Dysgnathie
von altgriechisch: δύς ("dys") - Fehl-; γνάθος ("gnáthos") - Kiefer
Synonym: Fehlbiss
Englisch: dysgnathia
Definition
Als Dysgnathien bezeichnet man die unphysiologische Entwicklung der Kiefer, der Zähne oder anderer Komponenten des Kauapparats mit Abweichung von einer normgerechten Kieferstellung.
Epidemiologie
Im Milchgebiss werden Inzidenzen für Dysgnathien von bis zu 30% angegeben. Dabei kommen insbesondere der offene Biss oder eine vergrößerte sagittale Schneidekantenstufe vor. Im Erwachsenenalter dominieren Rücklagen des Unterkiefers mit einer Inzidenz von 20 bis 40%.
Ätiologie
Angeborene Dysgnathie
Ursachen angeborener Dysgnathien sind Verzögerungen oder Unregelmäßigkeiten in der embryonalen Entwicklung des Schädels bzw. des ersten und zweiten Kiemenbogens. Dies kann zum Missverhältnis zwischen Ober- und Unterkiefer führen sowie zu Aplasien von Zähnen. Zum Teil ist die Dysgnathie dann Bestandteil einer syndromalen kraniofazialen Fehlbildung.
Erworbene Dysgnathie
Ursachen für erworbene Dysgnathien sind Traumen, hormonelle Einflüsse (z.B. Akromegalie), Tumore, Dysfunktion der Schluck- oder Zungenmuskulatur, Zahnextraktionen ohne prothetische Versorgung sowie Infektionskrankheiten. Im Kindesalter sind weiterhin bestimmte Gewohnheiten (z.B. Lutschgewohnheiten, Mundatmung), ein Vitamin-D-Mangel (Rachitis) sowie falsche Ernährung entscheidend.
Einteilung
...nach der Lokalisation
Grundsätzlich werden dentoalveoläre von skelettalen Dysgnathien unterschieden. Kombinationen sind jedoch häufig.
- Dentoalveoläre Dysgnathie: Die Störung ist auf einen oder beide Alveolarfortsätze sowie die Zähne beschränkt, z.B. Drehstand, Kippstand und Falschstand.
- Skelettale Dysgnathie: Die Lagebeziehung der Kieferbasen zur Schädelbasis ist betroffen, wodurch meist auch die Lagebeziehung der Kiefer zueinander gestört ist, z.B. durch unproportionales Wachstum des Gesichtsschädels.
...nach der Form
- Transversale Dysgnathien:
- Sagittale Dysgnathien:
- Retrognathien: Mandibuläre Retrognathie (Retromandibulie), maxilläre Retrognathie (Retromaxillie)
- Prognathien: Mandibuläre Prognathie, maxilläre Prognathie (Antemaxillie)
- Progenie, Retrogenie
- mandibuläre Antealveolie, mandibuläre Retroalveolie
- Progener Zwangsbiss
- maxilläre alveoläre Protrusion (Antealveolie)
- maxilläre Retroalveolie
- Vertikale Dysgnathien:
- Dysgnathien, bei denen alle Vektoren betroffen sind:
- mandibuläre Mikrognathie (Mikromandibulie), mandibuläre Makrognathie
- Mikrogenie, Makrogenie
- maxilläre Mikrognathie (Mikromaxillie), maxilläre Makrognathie (Makromaxillie)
Neben diesen symmetrischen Störungen werden noch asymmetrische Gesichtsanomalien differenziert. Dazu zählen zum Beispiel die Laterognathie (hemimandibuläre Elongation) oder die kondyläre Hyperplasie.
Angle-Klassifikation
Gebissanomalien in Okklusionsstellung werden bezüglich der Lage der ersten unteren Molaren gegenüber den oberen ersten Molaren eingeteilt (Angle-Klassifikation). Hierbei wird immer von einer korrekten Position der oberen Molaren ausgegangen. Der Befund der Bisslage in der Sagittalen wird eingeteilt in:
- Klasse I: Neutralbiss (Eugnathie)
- Klasse II: Distalbiss
- Klasse II1: mit prodrudierter Front
- Klasse II2: mit Tiefbiss
- Klasse III: Mesialbiss
Die Angle-Klassifikation ist historisch und berücksichtigt zum Beispiel nicht die Fehlverzahnungen in der tranversalen.
Symptome
Dysgnathien führen zu Zahnfehlstellungen, Okklusionsstörungen sowie ästhetischen und funktionellen Beeinträchtigungen. Dazu zählen beispielsweise ein Kreuzbiss, ein Deckbiss, ein Scherenbiss oder ein offener Biss. Durch die Fehlstellung kann der Zahnhalteapparat übermäßig beansprucht werden, was eine Parodontitis und einen frühzeitiger Zahnverlust bedingen kann.
Weitere mögliche Folgen einer Dysgnathie sind u.a.
- Kopfschmerzen
- craniomandibuläre Dysfunktion
- reduzierte Nasenatmung
- Tinnitus
- Vertigo
- HWS-Syndrom
- Sprechstörungen
Durch die meist umgestellte Mundatmung kann es ferner zur Ausbildung von Allergien und einer erhöhten Anfälligkeit für Atemwegsinfektionen kommen.
Therapie
Indikationen einer Therapie ergeben sich je nach funktionellen Beschwerden, z.B. bei mangelhafter Okklusion. Dabei kann im Falle einer dentoalveolären Anomalie je nach Dysgnathieform, skelettalem Alter und Patientencompliance eine alleinige kieferorthopädische Behandlung zum Erfolg führen. Bei skelettalen Anomalien sind insbesondere nach Wachstumsende meist nur Kieferumstellungsoperationen hilfreich.
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