteilung auch wichtig für die Prognose ist:[2]
- Trabekulärer Typ: Mittelgroße, monomorphe Zellen mit trabekulärem Wachstumsmuster
- Intermediärer Typ: Uniformer, unreifer, meist unscharf begrenzter Tumor in der Dermis; große, monomorphe, blasse Zellkerne; schmaler, amphophiler Zytoplasmasaum; zahlreiche Mitosen; selten Nekrosen
- Kleinzelliger Typ: Kleine Zellen mit hyperchromatischen Kernen; oft Nekrosen
Ultrastrukturell sind neuroendokrine Granula charakteristisch. Immunhistologische Untersuchungen mit Antikörpern gegen Intermediärfilamente (u.a. Zytokeratin 20) und neuroendokrine Marker (u.a. Chromogranin A, neuronenspezifische Enolase) sind notwendig, insbesondere zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung.
Diagnose
Die Diagnose wird anhand der Klinik und Pathohistologie gestellt. Anschließend werden zum Staging eine Sonographie der regionären Lymphknoten und des Abdomens sowie ein Thorax- und Abdomen-CT empfohlen.
Differentialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch kommen Basalzellkarzinome, Angiome, B-Zell-Lymphome, Hidradenome sowie Hautmetastasen in Betracht.
Stadieneinteilung
Prognostische Stadieneinteilung nach AJCC:[3]
Stadium | Primärtumor | Regionäre Lymphknoten | Fernmetastasen |
---|---|---|---|
0 | in situ | unauffällig | keine |
I | < 2 cm | ||
IIA | > 2 cm | ||
IIB | Infiltration von Faszien, Muskeln, Knorpel oder Knochen | ||
IIIA | kein Primärtumor bekannt oder unabhängig von Durchmesser/Infiltration | Lymphknotenmetastase | |
IIIB | unabhängig von Durchmesser/Infiltration | Lymphknotenmetastase oder In-Transit-Metastase* | |
IV | unabhängig vom Status | vorhanden |
- In Transit-Metastase: Lokalisation zwischen Primärtumor und regionalem Lymphabflussgebiet
Therapie
Der Primärtumor sollte vollständig chirurgisch entfernt werden, wobei aufgrund der hohen Rezidivrate ein Sicherheitsabstand von 1 bis 2 cm empfohlen wird. Bis auf wenige Ausnahmen wird grundsätzlich eine adjuvante Strahlentherapie durchgeführt. Bei unauffälligem Lymphknotenstatus (klinisch und in der Bildgebung) erfolgt eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie. Falls Lymphknoten- oder In-Transit-Metastasen vorhanden sind, wird eine radikale Lymphadenektomie mit adjuvanter Strahlentherapie empfohlen. Bei Fernmetastasen stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, jedoch konnte bisher (2024) für kein Therapieschema eine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit gezeigt werden:
- CMF-Schema: Cyclophosphamid, Methotrexat, 5-Fluoruracil
- Etoposid, ggf. mit Carboplatin oder Cyclophosphamid
- Octreotid (Somatostatin-Analogon)
- Avelumab (Immuncheckpoint-Inhibitor, Anti-PD-L1-Antikörper)
- Pembrolizumab (Immuncheckpoint-Inhibitor, Anti-PD-1-Antikörper), derzeit in klinischer Erprobung
Aktuell erscheint die Immuntherapie einer Chemotherapie bezüglich der Toxizität und Dauer des Ansprechens überlegen. Außerdem werden Checkpoint-Inhibitoren derzeit auch in der adjuvanten (Ipilimumab, Nivolumab, Avelumab) und neoadjuvanten (Nivolumab) Therapie getestet.
Verlaufskontrolle
Zur Nachsorge bestehen keine standardisierten Empfehlungen. Aufgrund der hohen Rezidivrate, v.a. in den ersten zwei Jahren, sind engmaschige Verlaufskontrollen sinnvoll.
2018 konnte eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Jürgen C. Becker, Leiter der DKTK-Abteilung Translational Skin Cancer Research an der Universitätsklinik Essen, zeigen, dass das im Blut zirkulierende MikroRNA-Molekül "circulating cell-free miR-375" einen Biomarker darstellt, mit dem die Tumorlast bewertet werden kann. Die Bestimmung dieses Biomarkers könnte zukünftig für die Therapiekontrolle und Nachsorge hilfreich sein.[4]
Prognose
Bei bis zu 20 % der Patienten besteht bereits bei Diagnosestellung eine klinisch fassbare lymphogene Metastasierung und bei fast einem Drittel der Patienten eine klinisch nicht fassbare, lymphogene Mikrometastasierung. Negative Risikofaktoren sind:
- Männliches Geschlecht
- Lokalisation an der Kopf-Hals-Region
- Alter < 60 Jahren
Je nach histologischem Typ unterscheidet sich die Prognose:
- Trabekulärer Typ: günstige Prognose
- Intermediärer Typ: intermediäre Prognose
- Kleinzelliger Typ: schlechte Prognose
Die 5-Jahres-Überlebensrate variiert je nach Stadium:
- 66 bis 75 % bei einem Tumordurchmesser < 2 cm
- 50 bis 60 % bei einem Tumordurchmesser > 2 cm
- 42 bis 52 % bei Lymphknotenmetastasen
- 18 % bei Fernmetastasen
Sporadisch werden spontane, z.T. komplette Regressionen beobachtet.
Quellen
- ↑ Leitlinie Becker JC et al. S2k_leitlinie Merkelzellkarzinom Update 2018, abgerufen am 11.06.2019
- ↑ Altmeyer Enzyklopädie, abgerufen am 11.06.2019
- ↑ AJCC Cancer Staging Manual, 8.Auflage 2017, abgerufen am 11.06.2019
- ↑ miR-375 Becker JC et al. Circulating Cell-Free miR-375 as Surrogate Marker of Tumor Burden in Merkel Cell Carcinoma. Clin Cancer Res. 2018, abgerufen am 11.06.2019
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