Akutes Aortensyndrom
Englisch: acute aortic syndrome
Definition
Der Begriff akutes Aortensyndrom, kurz AAS, bündelt verschiedene klinische Notfallsituationen mit ähnlicher Symptomatik, bei denen eine Störung der Wandintegrität der Aorta besteht. Ursächlich sind die akute Aortendissektion (AAD), das penetrierende Aortenulkus (PAU) sowie das intramurale Hämatom der Aorta (IMH).
Hintergrund
Der Begriff akutes Aortensyndrom wird in der Literatur uneinheitlich verwendet. Neben AAD, PAU und IMH werden teilweise auch akute Aortenverletzungen (AAV) dazugezählt. Diese umfassen
- traumatische Aortenverletzungen, z.B. bei Dezelerationstrauma im Rahmen eines Verkehrsunfalls. Man unterscheidet weiter zwischen Intimaeinriss, IMH, Pseudoaneurysma und Ruptur
- iatrogene Aortenverletzungen, z.B. im Rahmen einer Koronarintervention oder bei TAVI
- nicht-traumatische Aortenruptur, z.B. bei Aortenaneurysma, Pseudoaneurysma oder Ulkus
Klassifikation
Nach Svensson et al. werden 5 Formen des akuten Aortensyndroms unterschieden:[1]
- Klasse 1 - Klassische Aortendissektion (AD): Die Media ist separiert durch einen intimomedialen Flap zwischen wahrem und falschem Lumen mit Entry und Reentry.
- Klasse 2 - Intramurales Hämatom (IMH): Hämatom in der Media durch spontane, selten traumatische Blutung der Vasa vasorum. Entry und Reentry fehlen oder sind sehr klein.
- Klasse 3 - Inkomplette Aortendissektion (ID): Wird auch als subtile oder diskrete Aortendissektion bezeichnet. Riss bzw. Lazeration der Intima ohne Flap oder IMH. Wenn es nur von der Adventitia gedeckt wird, erscheint es als subadventitiales Hämatom.
- Klasse 4 - Penetrierendes Aortenulkus (PAU): Eine ulzerierte atherosklerotische Läsion penetriert die Lamina elastica interna. Assoziiert mit unterschiedlichen Mengen an intramuralen Blutungen.
- Klasse 5 - Iatrogene oder traumatische Aortendissektion
Ein Übergang zwischen den einzelnen Formen ist möglich, beispielsweise kann ein PAU zu einem IMH und einer klassischen Aortendissektion führen. Auch ein IMH und eine inkomplette Dissektion können sich zu einer klassischen Aortendissektion entwickeln. Alle Formen können in eine Aortenruptur enden.
Epidemiologie
Patienten mit akutem Aortensyndrom sind typischerweise älter, häufiger männlich und leiden seit Jahren an arterieller Hypertonie. Weitere Risikofaktoren sind Bindegewebserkrankungen (z.B. Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom), eine bikuspide Aortenklappe sowie eine anuloaortale Ektasie.
Klinik
Typische Beschwerden des AAS sind starke Brustschmerzen mit reißendem und teils wanderndem Charakter. Schmerzen im vorderen Brustkorb, Hals oder Kiefer weisen auf eine Beteiligung der Aorta ascendens hin, während Schmerzen im Rücken und im Bauch eine Beteiligung der Aorta descendens vermuten lassen. Bei Beteiligung der Aortenwurzel oder Aorta ascendens können Hypotonie, kongestive Herzinsuffizienz und Schock vorkommen.
Die Symptomatik überschneidet sich mit der eines akuten Koronarsyndroms und einer Lungenarterienembolie.
Mögliche Komplikationen sind:
- Aortenruptur
- Hämoperikard, Perikardtamponade
- Aortenklappeninsuffizienz
- Dissektion oder Okklusion einer Koronararterie
- Dissektion oder Okklusion eines Aortenastes
- Ischämie oder Infarkt eines Organs
Lokalisation
Bei der klassischen Aortendissektion befindet sich das Entry meist im Bereich der anterolateralen Aorta ascendens oder posterolateralen Aorta descendens. Das intramurale Hämatom betrifft häufiger die Aorta descendens als die Aorta ascendens. Der PAU kommt in der Aorta descendens vor. Bei der diskreten Aortendissektion ist meist die posterolaterale Aorta ascendens oberhalb des linken Koronarostiums betroffen.
