Hämophilie A
Synonym: Bluterkrankheit
Definition
Die Hämophilie A ist eine Koagulopathie mit Fehlen oder funktioneller Defizienz des Gerinnungsfaktors VIII.
- ICD10-Code: D66 - Hereditärer Faktor-VIII-Mangel
Ätiologie
Bei der Hämophilie A können aufgrund der zugrundeliegenden Pathophysiologie zwei Formen der Hämophilie A unterschieden werden.
- Bei der weitaus häufigeren A--Form fehlt der Faktor VIII komplett
- Bei der selteneren (10%) A+-Form ist der Faktor VIII vorhanden, jedoch inaktiv
Der Faktor VIII wird in der Leber (Endothel) und in Megakaryozyten gebildet und ist an der sekundären Hämostase entscheidend beteiligt. Er aktiviert im Rahmen der Gerinnungskaskade den Faktor X.
Genetik
Ursächlich für die Hämophilie A sind Mutationen im Gen F8, das für den Faktor VIII codiert. Dieses liegt auf dem langen Arm des X-Chromosoms (Xq28). Die mit 42,2 % häufigste Mutation ist eine Inversion. Hämophilie A wird demnach X-chromosomal-rezessiv auf die Folgegeneration vererbt. Jedoch treten bis zu 50 % der Neuerkrankungen sporadisch auf und sind auf eine Neumutation im X-Chromosom zurückzuführen.
Bei X-chromosomaler Erkrankung sind also in der Regel nur Männer erkrankt. Frauen haben in der Regel ein ausgleichendes gesundes X-Chromosom und wenn überhaupt, nur geringe Blutungsauffälligkeiten. Eine manifeste Hämophilie A bei einer Frau entsteht nur dann, wenn sie durch beide Elternteile je ein mutiertes X-Chromosom erbt.
Klinik
Die klinische Symptomatik der Hämophilie A setzt meistens bereits ab der Geburt ein, kann jedoch zunächst auch ganz oder teilweise fehlen. Auf eine Hämophilie A hinweisende Symptome sind unter anderem:
- Nabelschnurblutungen nach der Entbindung
- großflächige Hämatome
- Gelenkblutungen (Hämarthros)
- Muskeleinblutungen
- Nachblutungen nach operativen Eingriffen und Zahnextraktionen
- Epistaxis
- Hypermenorrhö (bei Konduktorinnen mit symptomatischen Mosaiken)
Schweregrade
Nach quantitativer Bestimmung des Faktor VIII kann eine Schweregradeinteilung der Hämophilie erfolgen. Dabei gilt, dass bei Aktivitäten von über 25 % in der Regel kaum Symptome auftreten (Subhämophilie). Erst unter diesem Bereich ist mit schweren Nachblutungen nach Operationen und den typischen großflächigen Blutungen zu rechnen.
Die genaue Einteilung nach Restaktivität wird in der Literatur wie folgt angegeben:
- Schwere Hämophilie: < 1 %
- Mittelschwere Hämophilie: 1 - 4 %
- Leichte Hämophilie: 5 - 24 %
- Subhämophilie: 25 % bis unterer Normwert
Komplikationen
Je nach Lokalisation können Blutungen im Rahmen der Hämophilie A Anlass für Komplikationen sein. Bei Einblutung in die Muskulatur können sich große Blutverluste einstellen. Einblutungen in von außen nicht einsehbare Muskulatur wie z.B. in den Musculus iliopsoas können zu uncharakteristischen Bauch- und Beinschmerzen führen und differentialdiagnostisch an eine Appendizitis denken lassen. Größere Einblutungen können durch ihren expansiven Effekt zu Kompressionen von Nachbarorganen und zu sekundären Symptomen führen. Eine Blutung im Bereich des Halses und Mundbodens kann beispielsweise die Atemwege verlegen.
Häufig gehen größere Blutungen bei einer Hämophilie A mit einer systemischen Entzündungsreaktion einher, wobei das CRP und die BSG erhöht sind und eine Leukozytose besteht.
Diagnostik
Bei einem Verdacht auf Hämophilie A sind die Familienanamnese und die genaue Befunderhebung der Blutungslokalisation und der Blutungstypen unerlässlich.
Die Blutungszeit ist immer normal, die PTT immer verlängert. Zur Differenzierung einer Hämophilie B erfolgt eine Bestimmung der Gerinnungsfaktoren VIII und IX (Hämophilie B).
