Botulismus (Geflügel)
Synonym: Clostridium-botulinum-Infektion
Englisch: botulism, limberneck
Definition
Botulismus ist eine durch das Neurotoxin von Clostridium botulinum - das Botulinumtoxin - verursachte Intoxikation beim Geflügel, die klinisch durch Lähmungserscheinungen charakterisiert ist.
Ätiologie
Clostridium botulinum ist ein anaerobes, sporenbildendes, 0,9 bis 1,2 x 4,0 bis 8,0 µm großes und grampositives großes Stäbchenbakterium. Anhand der hitzelabilen Exotoxine können acht unterschiedliche Toxovare (A bis B) unterschieden werden. Beim Geflügel kommen v.a. Intoxikationen durch das Toxovar C (insbesondere Subtyp Ca) vor. Aufgrund der proteolytischen und saccharolytischen Aktivität können die Bakterien zusätzlich in vier Biovare eingeteilt werden, wobei Biovar III die Stämme der Toxovare C und D umfasst.
Eine Speziesbestimmung des kulturell angezüchteten Erregers kann durch die numerische Analyse der gaschromatographisch aufgetrennten Fettsäuren erfolgen.
Epidemiologie
Intoxikationen treten nur sporadisch in Nutzgeflügelbeständen auf. Betroffen sind hierbei v.a. Enten, Hühner, Puten und Gänse in Bodenhaltung. Häufig kann auch ein Massensterben wildlebender Wasservögel - gehäuft in den Sommermonaten - beobachtet werden.
Die versporten Erreger sind äußerst widerstandsfähig gegenüber Umwelteinflüssen und bleiben jahrelang vermehrungsfähig. Die Sporen werden erst bei 100 °C in wässrigem Milieu nach fünf Stunden Einwirkzeit abgetötet.
Pathogenese
Zu Erkrankungen kommt es durch die orale Aufnahme des Exotoxins.
Die Toxinbildung findet dabei vorwiegend unter anaeroben Bedingungen und in eutrophierten Oberflächengewässern sowie im Schlamm an warmen Sommertagen statt. Das Exotoxin reichert sich in wirbellosen Tieren an. Diese werden primär von Wasservögeln aufgenommen, die dann kurze Zeit später an Botulismus versterben. Diese Kadaver werden wiederum von Krähenvögeln, Greifvögeln oder Möwen aufgenommen, sodass auch diese an der Intoxikation versterben und "nestartig" um die Wasservögel aufgefunden werden.
Clostridium botulinum kann sich zudem im Futtermittel vermehren. Dabei reichert sich das Toxin auch in Insektenlarven im Futtermittel an, sodass es durch die Verfütterung von kontaminierten Futterbestandteilen zu Vergiftungen der Vögel kommt. Selten entwickeln sich auch Intoxikationen infolge einer plötzlichen Vermehrung der Clostridien im Darm der Vögel. Die notwendigen Voraussetzungen dafür sowie die genauen Pathomechanismen sind derzeit (2021) noch unklar. Die Clostridien werden dabei über kontaminiertes Wasser, Futter oder Einstreu in die Herde eingetragen.
Bereits die orale Aufnahme sehr geringer Mengen des hochpotenten Toxins führt zur Ausbildung klinischer Symptome. Das Toxin wirkt dabei über eine Hemmung der Freisetzung von Acetylcholin an der präsynaptischen Membran der neuromuskulären Endplatte. Durch die Hemmung des Neurotransmitters kommt es an den peripheren Nerven zu Lähmungserscheinungen, die sich in Muskellähmungen und Atemlähmung manifestieren. Die betroffenen Tiere sterben letztendlich durch Ersticken. Durch die Enterotoxine können sich zusätzlich auch Darmerkrankungen entwickeln.
Klinik
Sowohl die Klinik als auch die Morbidität und Mortalität hängen maßgeblich von der Menge und Dauer der Toxinaufnahme ab, sodass zwischen zwei Krankheitsverläufen unterschieden werden kann:
Perakut-akute Intoxikation
Bei einer perakuten bis akuten Intoxikation kommt es zur plötzlich einsetzenden schlaffen Lähmung der Muskulatur des Halses, der Gliedmaßen, des Schlundkopfes und der Zunge. Durch die lokomotorischen Störungen sind die Tiere nicht dazu in der Lage, sich zu bewegen oder Futter und Wasser aufzunehmen. Zusätzlich kommt es zu einem Nickhautvorfall (Bulbärparese), zu Diarrhö und Federausfall. Die betroffenen Tiere versterben meist durch die Lähmung des Atemzentrums, deutlich seltener durch Herzstillstand nach einer ein- bis viertätigen Krankheitsdauer.
Subakut-chronische Intoxikation
Die subakut-chronische Intoxikation hingegen wird durch die Aufnahme subletaler Toxinmengen verursacht. Hierbei entwickeln sich Paresen der Muskulatur, die sich vorwiegend in Koordinationsstörungen der Beine und Flügel sowie durch eine fehlende Futter- und Wasseraufnahme zeigen. Die Krankheitsdauer erstreckt sich über mehrere Tage.
Pathohistologie
Pathologisch können meistens keine Veränderungen beobachtet werden, während histologisch v.a. Blutungen in den verschiedenen Kerngebieten der Medulla oblongata sowie Degenerationen der Ganglienzellen auffallen.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sind Intoxikationen durch Medikamente, Pestizide und andere Schadstoffe auszuschließen. Bei subakuten bis chronischen Krankheitsverläufen ist v.a. die Marek'sche Krankheit zu berücksichtigen.
Diagnose
Die Diagnose wird anhand der klinischen Erscheinungen in Zusammenhang mit dem Toxin-Nachweis gestellt.
Als Methode der Wahl gilt der Nachweis im Tierversuch (Maus-Bioassay). Bei diesem Test wird bei Labormäusen das Serum von kranken Tieren oder gar sterilfiltriertes Untersuchungsmaterial (z.B. Kropf- oder Darminhalt sowie Futter und Einstreu) injiziert und auf das Auftreten der klassischen Symptome (Wespentaille) geachtet. Als Gegenprobe ist stets erhitztes Untersuchungsmaterial mitzuführen. Die Kontrollgruppe besteht aus Labormäusen, denen vorher ein Antitoxin verabreicht wurde, sodass diese nicht klinisch erkranken dürfen. Obwohl dieser Test als hoch sensitiv und spezifisch angesehen wird, sollte immer eine Paralleluntersuchung mit anderen Methoden (z.B. Antigen-Capture-ELISA-Systeme) durchgeführt werden.
Therapie
Milde Krankheitsfälle können durch die Supplementation von Vitamin A, D3, E und viel Wasser behandelt werden. Die Genesungschancen sind jedoch vorsichtig zu prognostizieren. Schwere Krankheitsverläufe sind aus tierschutzrelevanten Gründen zu euthanasieren.
Prophylaxe
Durch ein optimales Hygienemanagement kann das Auftreten von Botulismus im Nutzgeflügelbestand erfolgreich bekämpft werden.
Literatur
- Rautenschlein S, Ryll M. 2014. Erkrankungen des Nutzgeflügels. 1. Auflage. Stuttgart: UTB Verlag GmbH. ISBN: 978-3-8252-8565-5
- Siegmann O, Neumann U (Hrsg.) 2012. Kompendium der Geflügelkrankheiten. 7., überarbeitete Auflage. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN: 978-84268333-4
- Mayr A, Rolle M. Mayr A (Hrsg.). 2007. Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. 8., überarbeite Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1060-7