Hängetrauma
Synonym: Hängesyndrom
Englisch: suspension trauma, suspension syndrome, harness hang syncope
Definition
Das Hängetrauma bezeichnet einen potenziell lebensbedrohlichen Zustand, der durch passives Hängen in nahezu vertikaler Position (z.B. Klettergurt, Sicherheitsgeschirr) entsteht.
Hintergrund
Das Hängetrauma wurde erstmals Ende der 1960er Jahren bei Höhenarbeitern beschrieben und gewinnt zunehmend an Bedeutung in der Arbeitsmedizin und Bergrettung. Es betrifft insbesondere:
- Industriekletterer und Höhenarbeiter
- Bergsteiger und Sportkletterer
- Arbeitskräfte in der Bauwirtschaft mit Absturzsicherung
- Feuerwehrleute und Rettungskräfte
- Fensterputzer und Fassadenarbeiter
Das Risiko wird häufig unterschätzt, da die Gefahr nicht von einem möglichen Trauma, sondern vom anschließenden bewegungslosen Hängen ausgeht.
Ätiopathogenese
Das Hängetrauma tritt auf, wenn eine Person bewegungslos in einem Auffanggurt hängt (z.B. nach einem Sturz). Die genauen pathophysiologischen Mechanismen sind bisher (2026) nicht abschließend geklärt.
Durch die fehlende Muskelpumpenfunktion der Beinmuskulatur und die Kompression von Blutgefäßen der unteren Extremität durch die Gurtschlaufen kommt es zu einem venösen Pooling der unteren Extremität. Folge ist eine relative Hypovolämie und ein reduzierter venöser Rückstrom zum Herzen.
Sekundär führt die verminderte Vorlast zu einer Hypotension und Hypoperfusion der Organe und des Gehirns. Diskutiert wird zudem, dass der reduzierte venöse kardiale Rückstrom über den Bezold-Jarisch-Reflex eine Bradykardie mit konsekutiver Bewusstlosigkeit auslösen kann, ähnlich einer vasovagalen Synkope.
Zudem kommt es durch Zellzerfall zu metabolischen Veränderungen mit Laktatazidose, Myoglobinämie und ggf. Hyperkaliämie. Folge können Herzrhythmusstörungen und eine Crush-Niere sein.
Symptome
Die Symptome des Hängetraumas entstehen meist innerhalb kurzer Zeit nach Beginn des bewegungslosen Hängens, können jedoch individuell unterschiedlich rasch auftreten. Typische Beschwerden umfassen Unwohlsein, innere Unruhe oder Angst, Schwindelgefühl, Benommenheit, Übelkeit, Blässe und Kaltschweißigkeit. Häufig kommt es zu Tachykardie sowie zu Parästhesien oder einem Schweregefühl in den Beinen infolge des venösen Poolings.
Mit zunehmender Dauer des Hängens können eine abnehmende Perfusion und ein Blutdruckabfall auftreten, die zu Präsynkope oder Synkope sowie zu Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit führen können. Zusätzlich kann sich die Herzfrequenz von einer initialen Tachykardie zu einer relativen oder absoluten Bradykardie entwickeln. Dyspnoe und Zyanose sind möglich und weisen auf eine fortschreitende Kreislaufdekompensation hin.
Im schwersten Verlauf kann es zu Atem- und Kreislaufstillstand mit potenziell tödlichem Ausgang kommen.
Diagnostik
Das diagnostische Vorgehen umfasst:
- Anamnese (Hängedauer, Sturzhergang, Verletzungen)
- Klinische Untersuchung (Vitalparameter, Bewusstseinslage, Perfusion, Druckstellen durch Gurtsystem, Begleitverletzungen)
- Monitoring: EKG, RR, Pulsoxymetrie
- Labor: Blutgasanalyse, Elektrolyte, Kreatinkinase (CK), Myoglobin (Serum und Urin), Laktat, Kreatinin, Harnstoff
- ggf. Bildgebung (abhängig von Begleitverletzungen)
Therapie
Nach einer möglichst raschen, kontrollierten Rettung aus der Hängesituation erfolgt die Versorgung nach dem üblichen cABCDE-Schema. Eine spezielle Verzögerung oder besondere Körperhaltung zum vermeintlichen Schutz vor einem "Rescue Death" durch ein Reperfusionssyndrom wird nach heutiger Datenlage nicht empfohlen (Stand 2026).
Die Lagerung richtet sich nach Bewusstseinslage und Kreislaufzustand. Wache und stabile Patienten können flach oder mit leicht erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Bei Zeichen einer Hypotonie kann eine vorsichtige Schocklage sinnvoll sein. Bei Bewusstseinsstörungen oder Kreislaufinstabilität erfolgt eine rasche Flachlagerung beziehungsweise stabile Seitenlage bei Aspirationsgefahr.
Zudem ist ein engmaschiges Monitoring sowie eine bedarfsgerechte Sauerstoffgabe erforderlich. Die Kreislaufstabilisierung erfolgt primär über eine Volumentherapie mit kristalloiden Lösungen, angepasst an die klinische Situation und mögliche Begleitverletzungen.
Bei längerer Hängedauer sollte an mögliche Reperfusions- und Crush-assoziierte Komplikationen gedacht werden, insbesondere an Rhabdomyolyse, Hyperkaliämie und akute Nierenschädigung. Eine routinemäßige forcierte Diurese gilt nicht als Standard und wird nur bei klarer Indikation und ausreichender Volumenauffüllung erwogen.
Weitere Maßnahmen umfassen die Behandlung von Begleitverletzungen, eine angemessene Analgesie sowie gegebenenfalls psychologische Betreuung nach dem Ereignis.
Die Letalität des klassischen Hängetraumas ist heute bei Verwendung von modernen Gurtsystemen als eher gering einzuschätzen. Bei ausbleibender, zeitnaher Rettung kann die Letalität jedoch rapide ansteigen. Belastbare prospektive Zahlen zur Sterblichkeit existieren jedoch kaum.
Das Hängetrauma ist ein zeitkritischer Notfall. Bereits nach wenigen Minuten bewegungslosen Hängens können erste Symptome auftreten, bei mehr als 10–20 Minuten steigt das Risiko für Bewusstlosigkeit und potenziell lebensbedrohliche Kreislaufkomplikationen deutlich an.
Prävention
Zur Prävention gibt es arbeitsrechtlich vorgeschriebene Schutzmaßnahmen und Rettungskonzepte. Darunter fallen technischem Maßnahmen wie Verwendung geeigneter Auffangsysteme mit Entlastungsmöglichkeiten, Rettungskonzepte und individuelle Schulungen und Trainings.
Literatur
- Weber et al., Suspension Trauma: A Clinical Review, Cureus, 2020
- Lechner et al., Rettungsdienstliche Strategie beim Hängetrauma, retten, 2019