Therapie
Die Therapie der Hämophilie A umfasst insbesondere die Prophylaxe und adäquate Behandlung von Blutungen sowie kurzfristige Maßnahmen zur Unterstützung der Blutgerinnung. Es existieren verschiedene Behandlungsmöglichkeiten einer Hämophilie:
Substitutionstherapie
Zur Substitution bei Hämophilie A stehen eine Reihe von Faktorenkonzentraten zur Verfügung. Während früher aus Blutspenden gewonnene Faktorenkonzentrate gegeben wurden, sind diese heute weitgehend durch gentechnisch rekombinante hergestellte Präparate ersetzt worden. Aus Humanspenden gewonnene Konzentrate tragen immer das Risiko von Infektionen.
Bei schweren Formen der Hämophilie A ist eine dauerhafte und regelmäßige Substitutionstherapie erforderlich. Dabei wird im Rahmen einer dauerhaften Substitution eine Mindestkonzentration von 1 IE/dl, entsprechend einer Aktivität von 1 % aufrechterhalten.
Bei leichteren Formen der Hämophilie A ist eine bedarfsgerechte Substitution, auch als Selbstbehandlung nach Schulung, möglich. Dabei wird vor operativen Eingriffen, Zahnextraktionen oder bei Gelenkblutungen eine Dosierung gewählt, bei der die Faktor VIII-Aktivität noch mindestens 50 % beträgt. Die Injektionen müssen je nach Halbwertszeit des Faktors und Pharmakokinetik des Präparats etwa 12-stündlich wiederholt werden.
Problematisch ist im Rahmen der Substitutionstherapie die Induktion der Antikörperbildung gegen Faktor VIII, die im Vollbild zur Hemmkörperhämophilie führen kann.
Antikörpertherapie
Zur Antikörpertherapie wird der humanisierte monoklonale Antikörper Emicizumab eingesetzt, und zwar bei Patienten
- mit einer Hemmkörperhämophilie zur Routineprophylaxe von Blutungsereignissen
- ohne Antikörper gegen Faktor VIII, die eine schwere Hämophilie A oder eine mittelschwere Hämophilie A mit schwerem Blutungsphänotyp aufweisen
Emicizumab hat die Besonderheit, dass es weder die Bildung von Faktor-VIII-Hemmkörpern induziert, noch seine Wirkung durch die Hemmkörper eingeschränkt wird. Allerdings kann es unter der Therapie, wie bei anderen therapeutischen monoklonalen Antikörpern, zur Bildung von Anti-Emicizumab-Antikörpern kommen. Diese können teilweise neutralisierend wirken und so die Wirksamkeit des Medikaments hemmen. Besteht der Verdacht auf das Vorliegen von neutralisierenden Antikörpern, sollten andere Therapiemöglichkeiten in Erwägung gezogen werden.
Desmopressin
Bei leichten Formen der Hämophilie kann vor operativen Eingriffen zur Stabilisierung der Blutgerinnung die Gabe von DDAVP (Minirin®) erfolgen. DDAVP bewirkt eine Freisetzung von in Endothelzellen gespeichertem Faktor VIII und vWF. Dadurch wird die Ausgangsaktivität innerhalb weniger Tage auf das bis zu 5-fache erhöht. Damit lassen sich bei Bedarf zufriedenstellende Gerinnungseigenschaften herbeiführen.
Eine DDAVP-Gabe kann jedoch immer nur für kurze Zeit (wenige Tage) erfolgen, da sich die Speicher bei wiederholter Gabe erschöpfen (Tachyphylaxie).
Gentherapie
Seit Mitte 2022 steht eine Gentherapie für schwere Fälle von Hämophile A zur Verfügung. Valoctocogen-Roxaparvovec schleust mithilfe eines viralen Vektors funktionsfähige Kopien des F8-Gens in Leberzellen des Patienten ein.[1]
Weitere prophylaktische Maßnahmen
Um eine Blutung im Rahmen einer Hämophilie zu vermeiden, werden darüber hinaus folgende prophylaktische Maßnahmen empfohlen:
- Keine Gabe von ASS oder anderen Thrombozytenaggregationshemmern, diese steigern das Blutungsrisiko bei Hämophilie erheblich.
- Keine intramuskuläre Injektion bei Hämophilie-Patienten
- Die Verhütung von (wiederholten) Gelenkeinblutungen sollte mit hoher Priorität erfolgen. Als Spätfolgen treten Arthrosen und Ankylosen betroffener Gelenke ein (daher Risiken meiden).
- Anwendung größtmöglicher Sorgfalt bei Operationen, sorgfältige Blutstillung, großzügiger Gebrauch von lokalen blutungsstillenden Maßnahmen, sichere Nahttechniken.
Quellen
- ↑ Erstes Gentherapeutikum gegen Hämophilie A erhält Zulassungsempfehlung, Paul-Ehrlich-Institut, abgerufen am 12.8.2022