Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom
nach Eugen von Hippel (1867 bis 1939), deutscher Augenarzt; Arvid V. Lindau (1892 bis 1958) schwedischer Augenarzt; Wilhelm Czermak (1856 bis 1906), österreichischer Augenarzt
Synonyme: Von-Hippel-Lindau-Syndrom, Morbus Hippel-Lindau, VHL, enzephaloretinale Angiomatose, Angiomatosis cerebelli et retinae, Netzhautangiomatose, familiäre retinozerebelläre Angiomatose
Englisch: von Hippel-Lindau syndrome, cerebroretinal angiomatosis
Definition
Das Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom, kurz VHL, ist ein neurokutanes Syndrom, das autosomal-dominant vererbt wird und mit Gefäßmissbildung im Bereich von Auge und ZNS einhergeht. Es handelt sich um eine seltene erbliche Tumorerkrankung, die ganz unterschiedliche Organe befallen kann.
Das Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom gehört zum Formenkreis der Phakomatosen.
Geschichte
Der aus Göttingen stammende Augenarzt Eugen von Hippel beschrieb als erster im Jahr 1904 die typischen Angiome der Netzhaut des menschlichen Auges. Der schwedische Pathologe Arvid Lindau entdeckte 22 Jahre später (1926) Angiome im Nervengewebe des Rückenmarks. Das Syndrom ist nach den beiden Medizinern benannt.
Epidemiologie
Das VHL-Syndrom hat eine geschätzte Prävalenz von 0,5-2/100.000. Der Manifestationsgipfel liegt um das 30. Lebensjahr. Frauen und Männer sind in etwa gleich häufig betroffen.
Ätiologie
Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt. Die Schwere der Erkrankung und die betroffenen Organe können innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich sein. Mit rund 50 % ist die Rate an Spontanmutationen auffallend hoch. Ursächlich für das Erscheinungsbild des Morbus Hippel-Lindau ist eine Reihe von Mutationen im Bereich der p25/26-Bande auf Chromosom 3 (Genlokus 3p25.2). Das dort befindliche HL-Gen besitzt eine entscheidende Bedeutung für die Angiogenese und den Zellzyklus im Allgemeinen. Die Mutation führt zu einer Fehlregulation bei der Neubildung von Blutgefäßen.
Das HL-Gen besteht aus genau drei Exons. Mit diesen codiert es für ein nukleäres Protein. Dieses Polypeptid wird vor allem im Gehirn und in der Niere exprimiert und verbindet sich unter physiologischen Bedingungen mit Proteinen der Elongin-Gruppe. Häufig sind dabei zahlreiche Mutationen gleichmäßig verteilt über das ganze HL-Gen zu finden. 75 % der Betroffenen weisen eine Keimbahnmutation auf. 35 % aller Mutationen wiederum sind Missense-Mutationen.
Einteilung
Abhängig von der jeweiligen Mutation unterscheidet man zwischen:
- VHL Typ 1: in 50 % d.F. Mikrodeletionen und Nonsense-Mutation. Die Patienten weisen kein Phäochromozytom auf.
- VHL Typ 2: fast immer Missense-Mutation, die u.a. zu einem Phäochromozytom führen.
Klinik
Beim Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom treten zahlreiche Angiome in der Retina auf, aber auch in Teilen des ZNS, beispielsweise im Cerebellum, im Hirnstamm oder im Rückenmark. Im Großhirn finden sich nur extrem selten Tumore des Morbus Hippel-Lindau.
Daneben lassen sich bei vielen Patienten mit Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom Missbildungen innerer Organe nachweisen, z.B. Zysten in Leber, Nieren oder Pankreas, sowie Tumoren der Niere (Hypernephrom), der Nebennieren (Phäochromozytom) oder der Leber (Kavernome).
Selten können auch das Innenohr oder die Fortpflanzungsorgane (beim Mann der Nebenhoden) betroffen sein.
Die Symptome des Von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndroms können bei den betroffenen Patienten sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und hängen primär von der Größe und Lokalisation der Tumoren ab. Zu den häufigsten Symptomen zählen:
- Allgemeinssymptome
- Neurologische Symptome
- Visusstörungen (häufig Initialsymptom)
- Hirndruckzeichen
- Gleichgewichtsstörungen
- zerebelläre Ataxie
Pathologie
Die Angiome beim VHL-Syndrom sind i.d.R. kapilläre Hämangiome und Hämangioblastome:
- kapilläre Hämangiome zählen zu den Hamartomen (gutartige Raumforderungen aus Gefäßknäulen, die sich aus dem Vorläufer des Bindegewebes entwickeln.
- Hämangioblastome im ZNS sind echte Neoplasien aus gewucherten Kapillarsprossen.
Beim VHL-Syndrom können jedoch auch maligne Tumore auftreten.
Diagnostik
Die Diagnose wird meist klinisch gestellt. Das Vorhandensein von multiplen Hämangiomen in der Netzhaut spricht eindeutig für ein von-Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom. Hinzu kommen Tumore der Nebenniere und der Nieren und eine eindeutige Familienanamnese. Eine MRT-Aufnahme kann das gesamte Ausmaß der Erkrankung sichtbar machen.
Gendiagnostik
Durch eine genetische Untersuchung kann festgestellt werden, ob eine Anlageträgerschaft vorliegt. Ist dies der Fall, kann durch ein Vorsorgeprogramm die Erkrankung kontrolliert werden. Liegt eine Anlageträgerschaft nicht vor, sind weitere Untersuchungen unnötig. Der genetischen Untersuchung sollte eine genetische Beratung vorausgehen.
Therapie
Eine Kausaltherapie ist zur Zeit (2020) nicht verfügbar. Lösen die Tumoren klinische Symptome aus, wird eine operative Entfernung versucht. Die Entfernung der Netzhauttumore erfolgt z.B. mittels Lasertherapie.
Kontrolluntersuchungen
Durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen können auftretende Tumoren schon im frühen Stadium entdeckt werden, bevor sie Symptome verursachen. Die Tumoren können dann beobachtet und eine notwendige Operation kann eventuell organerhaltend durchgeführt werden. Es wird empfohlen, die Kontrolluntersuchungen jährlich durchzuführen.
Weblinks
- Verein für VHL-Betroffene
- Genetische Beratungsstellen finden sich bei der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik. Sie hält zudem eine Liste empfohlener Labore bereit.