Schwieriger Atemweg
Synonyme: schwierige Atemwegssicherung, schwierige Intubation, schwierige Atemwegssituation
Englisch: difficult airway
Definition
Ein schwieriger Atemweg liegt vor, wenn die Maskenbeatmung, die endotracheale Intubation oder eine alternative Atemwegssicherung (z.B. supraglottische Atemwegshilfe) durch anatomische oder pathophysiologische Besonderheiten erschwert oder unmöglich sind. Das Auftreten eines schwierigen Atemwegs kann lebensbedrohlich sein und erfordert besondere Vorbereitung und Strategien.
Hintergrund
Gemäß der deutschen Leitlinie wird von einem schwierigen Atemweg gesprochen, wenn die Problematik während der Atemwegssicherung durch einen Facharzt für Anästhesiologie bzw. einen Arzt mit anästhesiologischem Facharztstandard auftritt.
Wenn bereits vor der Atemwegssicherung Prädiktoren eines schwierigen Atemweges bekannt sind, wird von einem erwartet schwierigem Atemweg gesprochen, andernfalls von einem unerwartet schwierigen Atemweg.
Epidemiologie
Die Inzidenz der erschwerten Maskenbeatmung wird mit ca. 6 %, die der unmöglichen Maskenbeatmung mit etwa 1 % angegeben. Die Inzidenz der schwierigen direkten Laryngoskopie beträgt 1,5–8,0 %. Mit einer unerwarteten „cannot intubate, cannot oxygenate“-Situation ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 13.000 bis 1 : 25.000 zu rechnen. Es sind zahlreiche Risikofaktoren bekannt, die als Prädiktor für eine schwierige Maskenbeatmung oder Intubation gelten.
Prädiktoren der schwierigen Maskenbeatmung
- Bestrahlung oder Tumor im Bereich der Halsregion
- Body-Mass-Index > 30 kg/m2
- Desolater Zahnstatus oder Zahnlosigkeit
- Deutlich eingeschränkte Protrusion des Unterkiefers
- Makroglossie und andere pathologische Zungenveränderungen
- Vorbekannter Mallampati-Grad III oder IV
- Narben, Tumoren, Entzündungen oder Verletzungen von Lippe oder Gesicht
- Pathologische Veränderungen von Pharynx, Larynx oder Trachea
- Schnarchanamnese bzw. obstruktive Schlaf-Apnoe
- Unzureichende Narkosetiefe
- Verringerter thyreomentaler Abstand (< 6–7 cm)
- Vollbartträger
Prädiktoren der schwierigen Laryngoskopie und Intubation
- Eingeschränkte Mundöffnung (< 3,5 cm)
- Eingeschränkte Reklination des Kopfes
- Inspiratorischer Stridor
- Kurzer oder umfangreicher Hals
- Makroglossie
- Vorbekannter Mallampati-Grad III oder IV
- Mandibulo- und maxillofaziale Dysostosen
- Obstruktive Schlaf-Apnoe
- Pathologischer Upper-Lip-Bite-Test (ULBT)
- Progenie, Dysgnathie
- Raumfordernde Struma
- Schwangerschaft
- Schwierige Intubation in der Anamnese
- Subglottische Stenose, Trachealstenose, Trachealverlagerung
- Tumoren, Abszesse im Kopf-Hals- oder Mediastinalbereich
- Unzureichende Narkosetiefe, fehlende neuromuskuläre Blockade
- Verringerter thyreomentaler Abstand (< 6–7 cm)
- Zustand nach Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich
- Zustand nach Operationen am Larynx/Pharynx
Management
Das Management des schwierigen Atemweges sollte in klinikinternen Standard Operating Procedures (SOPs) festgelegt sein. Die ausführliche Untersuchung des Patienten hinsichtlich relevanter Prädiktoren und die entsprechende Kommunikation im Team sind essenziell, um frühzeitig ein geeignetes Vorgehen planen zu können. Entsprechende Materialien zur Beherrschung des schwierigen Atemwegs müssen zentral und für alle Beteiligten bekannt gelagert sein.
Um den Zeitraum von der Narkoseeinleitung bis zu einer möglichen Asphyxie bei frustraner Atemwegssicherung zu verlängern, muss vor jeder Narkose eine suffiziente Präoxygenierung durchgeführt werden.
Erwartet schwieriger Atemweg
Ist eine schwierige Atemwegssicherung zu erwarten, sollte geprüft werden, ob der Eingriff in Regionalanästhesie erfolgen kann. Ist dies nicht möglich, erfolgt die Sicherung der Atemwege meist unter Erhalt der Spontanatmung am wachen oder nur leicht sedierten Patienten (fiberoptische Intubation). Im Einzelfall kann von diesem Vorgehen abgewichen werden, wenn:
- die Intubation mit einem Videolaryngoskop möglich erscheint
- keine Prädiktoren für eine schwierige Maskenbeatmung vorliegen
- der Patient kardiopulmonal kompensiert ist
- keine personellen oder örtlichen Besonderheiten gegen die Atemwegssicherung nach erfolgter Narkoseeinleitung sprechen.
Unerwartet schwieriger Atemweg
Der unerwartet schwierige Atemweg bei Einleitung einer Narkose ist ein lebensbedrohlicher Notfall. Nach fehlgeschlagenem Versuch der Atemwegssicherung ist die Maskenbeatmung die primäre Rückfallebene:
- Maskenbeatmung durchführen
- wenn keine Maskenbeatmung möglich: Hilferuf/Notruf absetzen!
- Maskenbeatmung optimieren (z.B. Kopf reklinieren, Esmarch-Handgriff, Maske zweihändig halten, Guedel-Tubus verwenden)
- Neuromuskuläre Blockade erwägen (Maskenbeatmung wird hierdurch fast immer erleichtert)
- Anzahl direkter Laryngoskopie-Versuche limitieren (Gefahr der Schwellung, Blutung o.ä.)
- Videolaryngoskop verwenden, Intubationsbedingungen verbessern (z.B. BURP- oder OELM-Manöver)
- parallel zu den Maßnahmen Koniotomie vorbereiten
- alternative Strategien erwägen
- Patient aufwachen lassen, wenn Maskenbeatmung suffizient möglich ist und eine alternative Atemwegssicherung unwahrscheinlich erscheint (ggf. Medikamente antagonisieren)
- supraglottische Atemwegshilfe
- fiberoptische Intubation
Bei (drohender) Asphyxie muss als ultima ratio eine Koniotomie durchgeführt werden
Literatur
- Piepho et al.: S1-Leitlinie Atemwegsmanagement 2023. Anästh Intensivmed 2024.