Diagnostik
Die Diagnostik umfasst eine körperliche Untersuchung sowie laborchemische Untersuchungen (z.B. Troponin, D-Dimere). In der Regel wird anschließend eine CT-Untersuchung mit CT-Angiographie (CTA) durchgeführt.
Computertomographie
Die CT-Untersuchung wird meist zwei- oder dreiphasig durchgeführt:
Native Phase
Die native Phase ist notwendig für die Diagnostik eines intramuralen Hämatoms. Dieses zeigt sich durch eine zirkuläre oder sichelförmige Hyperdensität der Aortenwand mit variabler Ausdehnung.
Ist die Intima im Bereich des intimomedialen Flaps verkalkt, kann durch die intraluminale Verlagerung der Verkalkung bereits eine Aortendissektion vermutet werden.
Bei einem PAU findet sich eine Ausstülpung der Aorta mit ulzeriertem atherosklerotischem Plaque.
Das Focal Crescent Sign ist hinweisend auf eine gedeckte Aortenruptur, jedoch teilweise schwer von einem IMH zu unterscheiden.
Arterielle Phase
Die Kontrastmittelgabe sollte bevorzugt am rechten Arm erfolgen, um Aufhärtungsartefakte durch das unverdünnte Kontrastmittel in der Vena brachiocephalica zu vermeiden. Die Flussrate beträgt optimalerweise 3 bis 5 ml/s. Erfolgt die CT-Angiographie ohne kardiales Gating, kommt es zu Pulsationsartefakten der Aortenwurzel, die durch einen hohen Pitch-Faktor reduziert werden können. Trotz höherer Strahlenbelastung wird daher meist ein kardiales Gating bevorzugt. Es ermöglicht auch die Beurteilung der Koronararterien. Durch retrospektives Gating kann außerdem die Funktion der Aortenklappe untersucht werden.
Die arterielle Phase dient der Diagnose und Klassifikation der Aortendissektion, der Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Lumen sowie der Beurteilung der Durchgängigkeit der abgehenden Äste. Das IMH zeigt sich als sichelförmige Wandverdickung der Aorta. Ein PAU zeigt sich als eine Kontrastmittel-gefüllte Ausstülpung, umgeben von IMH, Pseudoaneurysma oder einer Ruptur.
Bei der diskreten Aortendissektion fehlt ein intimomedialer Flap, wobei sie bei Vorliegen eines subadventitialen Hämatoms oft nicht von einer IMH zu unterscheiden ist. Hinweisend auf eine ID sind eine subtile exzentrische Ausbuchtung im Bereich des Intimarisses, ein normaler Aortendurchmesser (verringert bei IMH) sowie periaortale Flüssigkeit.
Eine Aortenruptur ist bewiesen durch Kontrastmittelextravasat. Häufiger finden sich jedoch nur indirekte Zeichen (Mediastinalhämatom, hämorrhagischer Pleuraerguss oder Perikarderguss).
Venöse Phase
In der venösen Phase kann das Kontrastmittel-Enhancement und somit die Perfusion der Organe beurteilt werden. Sie ist außerdem hilfreich bei schmalem falschen Lumen, welches in der arteriellen Phase hypodens und somit schwer zu identifizieren sein kann sowie als thrombosiertes falsches Lumen oder gar als atheromatöse Plaque fehlinterpretiert werden kann.
Spätphase
Die Spätphase wird unter anderem eingesetzt bei Patienten nach TEVAR zur Beurteilung von langsamen Endoleaks (z.B. Typ 2).
Focal Aortic Projection
Eine Besonderheit stellt die sogenannte Focal Aortic Projection (FAP) dar. Dabei handelt es sich um fokale Kontrastmittelkollektionen meist innerhalb eines intramuralen Hämatoms. Man unterscheidet zwischen:
- Intramural Blood Pool (IBP): Pseudoaneurysma der Äste des Aortenbogens (insbesondere der Interkostalarterien). Keine erkennbare oder schmale (< 2 mm) breite Verbindung zum Lumen. Typischerweise bei einem > 10 mm dicken IMH. Bilden sich meist spontan zurück.
- Ulcer Like Projection (ULP): Gut erkennbare, breitbasige Kommunikation mit dem Aortenlumen. Im Gegensatz zum PAU weist es meist eine glatte Wand auf. Es stellt eine negatives prognostisches Zeichen durch Risiko einer nachfolgenden Dissektion, Aneurysmabildung oder Aortenruptur dar, sodass es wie ein PAU behandelt wird.
Pitfalls
- Pulsationsartefakte: werden durch EKG-Synchonisation und High-Pitch-CT reduziert
- Flussartefakte: uneinheitliche Dichteanhebung des Blutpools nach Kontrastmittelgabe, die durch Vermischung von Kontastmittel und Blut ohne Kontrastmittel entsteht. Sie führen zu scheinbar linearen Füllungsdefekten der Kontrastmittelsäule und können dann als intimomedialer Flap fehlinterpretiert werden. Flussartefakte haben meist eine höhere Dichte als ein Flap, weisen undeutliche Grenzen auf und sind diskontinuierlich. Flussartefakte müssen nicht der anatomischen Verteilung einer Aortendissektion folgen. Hilfreich zur Differenzierung sind multiplanare Rekonstruktionen. Weiterhin kann eine Wiederholung der CT mit längerem Delay nach Kontastmittelgabe oder eine MRT mit SSFP-und CINE-Sequenzen erfolgen.
- Hämatoperikard: Bei einer Ruptur des Aortenbogens oder der Aorta descendens in das Mediastinum kann sich das Blut auf das Perikard legen. Dies sollte nicht mit einem Hämatoperikard verwechselt werden, welches eine Beteiligung der Aorta ascendens voraussetzt.
- "Third Spacing": Kontrastmittel aus vorherigen CT-Untersuchungen kann in sogenannte "dritte Räume" (z.B. Perikard- und Pleuraergüssen) akkumulieren und somit aufgrund der Dichteanhebung das Vorhandensein von Blutprodukten vortäuschen. Hierbei liegt in der Regel eine homogenere Dichteanhebung von mehreren "dritten Räume" vor.
- "Shared Sheath Rupture": Die Aortenwurzel hat eine gemeinsame Adventitia-Hülle mit dem Truncus pulmonalis, sodass sich Hämatome in den subadventitialen Raum entlang der Pulmonalarterien ausbreiten können. Assoziierte Milchglastrübungen stellen pulmonale Hämorrhagien dar. In schweren Fällen kann dies zu einer Kompression der proximalen Pulmonalarterien mit akuter Rechtsherzbelastung führen. Dies darf nicht mit einer Lungenarterienembolie verwechselt werden.
Differenzialdiagnosen
- Akutes Koronarsyndrom: EKG, Herzenzyme, CTA
- Aortitis (Takayasu-Arteriitis oder Riesenzellarteriitis): In der CT zeigt sich eine zirkuläre Wandverdickung großer und mittelgroßer Arterien, gegebenenfalls mit Aneurysmabildung, sowie vereinzelte Bereiche mit Gefäßstenosen. Im Gegensatz zum IMH ist die verdickte Gefäßwand nicht hyperdens in der nativen Phase. In der MRT zeigt sich in der Spätphase ein Enhancement der Gefäßwand.
- Sarkom der Aorta: sehr selten; nicht verkalkte diskrete Raumforderung der Aortenwand, häufig mit hämatogener Metastasierung.
Therapie
Die Therapie ist abhängig von der Lokalisation der Pathologie und zusätzlichen Komplikationen. Ist die Aorta ascendens betroffen, ist in der Regel eine Notoperation indiziert. Ist die Pathologie weiter distal lokalisiert, kann eine konservative oder endovaskuläre Therapie ausreichend sein.
Literatur
- DGK Leitlinie Aortenerkrankungen, abgerufen am 23.10.2022
- Akin I et al.: Penetrating aortic ulcer, intramural hematoma, acute aortic syndrome: when to do what, J Cardiovasc Surg (Torino). 2012;53(1 Suppl 1):83-90
- Steinbrecher KL et al. CT of the Difficult Acute Aortic Syndrome. Radiographics. 2022
Quellen
- ↑ Svensson LG et al. Intimal tear without hematoma: an important variant of aortic dissection that can elude current imaging techniques, Circulation. 1999;99(10):1331-1336, abgerufen am 23.10.2022
Peer-Review durch Bijan Fink |